Warum die Zukunft der Versicherungs-IT in der Cloud liegt

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Im Jahr 2022 nutzten knapp zwei Drittel der Versicherer Cloud-basierte Lösungen, von denen sie sich größere Flexibilität, bessere Skalierbarkeit und erhöhte Kosteneffizienz in Business und IT versprechen. All dies lässt sich erreichen aufgrund der Entwicklung bei externen Software-Anbietern sowie auch auf dem Arbeitsmarkt. Ob der Weg in die Cloud alternativlos ist, analysieren die Roland Berger-Experten Ulrich Kleipaß, Clemens Frey und Carsten Küst.
Dieser Artikel soll daher zeigen, welche Vorteile die Cloud Versicherern bietet und wie sich der Blick auf diese Technologie gewandelt hat. Gleichzeitig wird aufgezeigt, welche Voraussetzungen es braucht, um die Transformation in Richtung Cloud zum Erfolg zu führen. Denn dieser stellt sich keinesfalls zwangsläufig ein, sondern es bedarf unabhängig der Art der gewählten Cloud-Infrastruktur (exklusive „private“ Cloud oder öffentliche „public“ Cloud eines Drittanbieters) sowohl einer klaren Strategie wie auch konsequenter Umsetzung, um die erhofften Vorteile zu realisieren. Den notwendigen Kontext hierfür bieten ein tiefes Verständnis der geschäftlichen Ziele sowie der vorhandenen „Alt-IT“, mit der die Cloud im Zusammenspiel funktionieren muss. Auch regulatorische und kommerzielle Fragestellungen an den oder die Cloud-Provider sind im Blick zu behalten, um die erforderliche Steuerungsfähigkeit sicherzustellen.
Vorteile der Cloud
Der fundamentale Vorteil der Cloud gegenüber herkömmlichen On-Premise-Modellen ist, dass Ressourcen je nach Bedarf kurzfristig bereit- oder abgestellt werden können. Somit werden aus vormals langfristigen Investitionen kurzfristig steuerbare Betriebskosten. Über Pay-per-Use-Modelle der Public Cloud wird es möglich, nur genutzte Ressourcen zu zahlen und diese zeitlich zu steuern. Bei fehlender oder unzureichender Steuerung z.B. zu intensiver Cloud-Nutzung in teuren Peak-Zeiten oder permanenter Dimensionierung entlang nur kurzfristiger Spitzenlasten wie der Berechnung aktuarieller Modelle oder Hauptfälligkeiten, kann die Cloud aber auch zur Kostenfalle mit Budgetüberschreitungen im zweistelligen Prozent-Bereich werden.
Ein weiterer Vorteil jeder Cloud ist die Möglichkeit, riesige Mengen an Daten effizient zu verarbeiten. Die Nutzung von Big-Data- und AI-Technologien ermöglicht es, das erste Mal, hochkomplexe Muster zu erkennen, Risiken präziser zu bewerten und den Kunden personalisierte Dienstleistungen anzubieten. Ebenfalls ermöglichen Cloud-Technologien die Optimierung operativer Abläufe, denn durch sie kann flexibler auf neue Kundenbedürfnisse reagiert werden. Ein Beispiel sind Embedded Insurance-Geschäftsmodelle, die sich nahtlos in Angebote anderer Branchen integrieren, neue Erlösquellen eröffnen und die eigene Wettbewerbsfähigkeit in einer digitalen, vernetzten Welt sichern.
Ein weiterer Mehrwert ist die Automatisierung von DevOps mit flexibilisierter Entwicklung und Nutzung vorgefertigter Bausteine vor allem für nicht-differenzierende Basisfunktionalitäten. So kann die IT mit der Public Cloud ihre Effizienz steigern, Markteinführungen beschleunigen und die Agilität erhöhen. Damit ist ein stärkerer Fokus auf Anwendungen für Geschäftsfunktionen möglich und Konsistenz und Qualität der entwickelten Software steigen. Der größte Mehrwert liegt jedoch in enger Zusammenarbeit und den Synergien zwischen Geschäfts- und IT-Teams, um eine agile und innovationsfreundliche Kultur zu fördern. Die Cloud ermöglicht eine umfassendere Kollaboration zwischen Abteilungen und fördert den Austausch von Informationen und Ideen. Im Gegenzug gehören außen vor gelassene Business-Synergien und der reine Fokus auf IT-Implementierung unserer Erfahrung nach zu den größten Stolperfallen, die dazu führen können, dass der Nutzen der Cloud gering bleibt.
Voraussetzungen für die Cloud-Nutzung
Neben den Vorteilen der Cloud steht der Faktor, dass die Migration oft nicht optional ist, denn regulatorische Anforderungen und externe Systeme, die Cloud-only werden, zwingen Versicherer zu einer Cloudifizierung ihrer IT-Infrastrukturen. Flexible und skalierbare Lösungen sind unabdingbar, um mit den steigenden Anforderungen an Leistung, Kosteneffizienz, Sicherheit und Compliance Schritt zu halten. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, sich im Rahmen der Migration nicht von einem einzigen Cloud-Provider abhängig zu machen, da dies große kommerzielle und regulatorische Risiken birgt, die sich heute schon bei vielen Versicherern realisieren. Daher ist die richtige Auswahl strategischer Partner aus der Vielzahl von Public-Cloud-Providern im Markt eine entscheidende Frage, deren Bedeutung zunehmend besser verstanden wird.
Hier haben sich in den letzten Jahren zum einen das Management der Kosten für den Partner und zum anderen dessen Fähigkeit zur effektiven Begleitung der technischen Transformation als zentrale Erfolgsfaktoren herauskristallisiert. Auch Unterstützung bei der Entwicklung und Umsetzung einer ganzheitlichen Cloud-Strategie ist oft notwendig. Dies umfasst u.a. die Bewertung der aktuellen IT-Landschaft, die Identifizierung geeigneter Use Cases und die Planung der Migrations-Roadmap. Ebenfalls zentral sind Sicherheit und Compliance, denn Resilienz und Adaptivität des Cloud-Set-ups sind aufgrund regulatorischer Anforderungen wie Dora, DSGVO und VAIT für Versicherer noch relevanter als in anderen Industrien. Jeder Ausfall kann bedeutende Konsequenzen, einschließlich finanzieller Verluste und Reputationsschäden nach sich ziehen. Dies verstehen auch die Aufsichtsbehörden zunehmend besser, sodass zum einen ihre Offenheit der Cloud gegenüber wächst, sie gleichzeitig aber auch zunehmend technischere und operative Fragen an Nutzer und Cloud-Anbieter stellen. In einer zunehmend vernetzten Welt ist es unerlässlich, Angriffe abwehren und schnell auf Störungen reagieren zu können.
Um das volle Potenzial zu nutzen, muss die IT-Organisation der Cloud-Strategie folgen. Dies erfordert nicht nur die technische Umsetzung der Cloud-Migration, sondern eine grundlegende Veränderung der Denk- und Arbeitsweise in der IT und der Zusammenarbeit mit der Fachseite. Die traditionelle Rolle der IT als reaktiver Dienstleister muss einer aktiven und strategischen Partnerschaft mit dem Business weichen, die darauf abzielt, geschäftliche Ziele durch innovative Technologie zu unterstützen. Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Mitarbeiter in IT und Business über die erforderlichen Fähigkeiten und Kompetenzen verfügen und agil sowie flexibel agieren, um die Cloud effektiv zu nutzen. Dies erfordert in aller Regel ein dezidiertes Umschwenken, um sich aus bekannten Denkmustern der alten On-Premise und Mainframe-fokussierten Welt zu lösen.
Ein weiterer Aspekt ist die zunehmende Bedeutung von FinOps, denn durch die Flexibilisierung der IT-Kosten in der Cloud wird eine engere Zusammenarbeit von IT, Finance und Business während der Entwicklung wie auch in der Betriebsphase nötig. Ziel des FinOps-Ansatzes ist es, im dynamischeren Cloud-Umfeld eine kontinuierliche Kontrolle und Anpassung der Ressourcennutzung sicherzustellen. Dies bedeutet, dass Entwicklerteams mit in die Verantwortung für die Kosten ihrer Projekte genommen werden, um die ökonomischen Potenziale der Cloud voll auszuschöpfen. Versicherer, die dies unterlassen, sehen häufig hohe Abweichungen von Ist- und Plankosten der Cloud.
Eine adaptierte Organisation ist der Schlüssel, um die IT eines Versicherers optimal auf die Cloud auszurichten. Dies umfasst die Anpassungen von Organisationseinheiten, Rollen und Verantwortungen. In der Gestaltung der Zielorganisation ist eine enge Zusammenarbeit mit der Fachseite zu berücksichtigen, denn deren Expertise ist notwendig, um Synergien nachhaltig zu realisieren. Außerdem ist die Ziel-Organisation nicht statisch, sondern entwickelt sich im Zeitablauf, um Best-Practices und Benchmarks nach wachsender Reife entlang der Cloud Journey abzubilden.
In der Migration bestehender Systeme auf die Cloud bedarf es einer akribischen Analyse und vorausschauenden Priorisierung. Versicherer verfügen oft über komplexe und monolithische IT-Landschaften mit diversen Legacy-Systemen, die eng miteinander verbunden sind. Daher muss eine umfassende Analyse durchgeführt werden, um die vorhandene(n) Anwendungs(-cluster) zu bewerten und ihre Cloud-Eignung zu bestimmen. Dies umfasst verschiedene Faktoren wie architekturelle Abhängigkeiten, Performance-Anforderungen etc. Auf Basis dieser Analyse werden Systeme priorisiert und Quick-Wins zuerst realisiert sowie Redundanzen vermindert und Latenzen reduziert. Dadurch werden Auswirkungen auf den laufenden Betrieb sowie die Kosten der Migration minimal gehalten.
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Migration in die Cloud enorme Chancen und Vorteile bietet. Die Transformation bedarf jedoch einiger Vorkehrungen, sodass Potenziale voll ausgeschöpft und realistische Ziele gesetzt werden und sich Versicherer insgesamt zukunftsfähig aufstellen können.
Autoren: Dr. Ulrich Kleipaß, Senior Partner; Dr. Clemens Frey, Partner; Carsten Küst, Partner; alle bei Roland Berger