Bucheinsicht: Ex-Vertreterin bringt Allianz vor Gericht in Bedrängnis

Quelle: Sang Hyun Cho auf Pixabay

Ein weiteres Kapitel im Rechtsstreit einer Ex-Allianz-Vertriebspartnerin gegen die Allianz Beratungs- und Vertriebs-AG. In dem Prozess geht es um die Feststellung der erworbenen Ansprüche an das Allianz-Vertreter-Versorgungswerk (VVW), aktuell hat die Vorsitzende Richterin am Landgericht München signalisiert, dass der Versicherer das Verfahren wohl nicht gewinnen wird. In dem seit drei Jahren laufenden Gerichtsprozess, bei dem Beobachter einen Präzedenzcharakter mit erheblicher Breitenwirkung für das beklagte Unternehmen erkennen, klagt die ehemalige Vertriebspartnerin aus Süddeutschland auf Einsicht in die Bücher.

Neue Richterin, neues Glück. So lässt sich das Verfahren aus Sicht der Klägerin, einer ungewöhnlich erfolgreichen Ex-Allianz-Vertriebspartnerin, kurz zusammenfassen. Einst gefeiert, heute gefürchtet, denn was die Klägerin gegen ihren früheren Arbeitgeber vorbringt, hat das Zeug zu einem handfesten Problem für Deutschlands Versicherer Nummer eins. Im Kern lautet der Vorwurf, die Allianz Beratungs- und Vertriebs-AG bringe sie und zahlreiche weitere der insgesamt rund 8.000 freiberuflichen Vertreter in Deutschland um ihre Rentenansprüche.

Die Allianz bestreitet das. Die Provisionen und Versorgungsanwartschaften der Vertreterinnen und Vertreter  sind „nachweislich korrekt berechnet worden“, schreibt das Unternehmen. Auch im Falle der Klägerin gehe es nicht um die Versagung der Rentenanwartschaften, sondern um die Höhe der zukünftigen Rente. Zudem handle es sich im Falle dieser Klägerin um eine Sonderkonstellation,  die nicht auf andere Fälle übertragbar wäre.

Einblick in das Buch

Die Klägerin hatte während ihrer Tätigkeit für den Versicherer bemerkt, dass selbst vermittelte Verträge fehlerhaft oder teilweise überhaupt nicht in den Unterlagen, dem sogenannten „Buch“, erscheinen, das die Berechnungsgrundlage für die Altersvorsorge bildet. Einen Blick in eben dieses „Buch“ wollte die Allianz bislang nicht gewähren. Ob sie das tun muss, war aktuell die Frage vor dem Landgericht München, diesmal mit einer neuen, sehr gut vorbereiteten Richterin.

Das Gericht ließ erkennen, dass die Klägerin unter Umständen ein Recht auf Einsicht habe. Die Allianz habe mit ihren mehrfach korrigierten Buchauszügen einen „hinreichenden Grund zu begründeten Zweifeln“ geliefert, erklärte die Richterin, die beide Parteien zu einem Vergleich ermutigte. Die Klägerseite brachte dabei eine Forderung in Höhe von 47 Millionen Euro ins Spiel.

Dies alles geschah mit Blick auf die zeitgleich stattfindende Jahreshauptversammlung (JHV) der Allianz SE, auf der Vorstandschef Oliver Bäte sich für die Fehlbuchungen im Fall der Klägerin entschuldigte. Die Klägerseite behauptet zudem, Oliver Bäte habe die Auszahlung aller Überschüsse versprochen.

Die Allianz widerspricht

Die Sach- und Rechtslage beurteilt der Münchener Versicherer anders. In einer Stellungnahme erklärt die Allianz, dass es die oben genannte Aussage von Oliver Bäte so nicht gegeben habe. Herr Bäte habe den Rechtsstreit auf Nachfrage bei der JHV aufgegriffen und die Sicht des Konzerns dargestellt.

Es gehe „nicht um Betrug“ und auch nicht um „Ansprüche im dreistelligen Millionenbereich“. Im Falle der Klägerin hätten sich die Fehlbuchungen teilweise zum Nachteil, teilweise aber auch zum Vorteil der ehemaligen Vertreterin ausgewirkt. In Summe führten die Neuberechnungen nach Klageerhebung zu einer Erhöhung ihrer monatlichen Versorgungsanwartschaft um einen „niedrigen zweistelligen Euro-Betrag“. Aufgenommene Vergleichsgespräche mit der Klägerin seien gescheitert.

Grundsätzlich werden die Versorgungsanwartschaften der Allianz-Vertreter maschinell und automatisiert errechnet. Nur bei Sonderkonstellationen wie in dem hier besprochenen sind manuelle Eingaben erforderlich. Im Falle dieser ehemaligen Vertreterin hätten die Mitarbeiter „bei diesen Sonderkonstellationen versehentlich Eingabefehler gemacht“, erklärte Bäte auf der JHV.. Die Berechnungen wurden mittlerweile von einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft überprüft und die Fehler korrigiert. Die Fehler seien „bedauerlich, aber menschlich“.

Mögliche Einsicht

Ein „Bucheinsichtsrecht“ sei begründet, so die Richterin weiter, auch wenn es für die die Allianz unzumutbar ist. „Wenn nichts Großes passiert, dann werden sie verlieren“, beschloss die Vorsitzende Richterin diesen Verfahrenspunkt trocken. Nach Darstellung des Rechtsbeistands der Allianz sei der Grund für die veränderten Zahlen im „Buch“ der Formatierungslogik des verwendeten Programms geschuldet, welches automatisch Kommastellen verschoben habe. Diesen Einwand quittierte die Gegenseite mit ungläubigem Gelächter. Laut Allianz hätten sich die Kommaverschiebungen jedoch nicht auf die Versorgungsanwartschaften der ehemaligen Vertreterin ausgewirkt.

Sollte nun ein Teilurteil zugunsten der Klägerin zur Frage der Bucheinsicht erfolgen, ginge das Verfahren in die Hände der Rechnungsprüfer und Finanzleute über, was den Fall deutlich beschleunigen könnte. Mehr als 3.000 Seiten umfasst der Vorgang mittlerweile, aber nach diesem Verhandlungstag sieht es so aus, als ob nicht mehr so viel hinzukommen werde. Allerdings wurde bei diesem Termin noch gar nicht über etwaige Schadenersatzforderungen verhandelt.

Der Versicherer sieht sich im Recht

Die Allianz hält die Klage nach wie vor in „allen Punkten für unbegründet“ und wird sich vor Gericht „weiter vehement“ verteidigen. Die Klägerin habe einen umfassenden Buchauszug von der Allianz erhalten, um die Berechnung ihrer Rentenanwartschaften nachvollziehen zu können. Sie wolle mit ihrer Klage „nun Einsicht in die technischen Systeme der Allianz“ nehmen. Ein derartiger Anspruch bestehe nach Ansicht der Allianz nicht. Der Antrag auf Bucheinsicht sei nur einer von mehr als 15 Klageanträgen, die meisten hätten sich „mittlerweile bereits zugunsten der Allianz erledigt“.

Eine Fortsetzung der Causa ist für den 19. Juni 2020 avisiert.

Autor: Alexander Kaspar

Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde am 8. Mai von der Redaktion überarbeitet und um die Aussagen der Allianz ergänzt.

 

Ein Kommentar

  • Ridschie Blanko

    So eine richtige Neuigkeit ist das nicht. Niemand fragt sich wie ein Riese immer größer wird und nicht unter seiner eigenen Last zusammenbricht. Jeder Kaufmann der seinen Betrieb ordentlich führt, merkt sehr schnell das dieser schnell an die Grenzen des Geldverdienens kommt. Und warum sollen da nicht ein paar Schweinereien dabei sein. Zu meiner Zeit haben wir die Kunden so schnell gedreht, von LV auf UPR von UPR auf SJL. Dann wieder in andere Richtungen. Von einem Fall weiß ich, da hat eine Vertreterin die Türen für BAV in einen wohltätigen Verein geöffnet. Die Dame wurde vom Geschäft abgezogen. Andere aus dem Konzern haben übernommen. Es wurden Abschlusskosten in 100.000 er Deutschen Mark dem VN berechnet die nicht angefallen sind. In einem anderen Fall habe ich im Rahmen eines Neu für Altgeschäfts mitbekommen, dass dem Vertreter keine Provision für seine Bemühungen gezahlt wurden ( um des Umdeckungsgeschäft nach außen hin als unerwünscht darzustellen) dem Kunden jedoch alle anfallenden Kosten in Rechnung gestellt wurden. Das habe ich seinerzeit bei meinen Vorgesetzten angezeigt und versucht das Thema intern zu klären. Ab da war ich der Staatsfeind Nr. 1 . Es kamen dann Staatsanwaltschaften, Polizei hinzu. Das war ein tolles Theater. Seitdem betrachte ich die Machenschaften der Versicherungswirtschaft mit sehr viel Zweifel an der Ehrlichkeit. Daher wäre das für mich keine Neuigkeit des Tages. Wenn dem so ist wie hier beschrieben, vergleicht man sich und gut. Hauptsache das Schlachten kann weiter gehen. Wenn man dann noch berechnet wieviele Milliarden Euros sich die Versicherer für unbesetzte Freie Versicherungsbestände von eingepreisten Betreuungsprovisionen einverleibt, für die der Kunde keine Betreuung erhält. Ein ganz ganz großer stinkender Gülletopf in der Sonne. Naja. Ich habe mit der Branche weitestgehend abgeschlossen.