Captives werden zur Notfall-Lösung für schwer versicherbare Risiken

Captives erweisen sich als Rettungsring für viele Probleme der Versicherer (Geralt/Pixabay)

Nach zweijähriger Covid-bedingter Unterbrechung trafen sich in Luxemburg circa 300 Delegierte anlässlich des European Captive Forums. Unisono wurden Captives während der gegenwärtigen Hard-Market-Periode als Instrument zur Befreiung vom Diktat der traditionellen Risikoträger betrachtet, allerdings mit dem Haken, dass ein größerer Captive-Selbstbehalt auch eine erhöhte Kapitalisierung bzw. den Einsatz von zusätzlichem Surrogat-Kapital erfordert.

Vor der Pandemie zählte die Veranstaltung stets über 3.000 Besucher. Die großen Player waren nichtsdestotrotz vor Ort. Informationsstände betrieben etwa Allianz, AM Best, Axa, Chubb Generali, PwC, Swiss Re und diverse Captive-Verwaltungs-Dienstleister.

Captives werden zur Selbstbehalts-Arche Noah

Nachgedacht wird nun zusätzlich zu den von den Captives üblicherweise übernommenen Deckungen in den Bereichen Transport, Sach und gelegentlich auch Haftpflicht noch diverse Exotika mit hineinzupacken, etwa:

  • COVID: hierzu gehören BU-Deckungen aber auch Personenschäden aufgrund von „Long-COVID-Krankheiten“.
  • Cyber: zwar steigt das Bewusstsein hinsichtlich der wachsenden Exposures, aber die von Versicherern verlangten drastisch erhöhten Preise verärgern die Kunden
  • Kredit: Gruppenaußenstände können auf gelayerter Basis von der eigenen Captive übernommen werden. Denkbar ist, dass ein AA-gerateter Kreditversicherer die erforderlichen XS-Deckungen gewährt und so einen Block von Forderungen so gestaltet, dass dieser unter Umgehung der Geschäftsbanken sich zur direkten Verbriefung eignet. Der Schraubenhersteller Würth etwa beschreitet derartige Pfade.
  • D&O: auch hier herrscht ein Deckungsnotstand
  • Cannabis: US-Bundesgesetze lassen die meisten Versicherer zögern der boomenden Climate Change: zunehmend werden gar Autohersteller wegen ihrer angeblichen Kontribution zum Klimawandel vor die US-Gerichte gezerrt, jedoch dürften herkömmliche Haftpflichtpolicen von wegen des Sudden & Accidental-Ausschlusses nicht ziehen. Das Steuerrecht verwehrt es den betroffenen Herstellern Bilanzvorsorge qua Bildung von Rückstellungen zu treffen, denkbar ist jedoch der Einkauf von rückwirkendem Versicherungsschutz bei der eigenen Captive, die wiederum die erhaltene Prämie unter Bildung von IBNR-Reserven neutralisieren kann. Etwas weniger toxisch ist die Deckung von Vaping Liability‘, also die Haftung von Herstellern von zu verdampfenden Kräutern.
  • Unversicherbare politische Risiken, insbesondere das Ausbrechen von inneren Unruhen, etwa im Zuge von Black Lives Matter oder chilenischer Verfassungsdiskussionen, welche allzu rasch in Plünderungen und Zerstörungen auszuarten pflegen. Für die Betreiber von US-Fast-Food-Ketten beispielsweise liegt hierin ein erhebliches Kumulpotenzial.
  • Employee Benefits, insbesondere die in den USA üblichen Gruppenkrankenpolicen für sämtliche Arbeitnehmer. Im Schnitt liegen die von einem typischen US-Arbeitgeber getragenen jährlichen Krankenversicherungskosten bei 16.000 Dollar je Arbeitnehmerfamilie, die Mitarbeiter steuern selber noch 6.000 Dollar an Jahresprämie bei. Vor zehn Jahren waren erst 10.000 bzw. 4.000 Dollar aufzuwenden. Beklagt werden die gänzlich intransparente Preisfestsetzung durch Ärzte und Krankenhäuser sowie die allzu hohen Margen der Krankenversicherer. Der Trend geht nun in Richtung Selbstversicherung. Bei der Captive verbleibt ein erster Layer von 0,4 Mio. Dollar xs 0,1 Mio. je Individuum, darüber siedeln sich weitere Layer bis 15 Mio. Dollar pro Individuum an, daneben auch noch eine Kumuldeckung.

Die im Vergleich zur bislang häufig praktizierten reinen Sachdeckungs-Monokultur kommende stärkere Risikodurchmischung sollte eigentlich mit einer erhöhten Effizienz des Eigenkapitaleinsatzes einhergehen.

Alternatives Risikokapital

Rückversicherer wie Hannover Re und Swiss Re sind bereit, Captives eigenkapitalersetzende Transaktionen anzubieten, welche die Captives in die Lage versetzen, bei unverändertem, eher knapp bemessenem Eigenkapital in der Hard-Market-Phase wesentlich mehr an Gruppenrisiken im Selbstbehalt zu laufen. Anscheinend geht es um in Einzelfällen mehr als 100 Mio. Euro an Surrogat-Kapital. Sie würden die Kapazität auch großer Rückversicherer sprengen, müssten also syndiziert werden, was die Konkurrenz reduzieren dürfte.

Abzuwarten gilt, mit welcher Begeisterung es Industrie-Erstversicherer registrieren werden, wenn die großen Rückversicherer Captive-Betreiber in die Lage versetzen, in erheblichem Umfang Prämien im Selbstbehalt zu laufen. Eine neue Spielart der Konkurrenzierung der Erst- durch die Rückversicherer steht an.

Denkbare Lösungen sind Quotenübernahmen, Stop-Loss-Deckungen, die die Solvaquote bei einem noch akzeptablem, gar ein A-Rating fazilitierenden Niveau auch nach Großschäden stabilisieren, Cat-Equity-Puts, an Captives anzugliedernde unter Einsatz von Fremdkapital funktionierende Sidecars oder Übernahme von Altbeständen, die ebenfalls Solva-Mittel freisetzen sollte.

Letzterer Ansatz verfolgte Delvag, welche es kürzlich fertigbrachte 22 Mio. Euro an Altreserven aus übernommenem gruppenfremdem Geschäft an R&Q abzuwälzen. Die Implementierung des Projekts „Daedalus“ geschah unter Freisetzung von 6 Mio. Euro an Solvamitteln und zu einem Preis, der unter den eigenen technischen Rückstellungen lag, also zu abgespeckten IBNR. Hinter vorgehaltener Hand stöhnte mancher R&Q-Mitbewerber die von Marsh begleitete Transaktion sei zu unauskömmlichen Kampfpreisen erfolgt, zumal sich R&Q auch noch dazu hatte verpflichten müssen, die einstigen Vertragspartner schonend zu behandeln und keine aggressive Commutation-Strategie zu verfolgen.

Parametrische Deckungen und das Basisrisiko

Von Captives zu berappende Großschäden gehen insbesondere in den USA zu einem Gutteil auf das Konto von Naturkatastrophen. Daher der Gedanke diese jedenfalls via eine mehr oder weniger mit der Exponierung unter dem eigenen Portfolio durch parametrische Deckungen abzufedern. Hierfür spricht auch, dass im Schadenfall die Auszahlung innerhalb von 30 Tagen versprochen ist. Generell könnten viele Cat-Nat-Risiken aus den traditionellen Märkten genommen werden. Dies gilt insbesondere für Japan, wo im traditionellen Rückversicherungsmarkt eine Marktkapazitäts-Rationierung gilt.

Einen Spezialfall stellen die von Lucura, der BASF-Captive außerhalb der traditionellen Versicherungsmärkte eingekauften Rheinpegel-Kontrakte dar. Wird der Rhein zum Rinnsal, so fällt die Kühlung von BASF-Anlagen aus und es kommt zu Produktionsausfällen.

Unklar ist jedoch, an welcher Stelle an der Risikotransferkette es nicht auf Indemnity Basis, sondern auf Derivative Basis weitergehen soll. Thomas Kleist von Swiss Re empfahl das überschaubare Basis Risk könne im Selbstbehalt der Captive bleiben, die ihrerseits Policen auf Indemnity-Basis abschließen würde.  Dies setze aber eine zu findende, das Basis Risk minimierende parametrische Deckung voraus. Je nach Captive-Sitzland zu schauen, sei, inwiefern es für parametrische Zessionen Solvency Credit gibt.

Überregulierung der EU-Captives

Während in der zentralistisch reglementierten EU-Captives über die eher unproportionale Anwendung von Solvency II stöhnt, scheinen sich US-Captives größerer Freiheiten zu erfreuen. Die Insurance Commissioner einzelner Bundesstaaten geben sich liberal und lizensieren neue Gesellschaften innerhalb von zehn Jahren. Steve Kinion, Regulator aus Delaware, sprach von den weitgehenden Freistellungen von den generellen aufsichtsrechtlichen Bestimmungen, dies im Hinblick auf den fehlenden Kontakt zu externen Kunden sowie auf das  weniger komplexe Geschäft. Auch die Bermudas unterscheiden verschiedene Arten von Lizenzen, wobei Captives weniger strengen Auflagen unterliegen.

Andererseits jedoch versucht die US-Steuerbehörde IRS einigen Tausend unter Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten ins Leben gerufenen Mini-Captives das Leben schwerzumachen bzw. ihnen gleich den Garaus zu bereiten. Große Captives vermeiden den Anschein fiskalischer Finessierung und etablieren sich zunehmend onshore, in den USA selber. Dort wiederum geht der Trend von typischen Locations wie Vermont mehr nach Texas, wohin zunehmend auch die Gruppenobergesellschaften liegen. Dies erleichtert die Administration und entschärft die Frage nach dem korrekten Abzug der durch den Risikoort diktierten Prämiensteuern.

Autor: Philipp Thomas

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