„Die Terror-Gefahr ist von allen Risiken mit Großschadenpotenzial in Deutschland die exponierteste“
Nach einem Terroranschlag haben viele Menschen ein mulmiges Gefühl. Doch nach ein paar Tagen der Berichterstattung verschwindet das Thema auch schnell aus den Medien und den Köpfen der Menschen. Wie ist das Terrorrisiko nun einzuschätzen? Wir sprachen mit Corinna Walter, Terrorismus-Underwriter für Liberty Specialty Markets, über die Prämienkalkulationen von Terrorrisiken und neue Deckungskonzepte für veränderte Bedrohungsszenarien.
VWheute: Laut Aon hat die Covid-Pandemie dazu geführt, dass terroristische Aktivitäten weltweit 2020 zurückgegangen sind. Würden Sie das bestätigen?
Corinna Walter: Einen solchen Zusammenhang herzustellen halte ich für spekulativ. Die eingeschränkten Reisefreiheiten mögen auch die Bewegungsfreiheit von Terroristen reduziert haben. Andererseits dürften dezentral organisierte Netzwerke in ihren Handlungsmöglichkeiten dadurch nicht wirklich eingeschränkt worden sein. Für unser Haus kann ich sagen, dass sich die Schadenquote 2020 im Vergleich zum Vorjahr nicht verändert hat.
VWheute: Experten befürchten, dass Afghanistan sich wieder zu einer Terrorismus-Hochburg entwickelt. Wie bewerten Sie diese Situation?
Corinna Walter: Die Rückkehr der Taliban an die Macht hat die Gefahr, die von Afghanistan ausgehen kann, sicherlich wieder stärker ins Bewusstsein gebracht. Andererseits war Afghanistan auch in der Vergangenheit fast nie vollständig unter der Kontrolle der Zentralregierung. Man sollte die Rolle Afghanistans nicht überbetonen, denn aus Berichten geht hervor, dass es Rückzugsräume für Terroristen mittlerweile auch in einer Vielzahl anderer sogenannter „Failed States“ wie zum Beispiel Lybien, Syrien und Somalia gibt. Bezogen auf Afghanistan bleibt abzuwarten, inwieweit es dem neuen Taliban-Regime gelingt, seine Macht im Land zu konsolidieren, bevor sie womöglich neue terroristische Unternehmungen beginnen. Ferner sind die Taliban keine homogene Gruppe. Es gibt radikale und moderate Kräfte mit unterschiedlichen Zielen.
VWheute: Also besteht auch keine große Gefahr für Deutschland?
Corinna Walter: Die Ruhe des Augenblicks bedeutet nicht, dass es hierzulande keine Gefahren gibt. Laut Bundesregierung gibt es noch 78 aktive Dschihadisten, die von Geheimdiensten beobachten werden. Die Terror-Gefahr ist von allen Risiken mit Großschadenpotenzial in Deutschland die exponierteste.
VWheute: Die Schadenquote scheint stabil zu sein. Und wie haben sich die Prämien in den vergangenen Jahren entwickelt?
Corinna Walter: Nimmt man einen längeren Zeitraum, dann sieht man keine großen Bewegungen bei den Prämien. Jedoch erleben wir gerade einen drastischen Anstieg bei den Gefahren ziviler Unruhen/Streiks/politischer Gewalt, die ebenfalls zur Terrorversicherung gehören. Ein Beispiel ist die teilweise gewaltsame Reaktion auf die Corona-Beschränkungen in verschiedenen Ländern. Unzufriedenheit und die Reaktion von Impfgegnern entladen sich auf den Straßen in Ländern, die wir vorher gar nicht auf dem Schirm hatten.
VWheute: Dennoch ist die Sparte nach wie vor profitabel?
Corinna Walter: Ja, das ist sie. Zu der Besonderheit der Sparte gehört das mögliche große Ausmaß von Schäden und die sich eventuell rasch verändernde Risikosituation in den Ländern. Dies gilt es ständig zu analysieren.
VWheute: Und wie gehen Sie bei der Kalkulation dabei vor?
Corinna Walter: Die Terror-Sparte ist relativ jung und erst mit dem 11. September 2001 entstanden. Deswegen verfügen wir nicht über eine lange Schadenhistorie. Wir beginnen mit einer Ausgangsprämienrate, die auf Basis eigener Schadenerfahrungen und -beurteilungen ermittelt wird. Anschließend wird dieser Wert in Abhängigkeit von Risikoart, Belegenheit und Umgebungsparameter angepasst. Für besonders herausgehobene Risiken oder ungewöhnliche Länder nutzen wir zusätzlich externe, unabhängige Spezialisten. Hinzukommt der Austausch mit meinen Kollegen in den entsprechenden Regionen.
Die verwendeten Prämienraten werden regelmäßig von unseren Aktuaren überprüft und können gegebenenfalls rasch angepasst werden. Das ist wichtig, um beispielsweise auf zivile Unruhen zu reagieren. Chile etwa war vor zwei Jahren gar kein besonders großes Risiko. Mit der Protestbewegung im Jahr 2019 haben sich die Raten innerhalb von drei Monaten zu einem Extremrisiko gewandelt, sodass viele Versicherer dort nicht mehr zeichnen wollten. Von daher ist die Risikobewertung ein andauernder Prozess, wie wahrscheinlich das in jeder Sparte der Fall ist.
VWheute: Welche Veränderungen und Innovationen lassen sich in der Terrorversicherung beobachten?
Corinna Walter: Wir beobachten seit Jahren, dass die Mehrzahl der Anschläge von Einzeltätern verübt und dabei einfache Waffen wie ein Messer oder ein Auto eingesetzt werden. Für die Täter sind die Anschläge damit leichter vorzubereiten, für Behörden wiederum schwieriger zu verhindern. Dabei entsteht meist kein großer Sachschaden. Wird das Stadtzentrum in so einem Fall abgeriegelt und ein Ladenbesitzer muss vorübergehend schließen und erleidet einen Ertragsausfall, dann wäre er trotz einer Terror-Police nicht versichert, weil der Versicherungsnehmer keinen Sachschaden am eigenen Geschäft erlitten hat. Wir haben unser Deckungskonzept dahingehend angepasst und in unser Wording einen Sachschaden-unabhängigen Betriebsunterbrechungsschaden mit aufgenommen. Zusätzlich kann der Versicherungsschutz erweitert werden, wenn Waren nicht geliefert werden konnten, weil es auf dem Grundstück eines Zulieferers zu einem versicherten Terrorereignis gekommen ist.
VWheute: Mit dem Spezialversicherer Extremus haben Sie in Deutschland bei Großrisiken einen mächtigen Konkurrenten. Warum sollten Kunden dennoch Liberty Specialty Markets bevorzugen?
Corinna Walter: Die Kapazität von Extremus mit 10 Mrd. Euro ist natürlich unschlagbar und für Großrisiken sicherlich auch notwendig. Ich sehe es als einen unserer großen Vorteile, dass wir flexibler auf Kundenbedürfnisse reagieren können. Dazu gehören Zusatzbausteine bei den zivilen Unruhen, generell die Möglichkeit Versicherungsschutz im Ausland bieten zu können und die Möglichkeit der Schadenregulierung in Zusammenarbeit mit lokalen Experten. Hinzu kommt der Vorteil, Verlängerungspolicen anbieten zu können, was von den Maklern geschätzt wird.
Staatlich unterstützte Versicherungskonzepte wie bei Extremus benötigen hingegen jährlich entsprechende Regierungsbeschlüsse. Mit unserer Kapazität von 250 Mio. Euro waren wir bisher immer in der Lage, auch in Konsortien für Großunternehmen einen substanziellen Anteil zeichnen zu können. Die Mehrzahl unserer Mittelstandskunden decken wir in Alleinzeichnung.
VWheute: Wurde die Summe Ihrer Höchstdeckung von 250 Mio. Euro bei einem Schaden jemals ausbezahlt?
Corinna Walter: Bislang noch nie.
Interview: David Gorr
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