Wie Process Mining Licht ins Vertriebsdunkel bringt

Quelle: Dean Moriarty / Pixabay

Das Vertriebsumfeld der Versicherer erfordert ungewohnt kurze Anpassungszyklen. Verantwortlichen fällt es schwer, die Prozessstrukturen abzubilden und den Überblick zu wahren. Process Mining schaft hierbei Abhilfe. Mit der Prozessmanagement-Technik Process Mining gewinnen Versicherungen Transparenz über ihre Prozesse zurück, passen sie an sich ändernde Anforderungen an und steuern sie nachhaltig.

Die Methodik hilft Unternehmen dabei, das Prozesswissen aus den vorhandenen Datensätzen zu heben, sichtbar zu machen und zu modellieren. In Kombination mit der Analyse aller Kundenkontaktpunkte (Touchpoints) in der Customer Journey, erhalten Versicherer einen gesamthaften Blick auf die Customer Experience. Die nachhaltigen Veränderungen in der Versicherungswirtschaft haben mitunter erhebliche Auswirkungen auf die Prozesse im Versicherungsvertrieb. Die Herausforderungen in diesem Zusammenhang leiten sich im Wesentlichen aus drei Handlungssträngen ab:

Zum einen verändern neue und zusätzliche Technologien in Front- wie Backend ganze Unternehmensarchitekturen. Daraus ergibt sich die Herausforderung, den Überblick zu bewahren und Synergien zu nutzen, statt parallele Prozesslandschaften zu entwickeln. Angestrebte Kostensenkungen und Automatisierungen erfordern Planung mit Weitblick, da technologische Erweiterungen die umfangreiche Überprüfung der zugrunde liegenden Prozesse nach sich ziehen. Darüber hinaus ist auch das Zielbild der ganzheitlichen Beratung aus prozessualer Sicht eine große Herausforderung. Neue Regularien verlagern schon längst den Beratungsprozess von reiner Produkt- hin zu ganzheitlicher Kundenberatung.

Die Voraussetzung ist eine lückenlose, aktuelle Übersicht aller Kundendaten an jedem Touchpoint, zu jeder Zeit, an jedem Ort. Ganzheitliche Beratung erfordert daher völlig neue Datenmodelle, die bisherige Datensilos aufbrechen. Der dritte Handlungsstrang geht aus der Vertriebswegestrategie hervor. Klassische Absatzkanäle wie Makler- und Exklusivvertrieb sind beim Kunden weiterhin sehr erfolgreich und brauchen daher hochperformante Prozesse. Darüber hinaus wachsen Investitionen in Kooperations- und Direktgeschäft spürbar. Neue Prozesse an relevanten Knotenpunkten müssen verschiedene Systeme miteinander verknüpfen, etwa das Kundenportal mit dem Vertriebs-CRM oder die OnlineAntragsstrecke mit dem Vergütungssystem, schon, um reine Betreuungsleistungen der Vermittler zu incentivieren.

Mehr Transparenz im Vertrieb

Unter diesen Rahmenbedingungen sind effiziente End-toEnd-Vertriebsprozesse für die Wertschöpfung im Versicherungsvertrieb und damit für alle Abläufe im Geschäftsprozess unerlässlich. Um den gesamten Vertriebsprozess ganzheitlich abzubilden und zu optimieren, ist es wichtig, alle Teilprozesse zu betrachten und nachzuvollziehen. Alle Prozessschritte, die sich auf die beteiligten Portale, Plattformen, Front- und Backendsysteme erstrecken, müssen tief greifend analysiert werden. Dazu gehören typischerweise:

  • Antragsprozesse: Diese beinhalten alle Prozesse der Antragsentstehung und Verarbeitung: Tarifierung, Plausibilitäsprüfung, Bonitätsprüfung, Nachbearbeitung, Policierung
  • Vertragsprozesse: Diese beziehen sich auf das Vertragsmanagement und umfassen somit alle Aktivitäten an bestehenden Verträgen entlang der Backend- und Folgesysteme:  Geschäftsvorfallbearbeitung, Inkassofortschreibung, Beitragseinzug, Beitragszuordnung zum Vertrag, Mahnwesen
  • Supportprozesse: Diese umfassen die operative und vertriebliche Unterstützung der angeschlossenen Vertriebseinheiten:  Kundendatenanalyse, Kampagnenaussteuerung, Key Performance Indicator (KPI)-gestützte Erfolgskontrolle und Bewertung, Anpassung des Routings von Inbound-Anfragen
  • Recruiting- und Onboarding-Prozesse: Diese sind für die erfolgreiche Vermittlergewinnung und Administration unerlässlich: Vermittler-Eignungsprüfung, Anlage im Personal-, Vermittlerverwaltungs-, Controlling- und Provisionssystem, Einrichtung von Portal- und CRM-ToolZugängen • Provisionsprozesse: Diese umfassen Bewertung, Berechnung und Abrechnung von unterschiedlichen Provisionsarten: Die Bereitstellung der Bestands- und Vermittlerinformationen, Provisionsermittlung, Berücksichtigung von Fachregeln (Anrechnung, Kürzungen, Staffeln etc.), Verbuchung

Für Prozessabbildungen all dieser Prozesstypen im Verbund nutzen Versicherer oft nur grobe Modellprozesse mit überholten oder unvollständigen Kennzahlen. Da die meist grobkörnige Dokumentation nur allgemeine Prozessschritte erfasst, klaffen Modell und reale Prozesse daher oft so weit auseinander, dass sich aus dem Prozessmodell keine Handlungsbedarfe ableiten lassen. Die schiere Datenmenge und einzelne, voneinander unabhängige Auswertungstools verstellen den Blick auf das Wesentliche zusätzlich und erlauben nur wenig belastbare Aussagen.

Process Mining liefert die wissenschaftliche und datenbasierte Grundlage für hochperformte und kundenzentrierte Vertriebsprozesse.

In dieser Situation macht nur eine völlig neue IST-Analyse eine qualifizierte Bewertung des gesamten Prozesses möglich. Mit Process Mining lassen sich alle Vertriebsprozesse automatisiert, ressourcenschonend und umfangreich analysieren und bewerten. Die validen Echtdaten der Prozesse und Systeme, die auf diese Weise erhoben werden, erlauben detaillierte Aussagen über die Prozessfähigkeit im Versicherungsvertrieb und potentielle Verbesserungen.

In vier Schritten zum optimalen Vertriebsprozess

Grundsätzlich kann Process Mining auf sämtliche Prozessmodelle angewendet werden, bei denen die unterschiedlichen Prozessschritte in einem oder mehreren IT-Systemen gespeichert und verarbeitet werden. Für den maximalen Erfolg dieser Methodik sind dabei vier Schritte entscheidend, welche sich anhand eines praktischen Beispiels verdeutlichen lassen. Um alle Teilprozesse, die im Zusammenhang mit den Vertriebsprozessen stehen, mit Hilfe der Process-Mining-Methodik zu analysieren und zu optimieren, bedarf es vier aufeinanderfolgende Arbeitsschritte:

  1. Projektdefinition & Vorbereitung Zunächst ist es wichtig, eine Machbarkeitsstudie und somit die Entscheidungsgrundlage für die Durchführung des Process Mining zu schaffen. Neben den anfallenden wirtschaftlichen Parametern ist es wichtig, die organisatorische und technische Umsetzbarkeit zu prüfen. Außerdem gilt es, die generischen Daten in den Vertriebsprozessen zu bestimmen, die mithilfe der Process-Mining-Methodik analysiert werden sollen. Ist die Machbarkeitsprüfung erfolgreich abgeschlossen, werden die Rahmenparameter für das Projekt festgelegt und gemeinsam Ziele definiert, an denen das Projekt gemessen wird.
  2. Migration der Daten in Process-Mining-Tool Sind alle Rahmenbedingungen des Projekts fixiert, werden die Daten aus den zugrundeliegenden IT-Systemen ins Process-Mining-Tool übertragen. Hierfür definiert man zunächst die Quellsysteme, aus denen die Prozessdaten extrahiert werden. Dazu gehören im Frontend unter anderem VermittlerCRM-Tools oder Kundenportale und im Backend Bestandsverwaltungs- oder Provisionssysteme. Sind alle Quellsysteme identifiziert, setzt man eine Datenumgebung auf, in die alle relevanten Daten aus den Quellsystemen exportiert und für die weitere Verwendung aufbereitet werden. Zu dieser Aufbereitung gehören zum Beispiel die Überprüfung der Daten auf technische Korrektheit, Plausibilität und Glaubwürdigkeit. Ist diese Prüfung abgeschlossen, werden die Daten in das Process-Mining-Tool überführt.
  3. Prozessanalyse und -anpassungen Im Process-Mining-Tool erfolgt die Simulation der Vertriebsprozesse anhand der Echtdaten aus den Quellsystemen. Die Ermittlung der Prozessfähigkeit erfolgt durch die Kombination dieser Echtdaten mit einer vollständigen End-to-EndSimulation. Hier werden insbesondere Abweichungen vom Standardprozess auf einen Blick erkenntlich und die Ursachen sowie Potenziale bestimmt. Durch die Erstellung und Simulation von Alternativmodellen werden Prozessverbesserungen realistisch nachgestellt und zugleich die Auswirkung auf die KPI-Verbesserung berechnet. Diese Impact-Analyse zeigt konkret auf, wie sich Prozessanpassungen auf die Prozesseffizienz auswirken. Diese Analyse wird solange durchgeführt, bis das Idealszenario in der Simulation erreicht ist.
  4. Ergebniskontrolle und Rollout Im letzten Schritt erfolgt die Pilotierung der neuen Vertriebsprozesse im Process-Mining-Tool. Um nachzuweisen, dass die Maßnahmen den gewünschten Verbesserungseffekt erzielen, werden die angepassten Vertriebsprozesse im Tool zunächst erneut unter Einbezug täglich neuer Produktivdaten simuliert – solange, bis der gewünschte Reifegrad qualitätsgesichert ist. Erst wenn die End-to-End-Prozesse diesen Status in der Simulation erreichen, erfolgt die finale Entscheidung über die Umsetzung im operativen Geschäft.

Lesen Sie den vollständigen Bericht in der Januar-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

Autor: Andreas Stollenwerk, Abteilungsleiter Insurance Business Consulting msg group

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

neunzehn + sechs =