Ron van het Hof: „Risiken sind da und sie werden auch nach der Pandemie nicht einfach verschwinden“

Ron van het Hof, Deutschlandchef Euler Hermes, Quelle: Euler Hermes

„Wer die neuen Risiken mutig angeht und nicht den Kopf in den Sand steckt oder sich in falscher Sicherheit wiegt, dass die Krise jetzt vorbei wäre, hat es selbst in der Hand, zu den Gewinnern zu gehören“, glaubt Ron van het Hof. Im VWheute-Sommerinterview spricht der Deutschlandchef von Euler Hermes über die Folgen der Corona-Pandemie für die deutsche Wirtschaft.

VWheute: Corona hat in den vergangenen Monaten die Versicherungsbranche bestimmt: Wie ist Euler Hermes bislang durch die Pandemie gekommen und welche Auswirkungen sehen Sie insgesamt für die Kreditversicherer?

Ron van het Hof: Als Kreditversicherer haben wir maßgeblich dazu beigetragen, dass die deutsche Wirtschaft heute in einer sehr guten Ausgangsposition ist für die Zeit nach Corona. Dadurch können wir schon mitten in der Krise den allgemeinen Wirtschaftsaufschwung begleiten.

Eine weltweite Pandemie war für alle Neuland. Eine vergleichbare Situation, in der zeitgleich fast überall auf der Welt ein massiver Einbruch stattfand, gab es bis dato nicht. Deshalb war es umso wichtiger, uns gemeinsam mit dem Bund den Ernst der Lage anzuschauen und zu entscheiden, wie man vorgehen kann, um Lieferketten weitestgehend zu schützen. Unsere Einschätzung war damals, dass wir alles tun sollten, um zu verhindern, dass vorher gesunde Unternehmen und Wirtschaftsbereiche durch diese Krise unerwartet und vor allem unverschuldet in Schwierigkeiten geraten. Wir sind stolz darauf, dass uns das gelungen ist.

Wir sind mit dem Schutzschirm für die deutsche Wirtschaft gerade in dieser schwierigen Zeit neue Wege gegangen und haben dafür gesorgt, dass die hiesigen Unternehmen ihre Geschäfte nahezu unverändert fortführen können. Wir haben in dieser Zeit alle viel gelernt. Durch dieses gemeinsame Vorgehen haben viele Wirtschaftsfaktoren stabilisiert. Finanzinstitute, Unternehmen und Menschen haben sich sicher gefühlt, dass die Wirtschaft durch Kreditversicherer und den Staat quasi „doppelt gedeckt“ waren. Das hat für Ruhe und Zuversicht gesorgt und damit haben wir einen wichtigen Beitrag geleistet für die deutsche Wirtschaft in der Pandemie – sowohl volkswirtschaftlich als auch finanziell.

Eine vergleichbare Situation gab es vorher noch nie. Eine vergleichbare Antwort aber auch nicht. Es waren sehr spannende und herausfordernde Zeiten im letzten Jahr – und es wird die kommenden Monate spannend bleiben. Es wäre ein Trugschluss zu glauben, die Krise sei vorbei, es sei genügend Cash im Markt und alles wird gut. Risiken bleiben – vor der Krise, in der Krise und nach der Krise. Manche sind gleichgeblieben und manche haben sich nur verändert, manche intensiviert.

Dabei gibt es – wie immer – Gewinner und Verlierer. Unsere Expertise ist es, genau dies zu analysieren, um möglichst viele Unternehmen zu begleiten, damit sie den Weg zurück in die Erfolgsspur finden. Die Welt ist durch Corona vielerorts komplexer geworden und wir lernen alle bis heute fast jeden Tag neues dazu. Aber Euler Hermes hat die Herausforderungen als Team hervorragend gemeistert. Das Engagement der Kolleg:innen war großartig, ich war und bin immer wieder beeindruckt davon.

VWheute: Die Krise hat auch tief greifende wirtschaftliche Folgen: Mit Blick auf die aktuelle Entwicklung bei den Insolvenzzahlen prognostiziert Euler Hermes für 2022 einen Anstieg von bis zu 15 Prozent: Welche Branchen und Wirtschaftszweige sind davon besonders betroffen?

Ron van het Hof: Wir prognostizieren aktuell einen Anstieg der Insolvenzen um sieben Prozent in diesem und von bis zu 16 Prozent im kommenden Jahr. Allerdings muss man dabei auch sehen, dass dies ein Anstieg von einem sehr niedrigen Niveau ist. Ende 2021 werden es also sehr wahrscheinlich weiterhin weniger Insolvenzen sein als 2019, vor der Pandemie. Zudem beeinflussen staatliche Unterstützungsmaßnahmen auch den weiteren Verlauf: Sollte es zu einer Verlängerung einzelner Maßnahmen kommen, dürfte das weitere Verschiebungen bei der Insolvenzentwicklung ergeben.

Besonders stark betroffen sind Branchen, die entweder schon vor der Pandemie in einem strukturellen Umbruch waren und/oder die stark unter dem Lockdown gelitten haben: Hotels und Gastronomie, Tourismus, Kunst und Unterhaltung sowie der Veranstaltungssektor, der stationäre Einzelhandel (nicht Lebensmittel) sowie teilweise der Dienstleistungssektor. Einige Unternehmen werden sich mithilfe der nun einsetzenden deutlichen Erholung wieder sukzessive stabilisieren können, andere werden sich von dem langen Lockdown sowie dessen wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen aber voraussichtlich nicht mehr erholen.

VWheute: Die Bundesregierung hat die Insolvenzpflicht bekanntlich vorübergehend ausgesetzt: Wie bewerten Sie diese Entscheidung im Nachhinein? Hat diese den betroffenen Unternehmen wirklich geholfen oder eine bevorstehende Pleite am Ende nur hinausgeschoben?

Ron van het Hof: Das lässt sich nicht pauschal sagen. Einigen Unternehmen hat diese Regelung ganz sicher geholfen, da sie ihnen Zeit verschafft hat, um Kredite und Hilfsgelder zu beantragen und um sich auf die neue Situation einzustellen. Bei anderen wiederum hat es die Insolvenz nur verzögert. Und wiederum andere könnten dadurch noch in Haftungsrisiken schlittern.

Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht galt zuletzt nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen. Viele Unternehmen waren sich dessen aber nicht bewusst und könnten so unbewusst eine Insolvenz verschleppt haben, was entsprechende Haftungsrisiken mit sich bringt.

Für Lieferanten war die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ebenfalls sehr schwierig. Sie waren praktisch im Blindflug unterwegs und haben über viele Monate Waren an ihre Abnehmer geliefert, von denen sie nicht sicher wussten, ob sie am Ende bezahlt werden oder nicht.

VWheute: Jede Krise hat bekanntlich ihre Gewinner und ihre Verlierer: Wer geht aus Ihrer Sicht am Ende als Gewinner aus der Krise – und wer als Verlierer?

Ron van het Hof: Ganz generell lässt sich sagen, dass Corona wie ein Katalysator gewirkt hat. Stärken wurden potenziert, Schwächen aber erst recht. Die Schere hat sich damit erheblich vergrößert, die Klassenbesten haben ihren Vorsprung ausgebaut und die Schwächsten wurden noch weiter abgehängt. Die Nachlese der Krise wird Zeit in Anspruch nehmen.

Gewinner sind meist diejenigen Unternehmen, die flexibel auf die neue Situation reagiert haben, die einen Notfallplan in der Tasche hatten, genügend finanzielle Puffer und die dann die Krise als Chance verstanden und kreative Konzepte entwickelt haben.

Einige Firmen und Sektoren müssen sich massiv verändern und sich an neue Gegebenheiten anpassen. Einiges wird sich nie wieder komplett zurückdrehen lassen, denn weltweit sind wir in einer großen Transformation, die sich auf viele Bereiche auswirkt. Das hat Einfluss auf die Risikolage oder anders gesagt, es wird für manche schwieriger einzuschätzen, wie sie ihr Geschäftsmodell zukünftig erfolgreich weiterführen können und sollen. Die Risiken sind da und sie werden auch nach der Pandemie nicht einfach verschwinden. Risikoanalyse, Risikomanagement und vor allem auch Risikotransfer haben dadurch stark an Bedeutung gewonnen.

Wer die neuen Risiken mutig angeht und nicht den Kopf in den Sand steckt oder sich in falscher Sicherheit wiegt, dass die Krise jetzt vorbei wäre, hat es selbst in der Hand, zu den Gewinnern zu gehören. Gerade im Aufschwung sollte jeder Unternehmer seine ganz individuellen Risiken neu bewerten und sich ständig neu darauf einstellen. Denn in Zukunft werden weiterhin Einschläge kommen, eventuell sogar noch heftiger oder in kürzeren Abständen. Sich auf künftige Situationen jetzt sauber vorzubereiten und sich die richtigen Partner zu suchen, ist die Grundvoraussetzung, um auch in einem volatilen Umfeld in Zukunft auf der Gewinnerseite zu stehen – ganz unabhängig von der Branche.

VWheute: Gibt es wirklich in allen Branchen Gewinner? Was ist mit z.B. dem Einzelhandel?

Ron van het Hof: Der Einzelhandel ist ein sehr gutes Beispiel, denn da ist innerhalb einer Branche alles dabei: Große Gewinner sind ganz klar die Onlinehändler, die vom Lockdown und den dadurch ausgelösten Online-Boom profitiert haben. Großer Verlierer ist der stationäre Einzelhandel, der allerdings schon seit Jahren mit strukturellen Problemen kämpft. Einige Unternehmen haben es versäumt, rechtzeitig auf den Online-Zug aufzuspringen und zwei- oder mehrgleisig zu fahren. Andere haben es verpasst, sich mit den Bedürfnissen ihrer Zielgruppe zu verändern. Sie sind so schon vor der Pandemie über viele Jahre immer stärker abgehängt worden.

Aber auch dazwischen gibt es viele Nuancen: Die kleinen Händler, die ihre Kunden und deren Bedürfnisse sehr genau kennen und ihr Sortiment sozusagen „maßgeschneidert“ haben, haben sich auch in der Pandemie relativ gut geschlagen – auch wenn der Lockdown sicherlich vielerorts Spuren hinterlassen hat. Und dann sind da noch kreative Start-ups, die mitten in der Pandemie erfolgreich in den Markt eingetreten sind und diesen mit sehr gezielten und durchdachten Konzepten verändern und so Alternativen zu den großen Plattformen bieten. Gewinner und Verlierer gibt es in allen Branchen.

VWheute: Die dritte Coronawelle hat die deutsche Wirtschaft stärker getroffen als erwartet: Im ersten Quartal 2021 ist das BIP um 1,8 Prozent eingebrochen. Welche Erwartungen haben Sie für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland für die kommenden Monate? Und welche langfristigen ökonomischen Folgen erwarten Sie als Folge aus der Krise?

Nach einem wirtschaftlichen Fehlstart ins Jahr 2021, stehen die Chancen für ein konjunkturelles Happy End inzwischen sehr gut. Angesichts zuletzt rückläufiger Neuinfektionen sowie guter Fortschritte an der Impffront (Herdenimmunität voraussichtlich im Spätsommer) dürfte der Dienstleistungssektor einhergehend mit ersten Lockerungen der Corona-Restriktionen bereits im Mai zur Aufholjagd angesetzt haben.

In den kommenden Monaten dürfte – als Gegenbewegung zum Absturz in den Konjunkturkeller im vergangenen Jahr – ein positiver konjunktureller Rekord den nächsten jagen. Wir rechnen mit einem Konsum-Boom, angefeuert durch die aufgestaute Nachfrage und gleichzeitiger stark abnehmender wirtschaftlicher Unsicherheit. Insgesamt erwarten wir ein BIP-Wachstum von 3,4 Prozent im Jahr 2021 und 3,8 Prozent für 2022.

Angesicht der sehr positiven Konjunkturaussichten dürfte sich der Arbeitsmarktausblick deutlich aufhellen. Bis Jahresende 2021 sollte annähernd jeder Zweite, der im Zuge der Corona-Krise seinen Job verloren hat, wieder eine neue Beschäftigung finden.

Auf einige konjunkturelle Neustart-Schwierigkeiten sollte man sich jedoch trotzdem einstellen. Die abrupte Wiedereröffnung der Wirtschaft dürfte insbesondere in den Sektoren, die monatelang in einem coronabedingten Winterschlaf gesteckt haben, zu einem akuten Arbeitskräftemangel führen. Es dürften vor allem Arbeitskräfte in körpernahen Dienstleistungssektoren wie Gastronomie und Hotellerie fehlen.  

Als weitere Herausforderungen kommen die aktuelle Verknappung bei einigen Rohstoffen zum Beispiel Halbleiter-Chips oder Holz hinzu sowie ein Anstieg der Rohstoffpreise bei Stahl oder Kupfer. Insgesamt sind eine ausreichende Warenverfügbarkeit sowie stabile Lieferketten für Unternehmen ein entscheidender Faktor für einen erfolgreichen Neustart. Dabei könnten beispielsweise die knappen Containerkapazitäten für den Seetransport aktuell zu Schwierigkeiten führen, weshalb einige Unternehmen zum Beispiel Lagerbestände aufbauen.

VWheute: Blicken wir in die Zukunft: Welche Lehren ziehen Sie aus der aktuellen Pandemie? Was müssen Politik und Wirtschaft künftig besser machen, um künftigen Krisen dieser Art besser begegnen zu können?

Ron van het Hof: Deutschland hat sehr schnell reagiert. Die Politik hat sehr schnell, sehr umfangreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht. Ziel dieser Maßnahmen war es, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abzufedern und Insolvenzen möglichst zu verhindern. Das hat funktioniert, das zeigen sowohl die wirtschaftlichen Aussichten als auch die Insolvenzzahlen.

Auch Unternehmen haben sich schnell eingestellt und fast überall hat beispielsweise der Übergang von nahezu allen Mitarbeitern ins Homeoffice von einem Tag auf den anderen sehr gut funktioniert. Die Pandemie hat aber auch einige Schwachstellen offenbart, die Unternehmen nun in Angriff nehmen: Viele beschäftigen sich aktuell mit ihren Lieferketten und wie sie diese robuster aufstellen können, damit in Zukunft Unterbrechungen möglichst verhindert werden können.

Corona hat als Katalysator gewirkt – sowohl bei den Stärken als auch bei den Schwächen. Das führt dazu, dass sich die Unternehmen mit ihrer strategischen Ausrichtung für die Zukunft beschäftigen. Das ist aktuell wichtiger denn je, ebenso wie die Erarbeitung von Notfallplänen, die mit konkreten Maßnahmen unterfüttert sind, damit sie in Zukunft noch schneller und flexibler reagieren können – und dann die Krise als Chance nutzen können.

Last but not least: Corona hat die digitale Transformation in Deutschland beschleunigt. Das war allerdings erst der Anfang – er hat aber gezeigt, dass digitale Unternehmen widerstandsfähiger sind, aber auch, dass noch viel Luft nach oben ist.

VWheute: Inwieweit hat die Pandemie Arbeitsmodelle und Unternehmen selbst verändert und wie entwickelt sich dies in der Zukunft?

Ron van het Hof: Neben den wirtschaftlichen Themen gibt es aber auch noch viele andere Aspekte, bei denen wir alle Hausaufgaben und Herausforderungen haben. Die Gesundheit – mental wie physisch steht über allem. Darüber hinaus stellt sich aber auch die Frage, wie wir in Zukunft zusammenarbeiten wollen, welche Arbeitsmodelle für uns für die Zukunft optimal sind und wie wir das „Beste aus zwei Welten“ zusammenführen können, damit wir alle davon profitieren. 

Ich persönlich hoffe und wünsche mir, dass wir uns alle schnell wieder sicher und persönlich treffen können. Wir Menschen fühlen uns wohl bei einem persönlichen Austausch und einer persönlichen und vertrauensbasierten Zusammenarbeit, nah am Geschäft und nah an den Risiken. Gleichzeitig hat die Pandemie eindrucksvoll bewiesen, welche positiven Aspekte die noch größere Flexibilität durch mobiles Arbeiten mit sich bringt.

Wir lernen viel von und in dieser Krise. Wir müssen die positiven Aspekte in die Zukunft mitnehmen. Und wir müssen unser Verhalten gegenüber der Natur anpassen und sie noch stärker schützen. Die Erde ist durch die Krise kurz aufgeblüht. Ich hoffe, dass das ein Weckruf war, dass wir alle in Politik, Wirtschaft und Privatleben wirklich ernsthaft gemeinsam nachhaltiger werden.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.

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