Allianz-Vorstand Klaus-Peter Röhler: „Coronakrise hat massive Schutzlücken offengelegt“

Klaus-Peter Röhler. Quelle: Allianz

Die wirtschaftlichen Folgen einer Pandemie wie Covid-19 sind in der Schadenversicherung nicht versicherbar. Der globale Produktionsverlust durch das Virus und die damit verbundenen Lockdowns beträgt laut Weltbank alleine für das Jahr 2020 4,5 Billionen US-Dollar. „Das alles klingt erschreckend“, schreibt Allianz-Vorstand Klaus-Peter Röhler im exklusiven Gastbeitrag für VWheute. Auf der anderen Seite sind diese Zahlen nur die logische Konsequenz daraus, wie eine Versicherung funktioniert, nämlich nach dem „Prinzip der großen Zahl“.

Bei 30 Mrd. US-Dollar jährlichen Prämien für Betriebsunterbrechungsversicherungen bräuchte die Branche 150 Jahre, um nur den Covid-19-Schaden für das Jahr 2020 abzutragen. Zu diesem Ergebnis kommt die Geneva Association, der größte internationale Think Tank der Versicherer, bei dem auch die Allianz Mitglied ist, in ihrer Studie vom November letzten Jahres.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) schätzt, dass Kunden deutschlandweit bislang jährliche Beiträge von rund 25 Mio. Euro insgesamt für Betriebsschließungsversicherungen gezahlt haben. Der ganze Versicherungssektor hat 2020 aber schon rund 900 Mio. Euro für Betriebsschließungen geleistet oder zurückgestellt – die Schadenquote ist also ziemlich hoch.

Das alles klingt erschreckend. Auf der einen Seite. Auf der anderen Seite sind diese Zahlen nur die logische Konsequenz daraus, wie eine Versicherung funktioniert, nämlich nach dem „Prinzip der großen Zahl“: Viele Menschen zahlen einen vergleichsweise geringen Beitrag ein, damit wenige Betroffene viel Geld bekommen, wenn ihnen ein Schaden zustößt. So kann die Last auf alle Schultern verteilt werden. Bei einer Pandemie greift dieses Prinzip nicht mehr.

Warum? Damit das Versicherungsprinzip versicherungsmathematisch darstellbar ist, müssen die Risiken statistisch einschätzbar und vor allem hinreichend unabhängig voneinander sein. Nur so kann eine Streuung der Risiken nach Parametern wie Zeitachse, Geografie oder Schadentypus erfolgen. Und nur so bleiben die Beiträge vergleichsweise gering.

Pandemie gleicht einem „Flächenbrand“

Genau hier wird es bei einer weltweiten Pandemie problematisch: Das Kriterium der „unabhängigen Risiken“ wird bei einer Pandemie nicht erfüllt. Die Betriebsunterbrechung und -schließung hat viele Branchen geografisch flächendeckend durch ein und dieselbe Ursache – das Virus SARS-CoV-2 – getroffen. Zusätzlich kommt es bei einer Pandemie sogar noch zu Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Risiken – wie Betriebsunterbrechungen, Auswirkungen auf die globalen Kapitalmärkte, Anstieg der medizinischen Kosten und Sterblichkeit.

Damit gleicht eine Pandemie einem „Flächenbrand“, der sich rasch über viele Länder ausbreitet mit massiven ökonomischen Verlusten. Für Versicherer zählt eine Pandemie zu den sogenannten Kumulrisiken – also Gefahren, die gleichzeitig überproportional viele Schäden anrichten. Der mit diesem Kumulrisiko verbundene Kapitalbedarf wäre so hoch, dass eine effektive Abdeckung nur durch den privaten Versicherungsmarkt allein Versicherungsprämien notwendig machen würde,  die für die  Versicherungsnehmer völlig unattraktiv, wenn nicht sogar unbezahlbar wären.

Typische Kumulrisiken sind Unwetterereignisse. Diese treten glücklicherweise oft nur lokal auf. Dann wird beispielsweise ein Hagelsturm in München von den Versicherten in Berlin mitgetragen, die nicht vom Sturm betroffen sind. Doch das funktioniert bei einer Pandemie nicht. Es gibt keinen Ausgleich im Kollektiv, weil der Lockdown und damit die Betriebsschließungen jeweils landesweit gelten.

Gleichzeitig hat die Coronakrise auch massive Schutzlücken offengelegt – vor allem im Bereich der Betriebsschließungen und -unterbrechungen. Natürlich sind viele Lösungsansätze denkbar – auch, dass die Staaten jeweils alleine eine Versicherung organisieren. Sinnvoll wäre aber sicherlich ein Ansatz, der übergreifend in Zusammenarbeit von Versicherungswirtschaft und dem jeweiligen Staat entwickelt wird. Und das aus zwei Gründen:  Versicherer wissen, wie man Auszahlungen schnell und reibungslos durchführt. Außerdem erleichtern die vorhandenen Kundenbeziehungen die Identitätsprüfung.

Wir Versicherer wollen aktiv mitwirken, den Schutz vor allem für kleine und mittlere Unternehmen für mögliche zukünftige  Pandemien vorausschauend, von Anfang an berechenbarer und schneller zur Verfügung zu stellen. Die Allianz engagiert sich daher auf europäischer und nationaler Ebene in verschiedenen Initiativen, um eine Lösung zur Abdeckung des Pandemierisikos zu entwickeln: als Mitglied des Pan European Insurance Forum (PEIF), im Rahmen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und anderer nationaler Verbände sowie mit relevanten politischen Akteuren auf nationaler und EU-Ebene. Dabei sind sich alle einig: Lösungen können nur gemeinsam zwischen der Versicherungswirtschaft und den Staaten entwickelt werden, wobei die Versicherungswirtschaft schon mit Blick auf die Bezahlbarkeit der Prämien nur einen relativ begrenzten Teil der Last wird tragen können.

In den Diskussionen haben sich vier Kernfragen herauskristallisiert: Ist eine Kapitalsammelstelle oder eine Versicherung die passendere Option? Sollte das System freiwillig oder obligatorisch sein? Was ist der geeignete Auslöser, um dieses System zum Tragen zu bringen? Und schließlich: Sollte eine Lösung europäischer oder nationaler Natur sein?

Staatlich-privater Pandemieschutz: GDV schlägt zwei Lösungsmodelle vor

Der GDV hat zwei Möglichkeiten für eine staatlich-privatwirtschaftliche Lösung vorgestellt: Eine Option wäre laut GDV eine Kapitalsammelstelle, die bei einer Infektionswelle pauschalierte Leistungen abhängig vom Unternehmensumsatz auszahlt. Die Zielgröße des Kapitalstocks orientiert sich am Leistungsfall und einem Zielszenario, dessen Parameter vorab festgelegt werden müssen, zum Beispiel Anteil der generalpräventiv geschlossenen Betriebe, Dauer des Selbstbehaltes in Tagen oder die konkrete Höhe der pauschalen Leistungen. Aufgrund der zu erwartenden adversen Selektion wird sich der Kapitalstock nicht allein durch freiwillige Zahlungen einzelner Betriebe aufbauen lassen. Es wird daher eines Pflichtsystems bedürfen.

Eine andere Option ist ein stärker risikoorientiertes, von der Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts geprägtes System ähnlich einer freiwilligen Versicherung, in dem Betriebe auf einen festgelegten Zielschaden einzahlen, den sie ersetzt bekommen wollen. Jeder Betrieb bestimmt damit selbst, welche Leistungen er im Infektionsfall erhalten möchte. Beide Modelle erfordern eine erhebliche staatliche Mitwirkung, um die Mittelzuflüsse in das System bezahlbar zu halten.

Wir als Allianz befürworten für alle Länder in Europa die Entwicklung einer speziellen Pandemieabsicherung, jeweils in Kooperation mit Versicherungswirtschaft und Regierung. Unserer Auffassung nach bietet eine spezielle Absicherung die Möglichkeit  einer umfassenden Deckung für viele Unternehmen. Die Versicherer würden im definierten Pandemiefall Leistungen bis zu einer definierten Höhe leisten, wobei sich die Kalkulation zum Beispiel an der angenommenen Wiederkehrwahrscheinlichkeit einer Pandemie orientieren könnte. Eine solche Prämie wäre, da sie die vollumfängliche Risikosituation widerspiegeln würde, jedoch prohibitiv hoch. Wenn den Versicherten schon für diese Absicherung vergünstigte Prämien ermöglicht werden sollen, könnte der Staat diese bezuschussen. Der Staat kann – sofern erforderlich – natürlich auch noch weitergehende staatliche Leistungen oberhalb der definierten Höhe festlegen.

Für eine verpflichtende Lösung spricht, dass es bei einer freiwilligen Versicherungslösung nicht zu einer flächendeckenden Absicherung käme – vielmehr würde man eine Art „Flickenteppich“ vorfinden. Eine Konsequenz könnte sein, dass Druck auf die Staaten ausgeübt würde, einzuspringen, auch und gerade in Fällen, in denen kein Versicherungsschutz besteht. Damit werden diejenigen benachteiligt, die selbst Verantwortung übernommen und vorgesorgt haben. Außerdem ist es bei einer freiwilligen Lösung schwieriger, die Prämien bezahlbar zu halten. Das wollen wir unbedingt vermeiden. Eine verpflichtende Lösung müsste trotzdem sicherstellen, dass eine schlanke und unbürokratische Absicherung besteht und Wirtschaftlichkeitsüberlegungen nicht außer Acht gelassen werden.

Fokus soll auf Pandemieschutz liegen

Der Fokus einer solchen Absicherung sollte zunächst nur auf den Pandemiefall gerichtet sein und nicht weitere systemische Risiken wie Terror, Cyberattacken oder dergleichen umfassen, da sonst die Preisgestaltung durch die Vermischung mehrerer Risiken äußerst komplex wäre. Sie sollte außerdem zunächst auf kleine und mittlere Unternehmen und Selbstständige abzielen, um diese besonders von pandemiebedingten Betriebsschließungen betroffenen Unternehmen zu schützen und die Deckung bestimmter Fixkosten über eine gewisse Zeit abzusichern. Darüber hinaus sind für Großunternehmen spezifische und auf das einzelne Unternehmen zugeschnittene Versicherungslösungen denkbar.  

Außerdem ist uns wichtig, dass ein klarer, einfach verständlicher Auslöser festgelegt wird, ab dem diese Pandemieabsicherung greifen würde und der eine schnelle und standardisierte Schadenleistung ermöglicht.

Um den Umfang der Lösung nicht ausufern und damit teuer werden zu lassen, sollte die Höhe des zu erstattenden Schadens so gestaltet werden, dass sie einerseits nur auf das Nötigste begrenzt ist, und dass andererseits versicherte Unternehmen trotz der Schadenleistungen auch Interesse an Prävention haben.

Dieser Ansatz könnte in einen übergreifenden europäischen Rahmen mit Mindeststandards für alle Mitgliedstaaten eingebettet sein – das wäre angesichts der Verflechtung der europäischen Volkswirtschaften sicher sinnvoll. Die Umsetzung sollte dann aber auf nationaler Ebene erfolgen und muss an den länderspezifischen Kontext angepasst sein. Denn die Gesetze zur Abfederung von Pandemiefolgen wie zum Beispiel das Kurzarbeitergeld in Deutschland sind von Land zu Land unterschiedlich.

Die einzelnen Regierungen der jeweiligen Länder werden einen größeren Teil der finanziellen Last einer solchen neuen Absicherungslösung zu tragen haben. Daher sind wir als Allianz flexibel in der Herangehensweise, um die jeweilige Regierung bestmöglich bei der Umsetzung ihres individuell gewählten Modells zu unterstützen. Wichtig ist, dass Politik und Versicherungswirtschaft zügig gemeinsam einen Weg finden, der zu unserem Ziel führt, Kunden bei einer nächsten Pandemie schnell sinnvolle Unterstützung bieten zu können. 

Ganz unabhängig davon, wie die jeweilige Regierung ihr Modell konkret gestaltet: Es sollte berücksichtigt werden, dass die Versicherungswirtschaft sowohl über die Expertise als auch über die Ressourcen für das Management von Auszahlungen verfügt. Versicherer könnten die Auszahlungen als Servicedienstleister übernehmen, sodass die Einrichtung öffentlicher Ad-hoc-Auszahlungssysteme entfallen könnte. Der Vorteil wäre, dass die vorhandenen Kundenbeziehungen Identitätsprüfungen erleichtern würden, sodass Betrugsszenarien wirksam bekämpft werden könnten. Außerdem würde die Auszahlung schneller erfolgen, damit würde die Wirksamkeit der Hilfen gesteigert. Wichtige Voraussetzung für die schnelle und reibungslose Abwicklung ist jedoch die Definition von klaren Auslösern und Standardisierung von Auszahlungsprozessen vorab.

Die noch andauernde Corona-Pandemie hält die Regierungen vieler Länder weiterhin in Atem. Uns ist bewusst, dass die Bewältigung dieser Pandemie viel Kapazität kostet. Dennoch gehört es zu verantwortlicher Politik, auch an morgen zu denken. Aus Sicht der Allianz kommt es jetzt daher darauf an, dass in Deutschland und in den anderen europäischen Märkten möglichst zügig von der Politik die nötigen Rahmenbedingungen festgelegt werden, wie die jeweilige Pandemie-Absicherung gestaltet werden soll. Erst wenn dieser Rahmen steht, können Versicherer mit der Produktentwicklung beginnen. Zu unserem Heimatmarkt Deutschland kann ich sagen: Wir als Allianz würden das lieber heute tun, als morgen. Wir wollen jetzt schon dafür sorgen, dass wir Kunden in der nächsten Pandemie durch ein klares, effizientes und sicheres Schadenbearbeitungs- und Auszahlungsverfahren schnell eine sinnvolle Unterstützung bieten können.

Autor: Klaus-Peter Röhler, Vorstand der Allianz SE und verantwortlich für das Versicherungsgeschäft in Deutschland, der Schweiz, Zentral- und Osteuropa sowie das globale Sachversicherungsgeschäft

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