2022 wird das Jahr des digitalen Aufbruchs

Michał Trochimczuk, Chef bei Sollers und IT-Experte. Quelle: Unternehmen

Im vergangenen Jahr gab es auf den Versicherungsmärkten zahlreiche Übernahmen. Die größten Auswirkungen hatten der Rückzug der britischen Versicherer Aviva und RSA aus dem internationalen Geschäft. Die Allianz nutzte das zu Zukäufen in Italien und Polen. In Schweden und Dänemark kommt es zu einer Neuordnung der bereits stark konzentrierten Märkte. Bemerkenswerterweise ging die M&A-Welle des vergangenen Jahres an Deutschland vorbei, dem bedeutendsten Versicherungsmarkt der EU. Ein Gastbeitrag von Michał Trochimczuk, Managing Partner von Sollers Consulting.

Warum es mit Ausnahme des Zusammengehens von Provinzial Nordwest und Provinzial Rheinland zu keinen größeren Zusammenschlüssen auf dem deutschen Markt gekommen ist, ist auch eine Ursache der operativen Schwäche. In der Vergangenheit war es Usus, nach einer Übernahme das Management neu aufzustellen, den Firmennamen zu ändern und ein paar Feinjustierungen vorzunehmen. Den Rest beließ man beim Alten, vor allem die Kernsysteme. Das hatte zur Folge, dass einige Branchengrößen mit einer Vielzahl von Systemen nebeneinanderher operieren.

Viele Manager scheuen den Aufwand einer Systemintegration, bis zum heutigen Tag. Weil die einzelnen Häuser noch mit den Aufräumarbeiten aus den vergangenen Jahren beschäftigt sind, bleibt so gut wie keine Kapazität für die Integration neuer Gesellschaften.

Ich denke, das sollte den Versicherern zu denken geben. Denn der Zug der Digitalisierung wird weiter an Fahrt gewinnen. Rund um den Globus sehen wir digitale Bancassurance, telematikbasierte Kfz-Versicherung und offene Schnittstellen als die wichtigsten technologischen Trends im Versicherungsgeschäft. Wir gehen davon aus, dass Deutschland bei der Digitalisierung entscheidende Fortschritte machen wird. Die neue Regierung hat sich zumindest deklaratorisch hier viel vorgenommen und es gibt weitere Unterstützung durch die europäische Aufsichtsbehörde Eiopa und die Bafin.

Neue Regierung wird zum Treiber des Fortschritts

„Mehr Fortschritt wagen“ hat sich die neue Regierung auf ihr Panier geschrieben. Das klingt so, als ob Fortschritt etwas sehr Gefährliches ist, bei dem Vorsicht wichtiger ist als Mut. Trotzdem gibt es viele gute Vorsätze bei Themen wie Ausbau des Glasfasernetzes, Datenmanagement, Künstliche Intelligenz und Cloud. Hier will der Staat nun mit leuchtendem Vorbild vorangehen und eine Multi-Cloud-Strategie für die öffentliche Verwaltung entwickeln. Die Bafin hat bereits angekündigt, dass die Aufsichtsarbeit stärker digitalisiert wird. Wir gehen davon aus, dass dadurch weitere positive Impulse für die Versicherungsbranche gesetzt werden.

In vier Gebieten werden die Versicherer im Jahr 2022 vorangehen:

  • Kernsysteme
  • Cloud
  • Datenbasierte Automatisierung
  • Digitale Vertriebsunterstützung

Beim Thema Kernsysteme gehen wir davon aus, dass 2022 ein Jahr des Aufbruchs wird. Über viele Jahre haben die Versicherer hier mit dem einen Bein auf dem Gaspedal und mit dem anderen auf der Bremse gestanden. Doch viele Unternehmen werden ihre Blockadehaltung überwinden. Dafür gibt es zwei Gründe: Der eine liegt in dem beschleunigten Tempo der Digitalisierung. 5G wird allmählich Realität und die Autokonzerne treiben mit Macht die Elektromobilität und damit verbunden auch die digitale Kfz-Versicherung voran. Mercedes hat mit der Zulassung des weltweit ersten Autos, in dem Fahrer auf den Griff zum Steuerrad verzichten können, einen großen Schritt getan. Der Technologiewettlauf unter den Autoherstellern ist in vollem Gange.

Der zweite Grund liegt im wachsenden Margendruck. Versicherer sind bei enger werdenden Märkten in den Privatsparten gezwungen, effizienter zu arbeiten. Die stark auseinanderklaffenden Kostenquoten in der Schadenversicherung, aber auch in den Sparten Leben und Kranken, machen deutlich, wie viel hier noch möglich ist.

Die Cloud erlebt ihren Durchbruch

Der zweite bestimmende Trend für 2022 liegt in der Cloud. Die IT-Vorstände der Branche sind so gut wie vollständig davon überzeugt, dass die Zukunft in der Cloud liegt. Wenn jetzt das Thema aufseiten der Regierung nicht mehr blockiert wird, dürfte das Thema auch von anderen Vorständen Unterstützung bekommen. In den USA wechseln die Versicherer reihenweise mit ihren Bestandssystemen in die Cloud. Deutsche Versicherer werden jetzt allmählich nachziehen.

Durch den Schwenk hin zu cloud-basierter Infrastruktur wird als dritter Trend die Prozess-Automatisierung einen neuen Schub bekommen. Die Versicherungsbranche hat in der Schadenbearbeitung und beim Neugeschäft bereits in großem Ausmaß automatisiert. Doch es hapert noch an einer durchgehenden Kundenerfahrung.

Der vierte Trend liegt in der digitalen Vertriebsunterstützung. Die Branche tut sich schwer, ihre historischen Vertriebsstrukturen zu überwinden. Vertreter und Makler bleiben die dominanten Treiber des Geschäfts. Der Direktvertrieb wird dann anziehen, wenn Versicherer digitale Produkte anbieten, die ihrem Anspruch wirklich gerecht werden. Es klemmt hier an drei Stellen:

  1. Der digitalen Umsetzung einer Omnichannel-Strategie.
  2. Der digitalen Unterstützung des personalen Vertriebs.
  3. Der erfolgreichen Umsetzung eines digitalen Versicherungserlebnisses.

Die Herausforderungen am deutschen Markt sind beträchtlich, nicht nur in Sachen Digitalisierung. Doch aus unseren Projekten und Gesprächen wissen wir, dass es viele gute Gründe gibt anzunehmen, dass 2022 ein sehr erfolgreiches Jahr für die Versicherer wird.

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