VW-Entschädigung erspart Rechtsschutzversicherern Millionen an Prozesskosten

Volkswagen-CEO Dr. Herbert Diess im Gespräch mit Grünen-Chef Robert Habeck. Quelle: IAA

Nach den zunächst gescheiterten Gesprächen haben VW und Verbraucherschützer doch einen Vergleich erzielt. Es ist ein Sieg für das Instrument Musterfeststellungsklage. Für Rechtsschutzversicherer kann die Bündelung von Einzelansprüchen potenziell die Prozesskosten ersparen. Doch einige Rechtsexperten raten den Klägern ab, das VW-Angebot anzunehmen.

Volkswagen hatte im September 2015 zugegeben, millionenfach Diesel-Abgaswerte durch eine Software manipuliert zu haben. Während VW in den USA Kunden mit Milliarden Dollar entschädigte, war der Konzern hierzulande dazu nicht bereit. Bis die Musterfestellungsklage kam. Seit dem 1. November 2018 gibt es diese neue Klagemöglichkeit für registrierte Verbraucherschutzverbände wie den vzbv und die Verbraucherzentralen.

Einigung auf Druck der Politik

Am 30. September 2019 begann die mündliche Verhandlung zur Musterklage gegen VW. Mehr als 440.000 Dieselfahrer haben sich angeschlossen. Bereits Mitte Februar standen VW und VZBV vor einer Einigung, der Vergleich platze jedoch. Beide Seiten schoben sich gegenseitig die Schuld dafür zu. Doch offenbar auf Druck der Politik wurden die Verhandlungen aufgenommen. Denn die Bundesregierung wollte nicht, dass das neu geschaffene Instrument der Musterfeststellungsklage diskreditiert wird.

„Im Gesetzentwurf wurde von jährlich rund 450 Musterfeststellungsklagen ausgegangen. Heute, nach über einem Jahr, wird diese Zahl bei Weitem nicht erreicht. Ein Hauptgrund dafür dürfte sein, dass erst einmal aufmerksam die VW-Klage verfolgt wird. Wenn diese aus Sicht der Verbraucher erfolgreich ist, dürfte sicherlich auch die Zahl von neuen Einreichungen steigen“, sagt Klaus Kozik, Hauptabteilungsleiter Rechtsservice bei der Arag SE.

Die Einigung sieht wie folgt aus: Anspruchsberechtigte Teilnehmer der Musterfeststellungsklage können sich durchschnittlich circa 15 Prozent des ursprünglichen Kaufpreises von Volkswagen auszahlen lassen. Der Konzern verpflichtet sich, dafür je nach Fahrzeugtyp und Modelljahr Entschädigungssummen von 1.350 bis 6.257 Euro zu zahlen – und plant dafür eine geschätzte Gesamtsumme von 830 Millionen Euro ein. Rund 260.000 Geschädigte werden ein Entschädigungsangebot erhalten. Kein Vergleichsangebot werden Dieselbesitzer bekommen, die ihr Auto nach dem 31. Dezember 2015 erworben oder zum Zeitpunkt des Kaufs ihren Wohnsitz nicht in Deutschland hatten.

Die Folgen für Rechtsschutzversicherer

Für die Klage gegen VW haben sich bei der Arag über 1.000 Rechtsschutzkunden anwaltlich beraten und eintragen lassen. Die Zahl der Kunden, die sich rund um die VW-Abgasthematik für eine Individualklage ans Unternehmen gewendet haben, liegt mit 14.000 allerdings deutlich höher. „Das unterstreicht, dass die Rechtsschutzversicherung gerade auch rund um die Musterfeststellungsklage wichtig ist und bleibt“, betont Klaus Kozik von der Arag.

Ob eine Musterfeststellungsklage für den einzelnen Kunden sinnvoll und passend ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, ergänzt er. Etwa von der voraussichtlichen Verfahrensdauer, vom eventuellen Wunsch, aktiv mit einem bestimmten Anwalt zusammenzuarbeiten, von der Frage, ob die Musterfeststellungsklage überhaupt zum Feststellungsziel des Kunden passt und natürlich von den Erfolgsaussichten der Einzelklage.

Quelle: IAA

Dieses Klageinstrument werde wohl eher bei Fällen durchgesetzt, bei denen zwar viele Einzelpersonen betroffen sind, die Streitwerte jedoch eher niedriger liegen. „Für Rechtsschutzversicherer können Musterfeststellungsverfahren durch die Bündelung von Einzelansprüchen potenziell die Prozesskosten senken“, mutmaßt Kozik. Sicher sei das nicht. Je nach VW-Ergebnis könne es sein, dass die Betroffenen ihre individuellen Ansprüche noch einmal beziffern und geltend machen müssen.

Denn die teilnehmenden Kläger erhalten auch nach einem für sie positiven Urteil nicht automatisch einen vollstreckbaren Anspruch. Welche Kosten dadurch im Nachlauf entstehen sei somit kaum vorhersehbar. „Wir gehen nicht davon aus, dass die Musterfeststellungsklagen zu einem deutlich erhöhten Schadenaufkommen
– und damit verbunden zu Prämienanpassungen – führen.“

Auch eine Änderung der Rechtsschutzpolicen hält er nicht für nötig. „Ein Vergleich hätte den Vorteil, dass alle Einzelansprüche möglichst schnell und endgültig geklärt würden“, glaubt Kozik. Dadurch würde die Notwendigkeit für nachgelagerte Einzelklagen sinken. Doch auch im Extremfall, dass alle Arag-Kunden, die sich an der Musterfeststellungsklage beteiligt haben, ihre Ansprüche individuell durchsetzen müssen, könne man schnell weiterhelfen. „Wir bearbeiten im Jahr mehrere hunderttausend Schadenmeldungen, da fällt diese Größenordnung nicht wirklich ins Gewicht.“

Das VW-Angebot hat auch seine Nachteile

Verbraucher können ihren Anwalt laut VW-Angebot frei wählen, der Autobauer zahlt jedem Anwalt pro Mandat 190 Euro. Da von den mehr als 430.000 VW-Kunden der Musterklage nur rund 260.000 anspruchsberechtigt sind, rechnet VW daher mit genau mit 50 Mio. Euro Anwaltskosten. Allerdings übernimmt VW diese Kosten offenbar nur dann, wenn der betroffene Kunde dem Vergleich zustimmt. Wer die Schadensersatzklage gegen VW weiterverfolgen will, muss die Anwaltskosten selbst tragen. Da der vzbv die Musterfeststellungsklage beendet, können Betroffene bis mindestens Oktober eigene Klagen erheben. Sie sind nicht länger an die Musterfeststellungsklage gebunden.

Der Rechtsanwalt Claus Goldenstein rät den betroffenen Haltern dazu, das VW-Angebot nicht anzunehmen, denn diese können über den individuellen Klageweg deutlich bessere Konditionen durchsetzen. Seine Kanzlei Goldenstein & Partner vertritt mehr als 17.800 Mandanten im Dieselskandal und ist in der Sache für den ersten Fall verantwortlich, der vor dem Bundesgerichtshof (BGH) verhandelt wird: „Wer das aktuelle Vergleichsangebot annimmt, muss seinen manipulierten PKW behalten und auf weitere Rechtsansprüche verzichten. Wir wissen aber, dass die meisten betroffenen Halter ihre manipulierten PKW gern an VW zurückgeben möchten, da diese auf dem Gebrauchtwagenmarkt massiv an Wert verloren haben und kaum Abnehmer finden. Das liegt neben dem Skandal selbst auch an den Fahrverboten in einigen deutschen Städten. Ferner berichten viele Mandanten von erheblichen Problemen durch das Softwareupdate”, erklärt Goldenstein.

“Tatsächlich haben betroffene Fahrzeughalter die Möglichkeit, das Vergleichsangebot auszuschlagen und ihre Rechte individuell durchzusetzen. Nahezu jedes Gericht in Deutschland bewilligt aktuell die Rückgabe von Dieselskandal-Fahrzeugen an VW. Im Gegenzug muss der Wolfsburger Konzern seine Kunden mit einer Summe entschädigen, die weit über dem aktuellen Marktwert des jeweiligen Autos liegt. Im Schnitt setzen wir für unsere Mandanten 17.510 Euro pro Fahrzeug durch. Insgesamt könnten die anspruchsberechtigten MFK-Teilnehmer also rund 4,6 Milliarden Euro von Volkswagen erhalten – deutlich mehr, als der Konzern aktuell zu zahlen bereit ist.”

Kassieren oder auf BGH-Urteil warten?

Goldenstein macht darauf aufmerksam, dass „ein Fall unserer Kanzlei am 5. Mai als erstes Dieselskandal-Verfahren überhaupt von dem Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe behandelt wird.“ Ein Urteil wird noch am selben Tag erwartet und endgültig für Rechtssicherheit in der Sache sorgen.

„Sämtliche Experten gehen von einer verbraucherfreundlichen Entscheidung des BGH aus. Das hat das Gericht bereits in einem Hinweisbeschluss durchblicken lassen. Volkswagen möchte sich unbedingt noch vor unserem BGH-Termin mit den Teilnehmern aus der Musterfeststellungsklage auf eine Entschädigung einigen, da der Konzern Angst vor dem Urteil des BGH hat“ glaubt der Anwalt.

Autor: VW-Redaktion

Ein Kommentar

  • Die Anwälte rechnen sich das natürlich auch schön: „Im Schnitt setzen wir für unsere Mandanten 17.510 Euro pro Fahrzeug durch.“ (aus dem obigen Text) Das mag stimmen, solche Urteile beziehen sich aber nicht auf Schadensersatz wie der VW-Vergleich, sondern auf eine Rückgabe. Die Fragen, die man sich als Kunde da stellen muss, sind: Wie viel ist mein Auto (auf dem Gebrauchtwagenmarkt) noch wert? Wie viel kann der Anwalt rausholen? Und: Ist die Differenz größer als die Entschädigung im Vergleich? Pauschal zu sagen, dass der Vergleich schlecht ist, ist reine Werbung.

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