Pleite-Angst von Evergrande kehrt zurück

Lokalzentrale Evergrande in Peking: Chinas Immobilienkonzerne sind auf einen konstant hohen Umsatz angewiesen, um ihre Verbindlichkeiten begleichen zu können. (Quelle: hy)

Evergrande besitzt einen Fußballklub, entwickelt E-Autos und betreibt Bank- und Versicherungsgeschäfte. Vieles davon ist auf Pump finanziert, vor allem die Immobilien. Geldgeber sind auch Versicherer. Mit der drohenden Pleite des Unternehmens muss Peking eine nationale und internationale Wirtschaftskrise abwenden. Wie kam der Aufstieg dieses Immobilienriesen überhaupt zustande?

Es ist der 24. September 2020. Das größte chinesische Immobilienunternehmen Evergrande gibt ein Statement ab. Die im Internet kursierende Meldung über Liquiditätsprobleme sei lediglich ein Gerücht. Nicht mal ein Jahr später kommt ans Tageslicht, dass Evergrande einen Schuldenberg von 300 Mrd. US-Dollar angehäuft hat und zum Teil nicht in der Lage ist, fällige Verbindlichkeiten zu bedienen. Diese Nachricht schreckt die internationale Finanzwelt auf. Das Trauma der Finanzkrise von 2008, damals verursacht durch Lehman Brothers, ist zurück.

In Shenzhen stürmen aufgebrachte Inhaber von Evergrande-Coupons und Wohnungskäufer, die den ganzen Betrag bezahlt, aber ihre Wohnung noch nicht bekommen haben, die Zentrale des Unternehmens. Sie verlangen eine Rückzahlung ihres Geldes und eine Offenlegung der tatsächlichen Finanzlage des Unternehmens. Die Menschen fragen sich, wie es sein kann, dass sich ein Schuldenberg von sage und schreibe 300 Mrd. US-Dollar angehäuft hat und wie es sein kann, dass die Krise erst im letzten Moment sichtbar wird.

Aggressive Expansion um jeden Preis

Am vergangenen Freitag warnte das Unternehmen erneut vor einem Zahlungsausfall. Nach dem Ablauf einer 30-tägigen Fristverlängerung wurden gestern im Laufe des Tages 82,5 Millionen Dollar fällig. Einige ausländische Gläubiger hätten gestern kein Geld erhalten, sagten vier mit der Angelegenheit vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. Die Regierung der chinesischen Provinz Guangdong, wo Evergrande seinen Hauptsitz hat, teilte mit, eine Arbeitsgruppe in den Konzern entsendet zu haben, um „Risiken zu mindern und die Interessen aller beteiligten Parteien zu schützen“. Xu Jiayin, der Chef von Evergrande, sei von den Behörden zum Gespräch gebeten worden. Chinas Börsenaufsicht versuchte Ängste über eine sich ausbreitende Krise zu zerstreuen. Die Auswirkungen der Vorgänge bei Evergrande seien kontrollierbar, hieß es in einer Mitteilung der Behörde.

Ähnliche Äußerungen hörte man zuhauf aus China, ebenso wie die Dementis von Evergrande, dass man in Schwierigkeiten stecke. Die Entstehung der Krise läuft exakt nach dem bekannten Muster, das viele Finanzkrisen prägt: wilde Expansion, gebrochene Finanzierungsketten, Versäumnisse, Versagen und Schönreden. Der Schuldenberg Evergrandes lässt sich ebenfalls ohne Weiteres auf die extrem aggressive Expansion des Immobilienimperiums zurückführen. Der Gründer des Unternehmens Xu Jiaying will sich offensichtlich nicht nur im Immobiliengeschäft einen Namen machen, sondern auch in vielen anderen Branchen. Vollmundig verkündete man in 2015 einen „Aufmarsch“ von Immobilien zu „Mobilen“ (Automobilindustrie). Seitdem hat der Immobiliengigant mit mehr als 48 Mrd. Dollar Automobilunternehmen weltweit zugekauft oder sich an ihnen beteiligt. Dazu zählen Elektroauto-Start-ups wie NEVS aus Schweden und e-Traction aus den Niederlanden.

2020 gründete Xu eine „Evergrande Kulturgruppe“ und kündigte an, ein chinesisches Netflix aufbauen zu wollen. Man stürzte sich sofort in den Konkurrenzkampf mit dem anderen Immobilien-Tycoon Wang Jianlin. Wang mischt – ähnlich wie Xu – mit Gründung des Tochterunternehmens Wangda Cinema Line den Kino- und Filmmarkt auf, nachdem er zunächst mit Immobilien Dollar-Milliardär wurde. Evergrande hat in 115 chinesischen Städten mehr als 800 Kinos gebaut bzw. übernommen. Zugleich kaufte das Imperium mehrere Filmstudios, darunter fällt die größte Übernahme von Ruyi Film in 2020 mit 925 Mio. US-Dollar. Auch in die Getränkeindustrie, Vergnügungsparks und Hotels steckte das Unternehmen viel Geld. Jedoch konnte man nicht immer einen Erfolg verbuchen.

Das Immobilien-Imperium scheut sich nicht, mit Abermilliarden Dollar in 15 chinesischen Städten Vergnügungsparks nach dem Vorbild Disneylands aufzubauen. In den Bau der Parks in der ostchinesischen Stadt Zhenjiang steckt man 4,7 Mrd. Dollar, in einer No-Name-Stadt namens Liu An in der Provinz Anhui 9 Mrd. Dollar. Alle Parks sollen größer als das Disneyland bei Schanghai sein, viele davon sind trotz langjähriger Bauzeit baulich immer noch nicht fertig.

Unzählige Unternehmen gaben Kredite, darunter die Allianz

Auch in der Versicherungsbranche wollte Evergrande gern sein Geschäftskönnen unter Beweis stellen und gründete 2015 eine Lebensversicherung. Derzeit hat Evergrande Life in neun Provinzen Niederlassungen mit unterschiedlichen Marktanteilen zwischen 2,1 Prozent bis 13,2 Prozent. Nach eigenen Angaben verfügt Evergrande Life derzeit über ein Vermögen von 42 Mrd. Dollar. Offenbar versteht man sehr gut, die Lebenstochter als Geldquelle zu verwenden. Berichten zufolge hat Evergrande Real Estate von der Tochter bereits 2019 Geld in Höhe von ca. 312 Mio. Dollar durch Anleihenausgabe bekommen. Im September dieses Jahres presste man noch einmal Geld in der gleichen Höhe über Anleihen heraus.

Die gigantischen Investitionen des Unternehmensimperiums wurden also offenkundig nicht überwiegend durch Cashflow aus Immobiliengeschäften finanziert, sondern von 128 Banken, 121 Non-Finanz-Unternehmen und unzähligen Kunden seiner Vermögensverwaltung. Zudem schuldet man Geldgebern im Ausland durch Emission von Anleihen ca. 29 Mrd. Dollar. In einer Studie weist der frühere Fitch-Analyst Dr. Marco Metzler nach, dass allein internationale Investoren rund 23,67 Milliarden US-Dollar in 23 Anleihen und drei Großkredite des schlingernden Bauträgers gesteckt haben. Unter den bereits bekannten institutionellen Investoren finden sich so bekannte Adressen wie Fidelity, Blackrock, UBS, Ashmore Group, Prudential, HSBC, Pictet, Vontobel, BNP und Allianz.

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Autor: Heng Yan

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