Delvag-Vorstand Hanelt im Interview: „Es werden über 2022 hinaus noch Nachwirkungen der Pandemie zu spüren sein“

Kommt die Luftfahrtbranche durch die Krise? Quelle: Delvag.

Weniger Fluggäste, (leichter) Rückgang in der Transportwarenversicherung und mehr Klimabewusstsein bei Politik und Kunden. Die Aussichten für die Flugbranche und Lorenz Hanelt, Vorstandsmitglied Delvag Versicherungs-AG und Geschäftsführer Albatros Versicherungsdienste GmbH, könnten besser sein. Als Gegenmittel zu den Herausforderungen setzt er auf Flexibilität beim Angebot und eine Verbesserung bei den internationalen Versicherungsprogrammen. Im Sommerinterview erklärt er, ob das reichen wird.

VWheute: Delvag hat im letzten Jahr einen deutlichen Rückgang bei den Beitragseinnahmen hinnehmen müssen. Was sind die wesentlichen Gründe für das deutliche Minus? Inwieweit hat die Corona-Krise ihre Spuren bei Delvag hinterlassen?

L. Hanelt: In der Tat hat die Corona-Krise ihre Spuren auch in unseren Finanzergebnissen hinterlassen. Vor allem in der Luftfahrtversicherung sind die Prämien durch den sehr eingeschränkten Luftverkehr wahrnehmbar gesunken. Selbst die durch den erhöhten Frachtverkehr gestiegenen Beiträge in der Transportversicherung konnten das nicht komplett ausgleichen. In Kombination mit einer sehr guten Schadenquote hat sich unser Ergebnis dennoch robust gezeigt und liegt wie geplant knapp unter Vorjahresniveau. Aber auch unsere in 2020 begonnene strategische Neuausrichtung des Geschäftsbereiches Rückversicherung, insbesondere durch die Abgabe von großen Teilen des Fremdgeschäftes, führte zu einem Prämienabrieb. Wir möchten den Fokus im Rückversicherungsgeschäft auf den Ausbau von individuellen und innovativen Versicherungslösungen zur Stärkung der Captive-Funktion innerhalb der Lufthansa Group legen und der damit verbundenen Deckung weiterer Konzernrisiken. Diesen Weg werden wir auch in den nächsten Jahren weiterverfolgen.

VWheute: Vor allem 2020 hat die Luftfahrtbranche insbesondere bei der Personenbeförderung deutlich gelitten. Viele Airlines wollen ihre Flotte reduzieren, manche Fluggesellschaften haben ihren Betrieb ganz eingestellt. Welche Folgen hat dies für die Luftfahrtversicherer und konkret für die Delvag/Albatros?


L. Hanelt: Der Effekt aus dem Rückgang der Passagierzahlen in 2020 zeigte sich für die Luftfahrtversicherungsbranche insbesondere in einem Rückgang der Prämieneinnahmen, da diese eng an die Verkehrsleistung der Airlines gekoppelt waren. Gleichzeitig ging zwar auch die Schadenbelastung zurück; jedoch nicht in gleichem Umfang wie die Prämie. Entsprechend hat der Versicherungsmarkt reagiert und die Prämien in Teilen von der Entwicklung der Verkehrsleistungen entkoppelt, um in 2021 trotz pandemiebedingter Planungsunsicherheiten ein versicherungstechnisch angemessenes Prämienniveau zu erreichen.

Parallel hierzu hat sich im Zuge der Pandemie ein recht dynamisches Risikolagebild gezeigt: einerseits führte die deutliche Reduktion von Flugbewegungen erwartungsgemäß zu einem Rückgang der Schadenbelastung; andererseits resultierte aus dem dauerhaften Parken von Tausenden von Flugzeugen weltweit eine erhöhte Gefahr aus Naturereignissen (Sturm, Hagel etc.), die in diesem Umfang bislang nicht in den Kalkulationsmodellen der Versicherungsbranche Berücksichtigung fand.

Mittelfristig ist zu erwarten, dass auch über die Jahre 2021 und 2022 hinaus noch Nachwirkungen der Pandemie zu spüren sein werden. Beispielhaft genannt seien hier die Flottenverkleinerungen bei gleichzeitiger Flottenerneuerung sowie die weitere Konsolidierung in der Aviation-Branche. Diese wird durch in finanzielle Schieflage geratene Unternehmen deutlich beschleunigt und somit auch eine Auswirkung auf die globale Kundenbasis der Luftfahrtversicherer haben.

„Seitens Albatros und Delvag stellen wir uns auf die Herausforderungen ein.“

Lorenz Hanelt, Vorstandsmitglied Delvag

Seitens Albatros und Delvag stellen wir uns auf diese Herausforderungen ein und sind eng mit den einzelnen Teams innerhalb der Lufthansa Group in Kontakt, um frühzeitig neue oder veränderte Risiken zu erkennen und versicherungsseitig Lösungen hierfür zu entwickeln. Das schließt auch Reiseversicherungen für unsere Passagiere ein, die in Zeiten sich ständig ändernder Regeln und Einschränkungen den Reisenden eine bessere Planungssicherheit geben und sich so der Urlaub deutlich entspannter angehen lässt.

VWheute: Mit der Urlaubssaison und leicht steigenden Buchungszahlen zeigt sich eine erste kleine Erholung in der Luftfahrtbranche. Macht sich dies bei den Luftfahrtversicherern bemerkbar und wie sehen Sie die Perspektiven für dieses Jahr?

L. Hanelt: Aus Sicht der Luftfahrtversicherer ist das Jahr 2021 bislang unauffällig verlaufen. Durch die teilweise Entkoppelung von Beförderungsleistungen und Raten, wird das Prämienvolumen nicht den gleichen großen Schwankungen wie im Vorjahr unterliegen.

Gleichzeitig war das erste Halbjahr durch eine geringe Schadenbelastung gekennzeichnet. Allerdings bleiben für das zweite Halbjahr weitere Fragezeichen, die mit den Herausforderungen beim Wiederhochfahren des Flugbetriebs verbunden sind, z. B. wirkt sich die fehlende Routine aufgrund des reduzierten Flugbetriebs auf die handelnden Parteien (z. B. Piloten oder Bodendienstleister) aus? Entstehen zusätzliche Risiken durch die Wiederinbetriebnahme einer Vielzahl geparkter Flugzeuge? Wie stellt sich die Infrastruktur (z.B. Flughäfen, Flugsicherung) auf eine deutliche Zunahme des Flugbetriebs ein? Wird hinsichtlich des Verhaltens der Passagiere an Bord eine Veränderung festzustellen sein (Stichwort „Unruly Passengers“)? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die kommerzielle Luftfahrtindustrie natürlich und steht im ständigen Dialog mit den Versicherungsmärkten, um diese potenzielle Sorgen hinsichtlich einer sich negativ verändernden Risikolandschaft im Luftverkehr zu nehmen.

Lorenz Hanelt, Vorstandsmitglied Delvag Versicherungs-AG und Geschäftsführer Albatros Versicherungsdienste GmbH.

VWheute: Die Transportversicherung hat indes im Jahr 2020 einen deutlichen Boom erlebt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung: Ist dies eher ein Kurzfrist-Moment oder hat diese Entwicklung auch einen nachhaltigen Effekt?

L. Hanelt: Gefühlt haben wir alle einen Boom in der Transportversicherung wahrgenommen. Dies liegt m. E. eher an der vermehrten Medienberichterstattung im Zusammenhang mit dem Transport von zur Bekämpfung von Corona notwendiger Waren wie Masken, Schutzkleidung u. v. m. Die offiziellen Zahlen sprechen nämlich eine andere Sprache: Tatsächlich ist das Prämienvolumen in der Transportwarenversicherung lt. GDV-Statistik im Jahr 2020 um ca. 1,2  Prozent gesunken.

Für die nächsten zwei bis drei Jahre erwarten wir stärkere Schwankungen auf der Prämienseite, da das Welthandelsvolumen laut WTO im Jahr 2021 um 8 Prozent und in 2022 mit nur noch vier Prozent steigen wird.

Die Transportversicherung ist und bleibt aufgrund unseres Spezial-Know-hows in einigen Segmenten ein wichtiger Bestandteil unseres Geschäftsmodells.

„Die Aufgabe der Versicherungswirtschaft wird darin bestehen, sich flexibel auf die geänderten Rahmenbedingungen einzustellen.“

Lorenz Hanelt, Vorstandsmitglied Delvag

VWheute: Werfen wir einen kurzen Blick in die Zukunft: Welche langfristigen Folgen wird die Corona-Krise auf die Luftfahrtbranche und damit auch auf die Luftfahrtversicherer haben?

L. Hanelt: Wir betrachten die langfristigen Herausforderungen eher ganzheitlich und nicht isoliert auf die Pandemie bezogen.

Über die nächsten Jahre werden wir vermutlich eine geringere Nachfrage und somit weniger Passagiere sehen, insbesondere im Geschäftsreisesegment. Möglicherweise wird es einen kurzfristigen Nachholeffekt geben, da die Sehnsucht nach Urlaub in der Ferne aber auch nach einem persönlichen Meeting mit dem Geschäftspartner groß ist; dieser Effekt wirkt aber nicht nachhaltig und auch nicht in der Breite.

Flottenverkleinerungen und -erneuerungen sind ein Thema, das nicht nur ein wirtschaftlicheres Fliegen ermöglicht, sondern sich auch positiv auf die Klimabilanz auswirkt. Der Umgang mit der gesamtgesellschaftlichen Herausforderung Klimaschutz ist ohnehin sowohl aktuell als auch in der Zukunft ein Thema, das großen Einfluss auf die Luftfahrtindustrie hat und bei dem sowohl die Airlines als auch die Politik auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene konstruktiv und zielführend zusammenarbeiten müssen. Das Setzen richtiger Anreize zur Investition in klimafreundliche Technologie, verbunden mit der Schaffung von adäquaten Alternativen zum Flugverkehr im Kurzstreckensegment und der länderübergreifenden Optimierung von Flugrouten zur Vermeidung von unnötigen Flugstrecken sind hier nur einige Beispiele.

Die Aufgabe der Versicherungswirtschaft wird darin bestehen, sich flexibel auf die geänderten Rahmenbedingungen einzustellen, ihre Deckungskonzepte auf eine sich ständig ändernde Risikolandschaft anzupassen und sowohl technologisch als auch hinsichtlich der Prozesseffizienz mit der Luftfahrtindustrie mitzuhalten. Wer heutzutage innerhalb von Sekunden eine Bestellung bei einem Onlineshop in Asien aufgibt, die Bestellung im gleichen Atemzug bezahlt und kurze Zeit später bereits in seiner App in Echtzeit verfolgen kann, wie sich die Ware von Asien auf den Weg Richtung Europa macht, der wundert sich sehr darüber, dass die Ausstellung von Versicherungspolicen in internationalen Versicherungsprogrammen teilweise mehrere Monate dauert und auch die Geschwindigkeit der Prämien- und Schadenadministration innerhalb der Versicherungsnetzwerke eher der eines Containerschiffes als der eines Flugzeugs ähnelt.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.