Daumen hoch oder runter: Überlebt die Große Koalition das Jahr 2020?

Der Reichstag in Berlin. Quelle: Bild von Harald Meyer-Kirk auf Pixabay

Die Parteien der Regierungskoalition CDU/CSU und SPD sind bei den jüngsten Landtagswahlen gehörig unter die Räder geraten. Insbesondere in der SPD brodelt es; viele Genossen wollen am liebsten schnell aus dem ungeliebten Regierungsbündnis heraus. Aber was wäre dann die Alternative?

Die Wählerumfragen sprechen eine eindeutige Sprache: Die SPD ist meilenweit von dem Status einer Volkspartei entfernt und sie würde auf absehbare Zeit von einem Regierungsbündnis ausgeschlossen bleiben, denn auch für Grün, Rot, Rot reicht es vorne und hinten nicht. Ob die Sozialdemokraten mit dem neuen Führungsduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans in der Gunst des Wahlvolkes wieder zulegen kann, ist jüngsten Umfragen zufolge zumindest zweifelhaft.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier ist sich jedenfalls sicher, dass die Koalition halten wird. Ein mutwilliger Bruch wäre angesichts der großen Herausforderungen unverantwortlich. „Die SPD muss das Personalgerede schnell beenden, damit sie wieder auf die Beine kommt“, sagte Altmaier gegenüber Bild.

Dabei könnte er sich aber auch an die eigene Nase fassen, zumal die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer zuletzt Schwächen gezeigt und eine Debatte über die K-Frage ausgelöst hatte. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) konzentriert sich auf die Regierungspolitik. Aus dem Wahlkampf in Thüringen, wo die CDU letztlich jeden dritten Wähler verlor und bei knapp 22 Prozent nur drittstärkste Kraft im Landtag wurde, hielt sie sich heraus. Die Niederlage muss Kramp-Karrenbauer verantworten.

Und zu allem Überfluss machte Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer auch noch den unabgestimmte Vorschlag einer militärischen Schutzzone in Nord-Syrien öffentlich. Da zeigte ihr auch Außenminister Heiko Maas (SPD) die Rote Karte. Auch wenn es in der ohnehin schon zusammengeschmolzenen Großen Koalition knirscht, das nächste Jahr gewährt den Parteien eine Atempause.

Nur in Hamburg steht im Februar die Bürgerschaftswahl an, ansonsten sind Kommunalwahlen in Bayern und Nordrhein-Westfalen noch von einer gewissen Bedeutung. Einer Schlüsselrolle kommt den beiden Parteitagen der CDU Ende November und der SPD Anfang Dezember zu.

Stolperstein Grundsicherung? Ein Kompromiss scheint greifbar

Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Grundrente für langjährig Versicherte sollte eigentlich kein Stolperstein für die Regierung sein; allerdings hat es lange geknirscht. Die SPD pocht darauf, dass Menschen, die 35 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt oder Kinder erzogen und Angehörige gepflegt haben, ohne Bedürftigkeitsprüfung eine Rente erhalten, die rund zehn Prozent über dem Grundsicherungsniveau liegt.

Der Verzicht auf eine Bedürftigkeitsprüfung, die ja im Koalitionsvertrag ausdrücklich festgeschrieben worden war, war allerdings zwischen den Koalitionspartnern heftig umstritten. Anscheinend verständigten sich die Verhandlungsteams von Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) und Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) auf einen Kompromiss, der dann aber wieder in Frage gestellt wurde. Der Begriff Bedürftigkeitsprüfung soll erst gar nicht in einem Gesetzentwurf auftauchen. Stattdessen soll es eine Einkommensüberprüfung geben. So würden etwa Immobilienbesitz, Aktien-Besitz oder sonstiges Vermögen aus der Überprüfung herausfallen.

Selbst wenn sich jetzt der Koalitionsausschuss auf den Kern der Rahmenbedingungen verständigt hat, muss man sehen, was am Ende der parlamentarischen Beratungen aus einem Gesetzentwurf zur Grundrente wirklich wird. Zudem fordert die Union als Gegenleistung für ein Nachgeben bei der Ausgestaltung der Grundrente eine Senkung der Unternehmenssteuern. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach warf der Union vor „ohne Skrupel zwei Millionen Rentnerinnen und Rentner, die von einer einkommensgeprüften Grundrente profitieren könnten, in Geiselhaft“ zu nehmen, um die ohnehin schon niedrige Körperschaftssteuer weiter absenken zu können. Buntenbach forderte, dass „unwürdige Geschachere“ endlich zu beenden.

Bundesarbeitsminister Heil (SPD) will das Gesetz zur Grundrente jedenfalls gleich im neuen Jahr auf den Weg bringen. „Wir wollen und werden im Januar das Gesetz zur Grundrente im Kabinett beschließen und ins Parlament einbringen“, sagte Heil der Bild am Sonntag.

Regierung schließt offene Flanke bei den Betriebsrenten

Im Prinzip herrscht Konsens in der Koalition: Die betriebliche Altersversorgung (bAV) soll als zweite Säule der Altersvorsorge gestärkt werden. Dazu hatte die Regierung das Betriebsrenten-Stärkungsgesetz (BRSG) verabschiedet, das die Tarifpartner in die Pflicht nehmen sollte. Nach fast zwei Jahren hat sich aber so gut wie nichts getan. Ein Manko war lange auch die Doppelverbeitragung von Betriebsrenten, die die rot-grüne Bundesregierung mit Billigung der Union 2004 eingeführt hatte, um die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) finanziell wieder auf die Füße stellen zu können.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte einen Referentenentwurf vorgelegt, nach dem die Betriebsrentner nur den halben Beitragssatz hätten zahlen müssen. Strittig war und ist, wer die Beitragsausfälle der GKV in Milliarden-Höhe kompensiert. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) zeigte Spahn lange nur die kalte Schulter.

Am Ende konnte sich der CDU-Politiker jedoch durchsetzen: Betriebsrentner sollen vom kommenden Jahr an weniger Krankenkassenbeiträge zahlen müssen. Kurz vor Weihnachten beschloss der Deutsche Bundestag Spahns Gesetzentwurf, mit dem ein Freibetrag eingeführt wird.

Ab Januar werden demnach sollen Betriebsrentner erst oberhalb eines Freibetrags von gut 159 Euro Beiträge an die Krankenkasse zahlen. Bei einer monatlichen Betriebsrente von 169 Euro muss der Kassenbeitrag von 14,6 Prozent sowie ein eventueller Zusatzbeitrag also nur für die zehn Euro jenseits des Freibetrags bezahlt werden, berichtet die Deutsche Presseagentur (dpa).

Gleichwohl soll der Zusatzbeitrag in der GKV im kommenden Jahr um 0,2 auf durchschnittlich1,1 Prozent steigen. Spahn kündigte HIB zufolge für Mitte nächsten Jahren auch einen Vorschlag zur langfristigen Finanzierung der Pflege an. Eine Pflegevollversicherung habe Spahn aber abgelehnt. Dies wäre eine falsche Schwerpunktsetzung zwischen den familiär und gesellschaftlich zu tragenden Aufgaben, wurde Spahn weiter zitiert.

Koalition verkauft Erfolge nicht

Die Bertelsmann-Stiftung hat übrigens einmal untersuchen lassen, welche Versprechen denn im Koalitionsvertrag gegeben wurden und was davon in der ersten Hälfte der Legislaturperiode umgesetzt wurde. Insgesamt listet der Koalitionsvertrag 296 Vorhaben auf. Die meisten Vorhaben entfielen auf den Bereich von Horst Seehofer (CSU), der die Sparten Inneres, Bau und Heimat zu verantworten hat.

Er sollte 49 Vorhaben (17 Prozent) umsetzen. Und wie nicht anders zu erwarten, folgt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) mit 33 Vorgaben (elf Prozent) und das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) mit 32 Punkten, die umzusetzen wären (elf Prozent). Nach knapp zwei Jahren habe die Koalition bereits zwei Drittel ihrer Versprechen vollständig oder teilweise umgesetzt, stellt die Bertelsmann-Stiftung fest. Dabei wurden die einzelnen Themen allerdings nicht gewichtet. So ist die Grundrente eben nur ein Vorhaben von 296. Aber auch, wenn die Koalition fleißig arbeitet und liefert. „Das kommt bei den Wählern nicht an“, resümiert die Bertelsmann-Stiftung.

Hält die Koalition 2020 und sogar bis 2021, dann hätte sie guten Chancen, Vorschläge der Rentenkommission noch in Angriff zu nehmen. Eine Belebung der betrieblichen Altersversorgung und vor allem ein Neustart bei der seit Jahren stagnierenden Riester-Rente könnten wichtige Akzente wetzen, wenn es gelänge, diese auch öffentlich wirksam zu verkaufen.

Autor: Manfred Brüss

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