Montagskolumne mit Torsten Oletzky: „Hohe Vertriebs­kosten sind die Achillesferse der Versicherungswirtschaft“
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Torsten Oletzky, Digitalisierungsexperte und Kolumnist bei VWheute. Quelle: TH Köln/Thilo Schmülgen - bearbeitet von VWheute.

In den letzten Wochen ist die Diskussion um die Riesterrente, ihre Eignung als Instrument der Altersvorsorge und die Belastung der Kunden mit Vertriebskosten neu entbrannt. Weder ist das Thema neu, noch kann es wirklich überraschen, dass die Diskussion im Vorfeld der Bundes­tags­wahl wieder auflebt. Umso bemerkenswerter erscheint die teils vehemente Ablehnung aus der Branche, über einen Lösungsvorschlag aus den eigenen Reihen auch nur zu diskutieren. In der Politik dürfte dieses Verhalten auf wenig Verständnis stoßen. Eine Kolumne von Torsten Oletzky.

In einer Pressemeldung zum 20. Jubiläum des Gesetzes zur Riesterrente räumt GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen Reformbedarf bei der Riesterrente ein und bietet an, „über ein einfaches, kostengünstiges und digital zu vertreibendes Standardprodukt zu sprechen.“ Asmussen kommt bekanntlich ursprünglich nicht aus der Versicherungswirtschaft, sondern aus der Politik.

Er kennt die politischen Entscheider gut, er versteht deren Erwartungs­haltung an die Unternehmen und ihre Verbände und er weiß, dass in der neuen Legislatur­periode wieder Themen kommen werden, bei denen die Branche auf das Verständnis und das Wohlwollen der politischen Entscheider angewiesen sein wird. Es dürfte ihm insofern leicht gefallen sein, eine Position zu räumen, die auf Dauer ohnehin nicht zu halten sein wird. Die hohen Vertriebs­kosten sind die Achillesferse der Versicherungswirtschaft, besonders dort wo privatwirtschaft­liche Versicherungsprodukte und Lösungsansätze der Sozialversicherung unmittelbar miteinander konkurrieren wie in der Lebens- und Krankenversicherung.

Nicht jedem in dieser Branche schmeckt diese Erkenntnis. So äußerte sich der Präsident des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute (BVK), Michael Heinz, wenig begeistert von Asmussens Vorstoß: „… einfach zu glauben, man könne ein so schwieriges und lebensbegleitendes Produkt mal eben ins Netz stellen, als wenn ich am Kaugummiautomaten etwas ziehe – das läuft so nicht, …“. Es war erwartbar, dass der oberste Interessenvertreter der Vermittler einen Vorstoß in Richtung eines wenig beratungsintensiven Standardprodukts, das sich digital vertreiben lässt, nicht gutheißen wird.

Aber auch aus den Reihen der Versicherer, von denen wir einen ganzheitlicheren Blick auf die Problematik erwarten sollten, gab es offensichtlich deutlichen Widerstand gegen Asmussens Vorstoß. Die Vorstände mehrerer Versicherer sollen sich beim GDV beschwert haben. Eine Lösung, wie das Problem der hohen Vertriebskosten, die das Riesterprodukt beim aktuellen Zinsniveau für den Kunden unattraktiv machen, gelöst werden soll, bleiben die Kritiker aber schuldig.

Wenn die Versicherer aus der Defensive kommen wollen und von der Politik als Teil der Lösung statt als Teil des Problems wahrgenommen werden wollen, dann müssen sie das Problem der zu hohen Vertriebskosten von sich aus angehen und dürfen nicht darauf warten, bis der Politik der Kragen platzt und eine neue Regulierungswelle kommt. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Natürlich sollen die Vermittler für eine gute Beratung eine angemessene Vermittlungsprovision erhalten.

Aber das Produkt muss in der Lage sein, die dadurch entstehenden Kosten zu tragen, ohne dass die Kunden ein schlechtes Geschäft machen. Dort, wo aufgrund niedriger Zinsen und knapper Margen nichts zu verteilen ist, besteht eben auch kein Spielraum für hohe Provisionen. Dort muss das Produkt standardisiert und die Komplexität aus der Beratungssituation genommen werden, damit es die hohen Provisionen nicht braucht. Und dann kann ein solches Produkt auch gut digital verkauft werden.

Durch Standardisierung und Digitalisierung auch im Vertrieb können Produkte mit geringen Margen wieder wettbewerbsfähig gemacht werden. Allerdings führt nicht jede Form des digitalen Vertriebs automatisch zu diesem Ergebnis. Wenn sich Vergleichsportale mit massiven Werbeschlachten im Fernsehen und einem Wettbieten um die besten Google-Positionierungen im „Search Engine Advertising“ einen Verdrängungswettbewerb leisten, bis der digitale Vertrieb teurer ist als die persönliche Beratung durch einen Vermittler, dann stimmt etwas nicht. Die Versicherer müssen daher mit eigener Kreativität und der Stärke ihrer Marken kostengünstigere, digitale Vertriebsformen entwickeln, statt sich ohne jede Fantasie in die Hände der Vergleichsportale zu begeben.

Digitale Vertriebsmodelle funktionieren bekanntlich dann am besten, wenn die Kunden aus eigenem Antrieb aktiv werden. Und hier schließt sich der Kreis. Mit dem mutigen Schritt der Rot-Grünen-Bundesregierung unter Gerhard Schröder zugunsten einer staatlich geförderten, privaten Altersvorsorge hat die Politik der Versicherungswirtschaft seinerzeit einen großen Vertrauensvorschuss entgegengebracht und viele Kunden von der Notwendigkeit einer privaten Zusatzvorsorge überzeugt.

Dass die Rechnung vor dem Hintergrund der langanhaltenden Niedrigzins­phase am Ende nicht aufgegangen ist, war nicht die Schuld der Politik. Wenn es nun einen zweiten Anlauf braucht, der nur mit einer deutlichen Reduzierung der Vertriebskosten gelingen kann, dann sollten die Versicherer von sich aus mit Lösungsvorschlägen auf die Politik zugehen. Der Vorstoß von Asmussen in Richtung von Standardisierung und kostengünstigen, digitalen Vertriebsmodellen ist daher richtig und verdient die Unterstützung aller Versicherer. Es ist an der Zeit, dass die Branche ihren Reformwillen unter Beweis stellt und das Problem der zu hohen Vertriebskosten bei Produkten mit überschaubarem Beratungsbedarf aus eigener Kraft konsequent angeht.

Zum Autor: Torsten Oletzky lehrt an der TH Köln. Zuvor arbeitete er unter anderem bei  McKinsey und war Vorstand bei der Mannheimer und Ergo. Der Digitalisierungsexperte ist Vorstand beim Insurlab Germany in Köln.

6 Kommentare

  • Sehr geehrter Herr Oletzky,

    haben Sie sich einmal die Arbeit gemacht einen Tarif durchzurechnen bevor Sie diese Kolumne schreiben? Ich schon. Und ich kann Ihnen sagen es sind nicht die Vertriebskosten, sondern die VERWALTUNGSKOSTEN, welche die Tarife uninteressant machen. Ich bitte Sie hier künftig, eine genaue Differenzierung der Begrifflichkeiten vorzunehmen.

    In allen anderen Punkten bin ich genau Ihrer Meinung.

    lg. Weinzierl

  • In dem Artikel wird leider nicht klar, wo der Autor bei den Versicherern das Einsparpotential sieht. In den Provisionssätzen oder bei den internen Vertriebskosten der Versicherer. Bei der sehr pauschalen Behauptung, die Provisionen seien zu hoch, bleibt immer unklar, für welchen Beitrag diese Formulierung überhaupt gelten soll. So scheinen mir bei den Verbraucherschützern eher Neidreflexe bei der Betrachtung sehr großer Abschlüsse eine treibende Kraft zu sein. Dabei müssten Sie doch eher auf eine Beratungssituation weniger solventerer Kunden, mit relativ niedrigen Beiträgen abstellen. Gerade hier ist gute Beratung notwendig und kann nur mit angemessener Bezahlung erbracht werden.
    Leider übersieht der Autor bei seinen Ausführungen über die Einführung der Riester-Rente auch wesentliche Dinge. Ja, ein neues gefördertes Produkt wäre positiv gewesen. Hätte man nicht eine sehr komplexe und erklärungsbedürftige staatliche Förderstruktur, teilweise überbordende Vorgaben zu den Produkteigenschaften mit einer aus dem Boden gestampften, bis heute überforderten und unzulänglichen Verwaltung der Förderanträge kombiniert, hätte etwas daraus werden können! Und auch der „Abstieg“ der Riester-Rente wäre ohne staatliches zutun nicht möglich gewesen. Hätte man gegen die völlig überzogene, teilweise unsachliche und falsche Berichterstattung, und hier stehen die staatlich finanzierten Verbraucherschützer an vorderster Front, vernehmbar Stellung bezogen. Hätte man sinnvolle und notwendige Korrekturen beherzt angefasst, statt sie im Parteienstreit zu zermürben. Es wäre sicher einfacher gewesen, diese Verträge dem Bürger zu vermitteln. Und selbst dann wäre es problematisch gewesen, als Vermittler, mit dieser Tätigkeit, den Stundenlohn eines Facharbeiters zu erwirtschaften.
    Aus heutiger Sicht bezweifele ich den politischen Willen, zumindest der SPD dazu. Hier scheint der Wille, alle Ergebnisse der Ära Schröder pulverisieren zu wollen, weil der generelle Politikansatz – „fördern und fordern“ – als nicht opportun empfunden wird, alle Vernunft zu neutralisieren.
    Last but not least fällt das gravierende Problem der Nullzinsen in den Bereich der staatlichen Verantwortung. Wer sich durch kalte Enteignung, gerade der unteren und mittleren Schichten, gesund rechnet, sollte die Schuld für die Folgeprobleme nicht anderen zuschieben wollen !!!
    Herr Heinz hat also absolut zu Recht, sehr frühzeitig, eine rote Linie zum Schutze der kleinsten und letzten Glieder in der Kette, der Vermittler, gezogen. Der Ball liegt immer noch im Spielfeld der Politik und der Versicherer.

  • Dr. Andreas Billmeyer

    Die Komplexität im Produkt Riester stammt ja überhaupt nicht aus den Reihen der Versicherer, sondern liegt im Design dieser doppelten Förderung per Zulage und Steuervorteil begründet. An sich ist an einem Produkt mit 100% Garantie jetzt nicht mehr so viel komplex – außer dem Unterschied ob es klassisch oder fondsgebunden (bei aktuellen Zinsen aber auch wieder weitgehend faktisch klassisch) umgesetzt wird.
    Dazu immer mehr Anforderungen an den Beratungsprozess – da muss man einfach auch die Erwartungshaltung der Politik bremsen: Das wird nicht ohne substanzielle Vertriebskosten gehen!
    …von der Verwaltung der Zulagen erst gar nicht zu reden…

  • Dr. Andreas Billmeyer

    P.S.: Und an der Unattraktivität der momentanen Zinsen war die Politik mit einer Staatsfinanzierung per EZB-Käufe natürlich auch nicht unschuldig! Von komplizierteren Themen wie der für Lebensversicherer nicht verlässlichen Regelung zur Abschreibung von stillen Aktien-Lasten nach §341b einmal ganz abgesehen. Wenn bilanziell die Hosenträger vorgeschrieben sind, dann kann man eben nicht sehr renditeorientiert anlegen…

  • Maik Drzymalla

    Sehr geehrter Herr Torsten Oletzky,
    Hohe Vertriebskosten sind die Achillesferse der Pharmaindustrie, Der Automobilindustrie, der Nahrungsmittelindustrie, der Chemieindustrie, …….
    und natürlich sind die Stundenlöhne die Achillesferse der Handwerker.
    ???

  • Interessante These: Weniger komplexe Produkte rechtfertigen geringere Provisionen.
    Trotzdem müssen wir Berater ja alle Produkte kennen und erläutern können. Komplexe und einfache.
    Weder der Aufwand für die Kundenakquise, die Haftung für Falschberatung oder die Dokumentationspflichten werden berücksichtigt bei einem solchen Vorschlag.
    Mehr Qualität in der Beratung wird nicht mit weniger Vergütung erzielt werden.
    Natürlich müssen aus Verbrauchersicht die Kosten runter: Stückkosten, Geldanlagekosten, Verwaltungskosten, etc. wären digitalisiert sicherlich deutlich günstiger. Das muss günstiger gehen. Die Beratung von Mensch zu Mensch hat Ihren Preis. Wie bei jedem Handwerker. Nur da die Versicherung letztlich profitiert ist es korrekt, dass Sie den Vermittler entlohnt und nicht der Kunde, bzw. die Kundin. Hoch sind die Vertriebskosten übrigens schon lange nicht mehr.

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