Wird die Versicherungskundin systematisch unterschätzt? Kolumnist Frank Reichel zeigt Versäumnisse der Branche auf
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Frank Reichelt. Quelle: Swiss Re - von der Redaktion bearbeitet.

Das Mysterium Frau (als Versicherungskunde) ist das Thema von Frank Reichelt in seiner Kolumne. Ganz Praktiker bleibt der Manager nicht theoretisch, sondern fordert unter anderem besseres Produktdesign, spezifischere Ansprache und kundenspezifischere Ausrichtung des Vertriebs. Reichelt weiß, das Haushaltseinkommen liegt mehrheitlich in der Hand der Frauen.

„Women as insurance decision-makers“ ist der Titel einer jüngst von Swiss Re publizierten Untersuchung. Diese beschäftigt sich mit der Rolle der Frau als Entscheidungsträgerin beim Abschluss von Versicherungen und hat eine Reihe wichtiger und neuer Erkenntnisse geliefert. Möglicherweise müssen sich jetzt Marketing und Vertrieb von Versicherungsgesellschaften neu ausrichten und Werbebotschaften grundlegend überarbeiten.

Keine Neuigkeit ist, dass sich die Rolle der Frauen in der Gesellschaft in den letzten zehn Jahren rasant gewandelt und weiterentwickelt hat. Heute sind mehr Frauen denn je sowohl Ernährerinnen wie auch Führungskräfte oder Unternehmerinnen im privaten und öffentlichen Sektor. Letztere sind in den letzten Jahren zu einer immer wichtigeren Säule der wirtschaftlichen Stabilität geworden. Allein in den USA gibt es mehr als eine Million von Frauen geführte Unternehmen, die im Jahr 2018 einen Gesamtumsatz von 1,8 Billionen US-Dollar erzielten und mehr als zehn Millionen Menschen beschäftigten. In Europa werden 30% aller Start-ups von Unternehmerinnen geführt. Wie alle anderen Entrepreneurs müssen auch sie sich mit den Risiken bei der Führung ihrer Unternehmen auseinandersetzen. Dabei spielen Versicherungen beim Schutz ihrer Mitarbeiter, ihres Eigentums und ihres Einkommens eine wichtige Rolle.

Nur ein Wahrnehmungsfehler?

Frauen sind damit wichtige Entscheidungsträgerinnen beim Versicherungskauf, werden aber von der Assekuranz oft nicht als Käuferinnen vieler verschiedener Versicherungsprodukte wahrgenommen. Die Studie hebt hervor, dass Frauen andere Verhaltenspräferenzen haben als Männer. Bei Versicherungsangeboten, die sich speziell an Frauen richten, handelt es sich, wie wir uns eingestehen müssen, noch immer um einen bisher kaum erschlossenen Markt. 

Wenn wir die Unterschiede im Verhalten von Frauen und Männern verstehen, sind wir besser in der Lage, sie als Kundschaft geschlechterspezifisch zu bedienen. Als mögliche Konsequenz sollte die Wertschöpfungskette von der Produktgestaltung bis zum Vertrieb angepasst und spezifischer gestaltet werden. Die Verhaltenspräferenzen von Frauen und Männern beeinflussen, wie sie jeweils Versicherungen abschließen. So belegt die Swiss Re-Studie unter anderem, dass Frauen tendenziell einen größeren Teil des zur Verfügung stehenden Haushaltseinkommens für Gesundheit und Versicherungen ausgeben als Männer. Die traditionelle Ansprache an den männlichen Haushaltsvorstand geht somit oftmals ins Leere.

Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit ist es, global Wirtschaft und Gesellschaft geschlechtsspezifischer und gleichberechtigter zu formen und zu gestalten. Die Studie meines Unternehmens schätzt, dass die Gleichstellung der Geschlechter in der Weltwirtschaft bis zum Jahr 2029 bis zu 2,1 Billionen US-Dollar an zusätzlichen Versicherungsprämien einbringen könnte.

Swiss Re identifiziert drei Felder, wo wir als Assekuranz (noch) mehr machen können: Förderung der Finanzkompetenz der zu Versichernden, besseres Produktdesign und kundenspezifischere Ausrichtung des Vertriebs. Als Versicherungsbranche können wir sicherlich noch mehr individuelle Lösungen schaffen, die besser auf die Bedürfnisse der weiblichen Kundschaft zugeschnitten sind. Dem Gesundheitsprofil von Frauen könnte beispielsweise in der Krankenzusatzversicherung mit spezifischen Produktgestaltungen (noch) mehr Rechnung getragen werden.

Als Versicherungsbranche können wir auf diese Weise ein Umfeld schaffen, das nicht nur verstärkt auf die wachsenden Wünsche und Bedürfnisse von Frauen eingeht, wir können damit auch den Wandel unserer Gesellschaft zu einem gleichberechtigten Miteinander von Frau und Mann fördern und voranbringen.

Zur Person: Frank Reichelt ist Managing Director beim Rückversicherer Swiss Re und unter anderem Hauptbevollmächtigter der Niederlassung in Deutschland.

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