Erstes Urteil zum neuen Freibetrag: Aufteilung bei mehreren Betriebsrenten nötig

Quelle: Sang Hyun Cho/ Pixabay

Kaum ist zum 1. Januar 2020 die Neuregelung eines Freibetrags für Betriebsrenten (§ 226 Abs. 2 SGB V) in Kraft getreten, gibt es auch schon ein erstinstanzliches Urteil zur Anwendung des neuen Freibetrags (Sozialgericht Karlsruhe, Urteil vom 29. Januar 2020 – Az.: S 6 KR 2676/18, nicht rechtskräftig). Die Klägerin, eine Betriebsrentnerin bezieht zwei Betriebsrenten und wollte klären, wie denn der neue Freibetrag auf die beiden Betriebsrenten aufzuteilen ist. Folge zwei der Spezialserie bAV.

Der Fall:

Die Betriebsrentnerin klagt gegen die Erhebung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen aus der Kapitalleistung einer Lebensversicherung. Aktuell werden bei ihr zwei Betriebsrentenleistungen verbeitragt:

  1. Im Jahr 2016 zahlte ein Lebensversicherer auf der Grundlage eines von dem Arbeitgeber abgeschlossenen Direktversicherungsvertrages ca. 14.000 Euro an die Klägerin aus. Aus einer Kapitalleistung wird ein fiktiver monatlicher Zahlbetrag ermittelt. Dabei wird so getan, als würde die Kapitalleistung über zehn Jahre verteilt (120 Monate). Dieser fiktive monatliche Zahlbetrag betrug in diesem Fall ca. 115 Euro. Das lag unter der sogenannten Freigrenze nach § 226 Abs. 2 SGB V (alte Fassung vor dem 1.1.2020). Die Betriebsrentnerin zahlte daher keine Beiträge an ihre Gesetzliche Krankenversicherung.
  2. Doch dann kam eine zweite Betriebsrentenleistung hinzu und die Freigrenze wurde überschritten. Mit der Wirkung, dass nun die gesamte Leistung verbeitragt wird: Mit Wirkung ab Juli 2017 – seit diesem Zeitpunkt bezieht die Klägerin zusätzlich eine Hinterbliebenen-Betriebsrente – setzten die Kranken- und die Pflegekasse der Klägerin, die Beklagten, monatliche Beiträge aus der Kapitalleistung fest.

Dagegen klagte die Betriebsrentnerin: Sie wandte ein, die Verbeitragung sei unverhältnismäßig und sie sei unvorhersehbar gewesen.

Das Urteil:

Die Klage vor dem Sozialgerichts Karlsruhe hatte teilweise Erfolg.

  1. Für die Verbeitragung bis zum 1.1.2020 gingen die Richter davon aus, dass die Beitragserhebung zu Recht erfolgt sei. Die Beitragspflicht von Leistungen aus Direktversicherungen sei höchstrichterlich geklärt und die Einwände der Klägerin, die Verbeitragung sei unverhältnismäßig und sie sei unvorhersehbar gewesen, griffen nicht durch.
  2. Allerdings sieht die Sachlage ab 1.1.2020 anders aus. Ab diesem Zeitpunkt sei die Klage teilweise begründet, soweit sie sich gegen die Erhebung von Beiträgen zur GKV für die Zeit ab dem 1. Januar 2020 richte. Der müsse ab 1.1.2020 berücksichtigt werden.

Begründung: Da es sich bei Beitragsbescheiden um sog. Dauerverwaltungsakte handle, seien auch nach Bescheiderlass eintretende Rechtsänderungen bei der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen. Vorliegend sei dies die Regelung des § 226 Abs. 2 Satz 2 SGB V, die seit dem 1. Januar 2020 für Renten der betrieblichen Altersvorsorge, wozu auch die Kapitalleistung zähle, einen Freibetrag von 1/20 der monatlichen Bezugsgröße vorsehe.

  • Und das Gericht äußerte sich auch gleich dazu, wie der Freibetrag bei mehreren Betriebsrenten anzuwenden sei.

Denn es sei gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt, wie der Freibetrag zu verteilen sei, wenn ein GKV-Versicherter wie die Klägerin mehrere Betriebsrenten gleichzeitig beziehe.

Daher sei die Vorschrift des § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB IV entsprechend anzuwenden, die bei Überschreitung der Beitragsbemessungsgrenze wegen des Zusammentreffens von Einkommen aus verschiedenen Versicherungsverhältnissen die verhältnismäßige Minderung der einzelnen Einkünfte anordne. Nach diesem Maßstab sei der Freibetrag verhältnismäßig auf die beiden Betriebsrenten aufzuteilen.

  • Die Folge: Aus der Kapitalleistung seien daher ab dem 1. Januar 2020 GKV-Beiträge nur noch in Höhe von 8,66 € statt wie bisher knapp 17 € geschuldet.
  • Ob die verhältnismäßige Anrechnung des Freibetrages auf mehrere Betriebsrenten kraft Gesetzes eintrete oder einen vorherigen Antrag voraussetze, könne dahinstehen, weil die Klägerin in der mündlichen Verhandlung jedenfalls einen entsprechenden Antrag gestellt habe.

Fazit: Das ist ein klassisches Eigentor der betroffenen Krankenkasse. Die verhältnismäßige Aufteilung ist nämlich sowohl für die Krankenkasse wie die betroffene Zahlstelle besonders aufwändig. Daher hat der GKV-Spitzenverband in seinen Rundschreiben zur Umsetzung des neuen Freibetrags empfohlen, dass der Freibetrag zunächst auf eine Betriebsrente angewandt wird und ein verbleibender Restbetrag dann auf die nächste Betriebsrente übertragen wird.

Dazu soll bis zum 1. Oktober 2020 das Zahlstellenmeldeverfahren und die entsprechenden Datensätze angepasst werden (GKV-Rundschreiben u.a. vom 20. Dezember2019 – 2019/734, 19. Februar 2020 – 2020/096, Grundsätze Zahlstellen-Meldeverfahren vom 13. Februar 2020 und Verfahrensgrundsätze zum Zahlstellen-Meldeverfahren vom 18. März 2020).

Autor: VW-Redaktion

13 Kommentare

  • Betriebliche Altersvorsorge und eine vom Arbeitnehmer allein (!!!) finanzierte Direkt-(Lebens)-versicherung sind „2 verschiedene Paar Schuhe“ !
    Daher: Keine KV auf privat finanzierte Direktversicherungen !!!

  • Ich beziehe eine kleine Betriebsrente als Einzelzusage! Da ich bei Beginn meines Rentenbezuges freiwillig versichert war, aufgrund des Erreichens der notwendigen Bezüge durch Einmalzahlungen, muss ich weiter den vollen Krankenkassenbeitrag zahlen! Wie kann ich mich wehren?

  • Anscheinend gar nicht, weil der Bundestag das per Gesetz so beschlossen hat, mir geht es genauso, ich überlege gerade vor dem Sozialgericht zu klagen, wohl mit wenig Erfolg, da ich die Gesetzes Texte, trotz mehrmaliger Nachfrage, nicht verstehe, warum ein Freiwillig Kranken Versicherte anders behandelt wird, als ein Pflichtversicherter, die Beiträge unterscheiden sich um gar nichts.

  • M. Westhölter

    Schön wärs, Frau Frink. Der Staat hat alle in die Pflicht genommen und die Beitragszahlungen von allen direktversicherten Arbeitnehmern egal oft freiwillig oder pflichtversichert, auf 10 Jahre gestreckt einkassiert. Da gab es leider kein Entrinnen. Selbst das Bundessozialgericht hat diese Ungerechtigkeit vor Jahren bereits durchgewunken.

  • Dr. Friedrich Droste

    Die Krankenversicherungspflicht von Betriebsrenten ist ungerecht aus folgenden Gründen:

    a) Sie betrifft nur die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die privat versicherten bleiben außen vor, vermutlich dank guter Lobby-Arbeit der Versicherungswirtschaft.

    b) Die Pflichtversicherten bekommen zumindest einen kleinen Freibetrag (da hat sich die SPD wohl wieder einmal für die „Kleinen Leute“ eingesetzt. Sie hat aber nicht erkannt, dass die Regelung völlig inkosistent ist).

    c) Die freiwillig in der GKV Versicherten profitieren nicht von dem Freibetrag.

    d) Ganz absurd wird es dann dadurch, dass die Versicherungspflichtigen nicht nur den Arbeitnehmeranteil sondern gleich noch den Arbeitgeberanteil zahlen müssen.
    Dass eine derart Unsinnige und inkonsistente Regelung überhaupt zustande kam, führe ich darauf zurück, dass die die freiwillig in der GKV Versicherten keine Lobby haben:

    + Es handelt sich wohl primär um Familienväter mit mehreren Kindern, die ein einigermaßen auskömmliches Einkommen haben, fleißig ihres Steuern zahlen und fiskalische Belastungen nicht bis auf den letzten Cent durchoptimieren.

    + Die Topverdiener und DINKs (Doppelverdiener ohne Kinder) sind ohnehin in der Privaten Krankenversicherung

    + Beamte sind nicht betroffen

    + Die SPD fühlt sich nur für „den kleinen Mann zuständig“

    Wehren kann man sich gegen diese Ungerechtigkeit nur durch Änderung der Gesetze. Das heißt man muss über die Abgeordneten gehen und sie sensibilisieren.

    In Frage kommen da woh am besten die Unionsvertreter und die Grünen.

    Ich hatte die Angelegenheit bis dato nicht auf dem Radar und fiel bei der ersten Abrechnung aus allen Wolken.

    Das werde ich aber so nicht hinnehmen und an die Politiker wenden.

  • Derartige Vorgänge seit dem Gesetzesbruch von 2004 sind ein massiver Grund für das gesunkene Vertrauen auf null gegenüber dieser politischen Kaste. Schlimmer noch ist das scheinheilige Tun seit Jahren um eine Änderung dieser Ungerechtigkeiten. Die Spitze ist dann die Priviligien von Beamten und Politikern.

  • Diese Rechtsprechung / bzw. dieses Gesetz ist für mich unfassbar ungerecht. Ich bin ebenfalls davon betroffen.
    Ich bezahle über die Direktversicherung (Lebensversicherung mit einmaliger Kapitalzahlung) praktisch 3-fach den Sozialversicherungsbeitrag. Die Direktversicherung ist damit unrentabel, ich hätte das Geld auch auf ein ganz normales Sparbuch einzahlen können mit gleichem Ergebnis.
    Doch man kann sich dagegen wehren!!
    Bei der nächsten Bundestagswahl die richtige Partei wählen!!
    Die Krankenkassen haben wohl einen hohen Finanzbedarf weil viele versicherungsfremde Leistungen bezahlt werden, vermutlich für Leistungen an Personen die vorher keine Versicherungsbeiträge bezahlt haben.
    Hier ist die Politik gefordert, aber die Parteien die z.Zt. am Ruder sind, wollen es nicht ändern oder können / wollen sich gegen ihrem Koalitionspartner nicht durchsetzen.
    Also kann man sich dagegen nur wehren indem man die politische Landschaft ändert. Der Stimmzettel bei der nächsten Bundestagswahl ist die Möglichkeit.

  • Das haben wir Ulla Schmitt und der SPD zu verdanken.
    Nächstes Jahr sind Wahlen. Gebt den Sozies die Quittung.
    Diese Partei hat abgewirtschaftet.

  • Die Quittung für diese Ungerechtigkeit hat die SPD von mir schon bei der Bundestagswahl 2017 bekommen und auch die CDU, denn Herr Seehofer hat daran auch mitgewirkt. Pikant dabei ist, dass die SPD und die CDU noch kurz der Bundestagswahl 2017, einen Antrag von Sarah Wagenknecht, abgelehnt hat, der die Rücknahme dieses Gesetzes vorsah. Die Gesetze werden von Beamten vorbereitet, die natürlich darauf achten, dass sie von solchen Einschnitten nicht betroffen. Das Gleiche gilt auch für die Abgeordneten, die auch nicht von solchen Gesetzen betroffen sind, und last but not least die Richter, die ebenfalls nicht darunter leiden. Alles klar. Neben der Partei achte ich seither farauf, dass kein Beamter von mir ein Stimme bekommt.

  • Schwingenheuer

    Die Ungerechtigkeit ist himmelschreiend. Wie kann eine Regierung seine Bürger so hintergehen. Für mich ist das arglistige Täuschung. Man spart für die Versorgungslücke an und wird anschließend dann finanziell richtig bestraft.
    Das schlimmste daran ist zusätzlich, dass Verträge, die vor 2004 abgeschlossen wurden, auch betroffen sind. Wenn man dem Staat, und seinen von uns gewählten Volksvertreten nicht mehr trauen kann, wem dann?
    Ich beziehe mich hier auf die Fürsorgepflicht:
    Treu und Glauben bezeichnet das Sozialverhalten eines redlich und anständig handelnden Menschen, ohne den Begriff näher zu definieren.
    Diesen Glauben habe ich verloren!

  • Christian Rüter

    Völliges Chaos. Man hat den Eindruck, dass Krankenkassen und Zahlstellen sich im Kreis drehen und keiner den Mumm hat, untereinander zu einer Abstimmung zu kommen. In meinem Fall Bank, BVV und Krankenkasse. Wenn man das Verfahren für die Praxis vernünftig regeln würde, könnte der immense Mehraufwand zur Bewältigung der Anfragen sicher erheblich reduziert werden und der Frust der Betriebsrentner (erst Nachzahlung, dann wieder eingesammelt – und keiner kann beurteilen, was letztendlich korrekt ist) würde sich in Grenzen halten, abgesehen von den grundsätzlichen Ungerechtigkeiten.

  • Jörg Memmesheimer

    Die CDU will die Doppelbebeitragung definitiv NICHT abschaffen!

  • Gerd Kaubisch

    Ich bin bei der TK. freiwillig versichert und beziehe neben meiner Rente von SOKA eine
    Rentenbeihilfe von 103,50 Euro. Die SOKA ist eine Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes.
    im Mitteilungsblatt steht unter Absatz 5 folgendes. Auf die monatliche Rentenbeihilfe ist der
    volle allgemeine Beitragssatz zur Kranken-und Pflegeversicherung zu zahlen.
    Die Beitragspflicht entsteht jedoch nur, wenn die monatlichen Versorgungsbezüge ein
    Zwanzigstel der Bezugsgröße nach $ 18 SB IV übersteigen. Frage ist muss ich den vollen
    Krankenkassenbeitrag leisten?

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