Abgesang oder Aufbruch? Bestandsaufnahme der Kölner Start-up-Konferenz InsureNXT

Center Stage der insureNXT 2023 (Bildquelle: Koelnmesse Oliver Wachenfeld)
Vorweggenommen: Professioneller und „runder“ kann man eine solche Konferenz kaum organisieren. Wunderbar dirigiert von den beiden InsurLab-Treibern Sebastian Pitzler (alt, weil zukünftig Chef des InsurLab VCs) und Anna Kessler (neu und voller sprühender Ideen) sowie von Gerald Böse auf der organisatorischen Seite von der Köln-Messe fanden sich am 26. und 27. April über 3.000 Teilnehmer des digitalen Ökosystems zusammen, um über aktuelle Trends, Tops, Flops und Strategien zu sprechen – und natürlich die dafür nötigen Beziehungen zu knüpfen. Ein Kommentar.
Versicherer, InsurTechs aller Couleur, Investoren, Service-Provider (allen voran natürlich IT), Berater, „the academics“ und viele mehr diskutierten alte und neue Ideen, Kooperationen, Anwendungen und Zukunftsvisionen. War das vielversprechend und gelungen? Ein Aufbruch in neue Dimensionen und der innovative Erlösungstempel für aktuell bestehende Probleme? Sicherlich nein! Neue, hoffnungsvolle InsurTechs mit bahnbrechenden Ansätzen? Wenige … Werden die Teilnehmer aus der Start-up-Szene die nächsten Jahre (auch ohne Corona) gut überstehen? Schwer vorstellbar … War die InsureNXT daher der finale Abgesang auf eine stets belächelte Szene, das langsame Ende des InsurTech-Hypes der letzten Jahre?

Ich würde hier ein klares „Nein!“ entgegenhalten. Kein Aufbruchspektakel sicherlich, eher ein konzentriertes Arbeitstreffen der Szene mit einzelnen Farbtupfern. Thematisch durch Insurtechs wie Gini (Dokumentenstrukturierung), Memodio (Demenzprävention), Unblu (digitale Konversationsplattform), oder Walletanbietern wie Miss Moneypenny oder Verimi angereichert, rhetorisch ergänzt durch eloquente Persönlichkeiten wie Norbert Rollinger, Torsten Oletzky, Patrick Dahmen oder Carsten Maschmeyer.
Und als colorierendes Element natürlich das Top-Thema der letzten Wochen: ChatGPT! Jeder hat es probiert, jeder grübelt ob der Einsatzmöglichkeiten in der Assekuranz und einzelne InsurTechs waren sogar mit live-Demos am Start (Flexperto-CEO Moritz Delbrück mit dem Verkauf einer Drohnenversicherung). Wer ständig Disruption fordert, wird hier fündig.
Die Bedürfnisse der Versicherer sind im Moment aber anders gelagert. Hohe Belastungen durch die inflationsbedingt stark gestiegenen Schadenregulierungskosten (Ersatzteile, Stundenlöhne, Materialkosten). Steigende Energie- und vor allem Personalkosten. Erhöhte Regulierungsaufwendungen durch ESG. Steigende Vulnerabilität durch Cyber bei verknappter Kapazität am Markt. Überforderte Cobol-Altsysteme und fehlende Entwickler. Überalterte und nicht kommunizierende Schaden- und Vertriebssysteme. Das politische Thema der Elementarabsicherung. Das sind die Themen der Stunde. Hierfür brauchen Versicherer Lösungen. Und zwar sehr schnell.

Die Attraktivität eines InsurTechs wird sich in Zukunft danach bemessen, ob es dem Versicherer hier Hilfe anbieten kann. Ein vertrieblich charmantes Gimmick, das berühmte „add on“ ist nett. Tritt aber klar hinter einer Anwendung zurück, die den Retail-Schadenprozess end-to-end strukturiert und perspektivisch 20–30% weniger Mitarbeiter benötigt.
Die Nutzung struktureller Wertermittlungsprogramme beispielsweise, die zu einer Werterhöhung des Gebäudebestandes um 15 bis 20 Prozent führen und dem Versicherer Mehrprämie bescheren, ohne dass sich das Risiko erhöht hat, sind Lösungen, die attraktiv sind. SkenData ist hier ein schönes Beispiel.
Gleiches gilt für vertriebliche Digitalisierungsansätze, sei es in der AO ein strukturierter Beratungs- und Abschlussprozess „vor Ort“ (damit meine ich die Agentur ebenso wie z.B. Video) inclusive Unterschrift, Police und Beratungsprotokoll. Oder – im Maklermarkt – ein nahtloses Zusammenspiel ohne Medienbruch mit den wesentlichen Poolanbietern und MVPs. Ergänzt um hohe Servicequalität und rasche Entscheidungen.
Lösungsansätze auf der Cyber-Seite werden von den Versicherern genauso gesucht. Die Landschaft ist heterogen. Prämienniveaus instabil, Kapazitäten knapp. Das Zusammenspiel von Prävention und Versicherung noch nicht etabliert. Interessante Anbieter sind mit Finlex, PolicenDirekt oder – sehr frisch – auch Baobab vorhanden, haben aber bisher nur im Maklermarkt einige wenige Spuren hinterlassen können.
Was ist also das Fazit?
Die InsurTechs müssen sich stärker den aktuellen Problemen der Versicherer zuwenden. Disruption und Innovation werden – so meine These – durch Pragmatismus verdrängt. Wer in den oben genannten Problemzonen Hilfe bietet, ist im Spiel. Reine Innovationskünstler ohne Blick auf die Wertschöpfungskette der Versicherer werden Applaus ernten, aber kaum Kunden finden.
Jetzt ist der Moment aber auch für Versicherer gekommen, aktiv zu werden. Start-ups suchen Investoren, der Einstieg ist so günstig wie nie. Die Chance für Versicherer also, sich Know-how einzukaufen und Lösungen in den gewünschten Segmenten selbst zu forcieren. Die Zeit für Überlegungen über einen Einstieg ist dennoch knapp. Gerade die aktuelle Konsolidierungswelle auf dem Maklermarkt bringt neue, starke und entschlossene Player hervor. Sie brauchen ebenso digitale Hilfe, glatte Strukturen und perfekte Prozesse, um sich am Markt durchzusetzen. Sie haben ausreichend finanzielle Ressourcen und M+A-Erfahrung. Das Spiel ist eröffnet.
Brauchen wir die InsureNXT? Aber unbedingt! Wo sonst sollten wir denn genau diese Entwicklungen diskutieren, beobachten oder vielleicht sogar einfädeln? Auf 2024 können wir uns freuen!
Autor: Moritz Finkelnburg