ESG Regulierung: Was bedeutet der aktuelle Status quo für die Versicherer?

Quelle: Bild von enriquelopezgarre auf Pixabay

Am 4. November 2016 beschlossen 195 Vertragsparteien das Übereinkommen von Paris. Ein Meilenstein in der Klimapolitik – und nach der UN-Agenda aus dem Jahr 2015 ein weiterer Grundlagenbeschluss als Nachfolgeabkommen des Kyoto-Protokolls. Ein Gastbeitrag von Julius Jauch und Timo Biskop.

Drei Ziele des Pariser Klimaabkommens legen seither die Basis für weitere Beschlüsse:

  1. Begrenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur auf unter 2 °C
  2. Erwerb der Fähigkeit, sich an negative Auswirkungen des Klimawandels anzupassen
  3. Vereinbarkeit der Finanzströme mit den Klimazielen

Im März 2018 hat Brüssel sodann einen Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzsystem veröffentlicht, dessen Kernziele es sind (i) die Kapitalflüsse auf nachhaltige Investitionen umzulenken, (ii) Nachhaltigkeit in das Risikomanagement zu integrieren und (iii) eine transparente und langfristige Wirtschaftstätigkeit zu fördern.

Hierzu werden zehn Maßnahmen für den Finanzmarkt eingeleitet, nämlich (i) ein EU-Klassifikationssystem, (ii) Normen und Kennzeichen für Finanzprodukte, (iii) die Förderung nachhaltiger Investitionsprojekte / Infrastrukturinvestitionen, (iv) die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit in der Finanzberatung, (v) die Entwicklung von Nachhaltigkeits-Benchmarks, (vi) die Einbettung von „Nachhaltigkeit“ in das Risikomanagement, (vii) Nachhaltigkeitspflichten institutioneller Anleger und Vermögensverwalter, (viii) Nachhaltigkeit im Aufsichtsrecht, (ix) Offenlegungspflichten von Nachhaltigkeitsinformationen sowie (x) Förderung einer nachhaltigen Unternehmensführung. Sie sind eng verzahnt und befinden sich in Wechselwirkungen miteinander. Auf drei zentrale Aspekte soll im Folgenden näher eingegangen werden, da sie wesentliche Umsetzungsaspekte verdeutlichen, deren Ausgestaltung kurzfristig an Bedeutung gewinnt, da erste verpflichtende Anwendungen bereits im März 2021 schlagend werden:

EU-Klassifikationssystem („Nachhaltigkeits-Taxonomie“)

Die Taxonomie-Verordnung bildet einen Kern des Aktionsplans. Sie ist als ein Rahmenwerk zur Festlegung von Nachhaltigkeitsanforderungen an Finanzmarktteilnehmer oder Emittenten zu verstehen und enthält Kriterien zur Bestimmung des „Nachhaltigkeitsgrads“ von Investitionen.

Bislang existieren in ihr Ausführungen zu Umweltaspekten, eine Klassifikation von sozialen Aspekten ist bisweilen nicht verschriftlicht. Dies verdeutlicht zum einen, dass bereits die Bestimmung und Konkretisierung von Umweltaspekten für alle Parteien herausfordernd ist. Soziale Fragen unterliegen zum anderen weiterem Ermessensspielraum und subjektiven Gerechtigkeitsaspekten als die diesbezüglich vergleichsweise leicht operationalisierbaren Umweltziele:

Konkret werden Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zur Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung und Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen als solche benannt.

Darauf aufbauend werden wesentliche Beiträge sowie erhebliche Beeinträchtigungen der Umweltziele umschrieben, die zur Bewertung einer wirtschaftlichen Tätigkeit dienen sollen. Hierzu bedarf es jedoch tiefergehender technischer Bewertungskriterien, deren Anforderungen nur sehr generisch ausgeführt werden.

Deutlich wird Brüssel indes beim Thema fossile Brennstoffe und Mobilität: So heißt es, „dass Stromerzeugungstätigkeiten, bei denen feste fossile Brennstoffe verwendet werden, nicht als ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten gelten [sollen]“ (Art. 19, Abs. 3). Andererseits wird aktiv darauf verwiesen, dass Bewertungskriterien bei einschlägigen wirtschaftlichen Tätigkeiten auch auf den Übergang zu „sauberer oder klimaneutraler Mobilität, auch durch Verkehrsverlagerung, Effizienzmaßnahmen und alternative Kraftstoffe“ abstellen sollen (vgl. Art. 19, Abs. 4).

Neben (i) wesentlichen Beiträgen zu bzw. erheblichen Beeinträchtigungen von Umweltzielen werden (ii) negative Lock-in-Effekte und (iii) eine Lebenszyklus bezogene Betrachtungsweise von Tätigkeiten thematisiert, um einen Aufschluss über deren „Nachhaltigkeitsgrad“ zu bezwecken. Das Ergebnis der Einstufung wirtschaftlicher Tätigkeiten bestimmt somit Klassifizierungsfragen verbundener Investments.

Eine punktgenaue Spezifikation der formulierten Kriterien, deren Umsetzung sowohl in Brüssel, aber auch in den einzelnen Staaten auf der Agenda steht, ist damit maßgeblich für den grundsätzlichen Erfolg aller Maßnahme(n). Die Anwendung der Taxonomie erfolgt in zwei Stufen: Ab 1. Januar 2022 treten die Klimaschutzziele verbindlich in Kraft; die übrigen Ziele ab 1. Januar 2023.

EU-Offenlegungsverordnung

Einen weiteren Kern des Aktionsplans bildet die EU-Offenlegungsverordnung: Sie gilt als Rahmenwerk für harmonisierte Vorschriften über Transparenz im Umfeld von (i) Nachhaltigkeitsrisiken, (ii) nachteiligen Nachhaltigkeitsauswirkungen in Bereitstellungsprozessen sowie (iii) Informationsbereitstellung über die Nachhaltigkeit von Finanzprodukten und kodifiziert weitreichende Offenlegungspflichten im Umfeld von Nachhaltigkeit für Finanzmarktteilnehmer. Dabei werden weite Teile von Wertschöpfungsketten auf unterschiedlichen Niveaus tangiert: Produktgeber, -verwalter und -vertreiber werden verpflichtet, auf Unternehmens-, Portfolio- und Produktebene Transparenz zu schaffen. Betroffen sind im Übrigen auch vorvertragliche Informations- und Vergütungsaspekte. Das heißt, Finanzmarktteilnehmer werden zu weitreichender Transparenz verpflichtet, die aufgrund einschlägiger Bewertungskriterien hergestellt werden soll.

Auch im Zusammenhang mit der Taxonomie-VO sollen daher bis Ende 2020 Entwürfe für technische Regulierungsstandards zu Nachhaltigkeitsindikatoren vorliegen – erste Offenlegungspflichten gelten ab dem 10. März 2021. Die Konsultation eines entsprechenden Entwurfs der europäischen Aufsichtsbehörden erfolgte bis zum 1. September 2020. Mit einer fristgerechten Erarbeitung ist indessen nicht mehr zu rechnen; der Arbeitsaufwand ist enorm.

Bislang nimmt die Offenlegung der nachteiligen Auswirkungen auf Nachhaltigkeit (Principal Adverse Impacts on Sustainability – PAIs) eine besondere Rolle ein. Eine Liste von 32 verpflichtenden, sowie 18 optionalen Indikatoren aus den Bereichen Treibhausgasemissionen, Energieeffizienz, Biodiversität, Wasser, Abfall, Soziales und Mitarbeiter, Menschenrechte und Korruption wurde vorgeschlagen. Vor dem Hintergrund der verhältnismäßigen Praxisimplementierung schon zum März 2021 in Verbindung mit dem aktuellen Arbeitsstand kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Indikatoren in Deutschland zunächst nur in geringerem Umfang verpflichtend werden. Expertenkreise gehen von einer Halbierung auf zunächst 16 Indikatoren aus, wobei die Übrigen auf freiwilliger Basis anwendbar sein könnten.

Das heißt., es werden ab März 2021 voraussichtlich noch nicht alle Berichterstattungsgrundlagen anzuwenden sein. Erste Berichte werden wahrscheinlich qualitativen Charakter besitzen und in 2022 bzw. 2023 weiter konkretisiert werden (können). Denn letztlich kann nur offengelegt werden, was auch systematisch erhoben werden kann. Dazu braucht es definierte und operationalisierte Kriterien.

EU-Referenzwertverordnung

Zuletzt hat wird der Dreiklang durch die EU-Benchmark-Verordnung komplettiert. Sie hat das Ziel, eine transparente und zuverlässige Ermittlung von Referenzwerten innerhalb der Europäischen Union zu ermöglichen und ist bereits vor einigen Jahren in Kraft getreten. Vor dem Hintergrund des EU-Aktionsplans sowie vorgenannter Ausführungen liegt auf der Hand, dass hierbei auch Nachhaltigkeitsaspekte Einzug halten müssen: Auch das Joint Committee der ESAs stellt fest, dass sich ein vergleichsweise intransparenter Markt für ESG-Daten bzw. -Ratings etabliert, deren Vergleichbarkeit zudem begrenzt ist.

Daher wurde die bestehende Verordnung – analog zum Umsetzungsstand der Taxonomie-VO –  nunmehr um die beiden Referenzwerte „EU Climate Transition Benchmark“ und „EU Paris-aligned Benchmark“ ergänzt, verbunden mit dem Ziel, das Vertrauen in notwendige und verwendbare Indizes zu stärken. Im Ergebnis müssen Administratoren von EU-Referenzwerten die Berechnungsmethodik eines solchen Referenzwertes darstellen, dokumentieren, veröffentlichen und mindestens einmal pro Jahr auf Adäquanz prüfen. Finanzmarktteilnehmer erhalten so einerseits ein verbindliches Anforderungskonglomerat; Rating- und Informations-Anbieter sind gefordert, sich an EU-Standards zu orientieren.

Fazit: Der EU-Aktionsplan ist als ein umfangreicher Eingriff in den Finanzmarkt zu sehen, der einen weiteren Schritt in Richtung Kapitalmarktunion geht. Aufgrund einer Vielzahl von Maßnahmen, die im sog. Lamfalussy-Verfahren ratifiziert und konkretisiert werden, sind Finanzmarktteilnehmer gefordert, ihre Compliance- und Risikomanagement-Systeme umgehend à jour zu bringen. Die Schwierigkeit dabei: Bislang fehlt es an operationalisierbaren Kriterienkatalogen, die als praxistauglich eingestuft werden können und anerkannt sind. Alle betroffenen Unternehmen sollten daher die unterschiedlichen Gesetzgebungs-Level im Auge behalten und schnell mit eigenen Umsetzungsideen bzw. -konzepten glänzen, um im Sinne des Crowd-Sourcings und der Schwarm-Intelligenz dazu beizutragen, zukünftige Standards aktiv zu prägen.

Dass Nachhaltigkeit, ESG, CSR und ähnliche Schlagworte ein Megatrend sind, der unter dem Begriff Greenwashing in Marketing-Abteilungen abgestellt werden kann, wäre indes der Trugschluss der 2020er Jahre. Aktive Konsultation auf nationaler und supranationaler Ebene sind mehr denn je geboten; Initiative und Mitgestaltung bestimmen die eigene Kompetenz in einem zunehmend wichtigen Themenfeld, dessen Beherrschung sich im Umkehrschluss als Erfolgsfaktor der Finanzmarktteilnehmer herauskristallisieren wird.

Zwar sind Gestaltungs- und Implementierungsaufwand hoch. Da sich die Maßnahmen jedoch in Teilen gegenseitig bedingen oder konkretisieren, ergeben sich zweifelsohne substanzielle Synergie-Potenziale.

Vor allem im Lichte des Solvency II-Reviews, aber auch im Hinblick auf etwaige Veränderungen der IDD werden weitere Strahlwirkungen für insb. Versicherer deutlich. Als Finanzmarktteilnehmer betroffen sind jedoch darüber hinaus ebenso Wertpapierfirmen, EbAV’s und Verwaltungsgesellschaften gefordert. Der regulatorische Impact ist also genauso breit wie tief.

Es scheint zwar wie so häufig zu gelten: „Der Weg ist das Ziel“. Aber wer sich nicht auf den Weg macht, der wird offenkundig nie ankommen. Nachhaltigkeit wird somit unweigerlich und kurzfristig zur conditio sine qua non der Wettbewerbsfähigkeit aller Finanzmarktteilnehmer.

Autoren: Julius Jauch und Timo Biskop, Doktoranden am Institut für Versicherungswissenschaften der Universität Leipzig

Ein Kommentar

  • Bei dieser erneuten maßlosen Bürokratie-Erhöhung wird wieder einmal vergessen dass der Kunde das am Ende zahlt und für die Umwelt allenfalls marginal etwas herauskommt solange die Realwirtschaft nicht ausreichend gelenkt ist, zum Beispiel durch CO2 Bepreisung! Allein durch Wechsel des Halters eines „schmutzigen“ Assets ändert sich noch nichts!
    Man wird das Gefühl nicht los, dass damit lediglich Fonds wieder etwas mehr Kosten generieren wollen, um den Trend zum ETF stoppen oder dass Anbieter mit schlechteren Kennzahlen mit dem Thema „grün“ etwas davon ablenken wollen…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

15 − 3 =