Cogitanda-CEO Wälder: „Ohne Know-how ist Cyber für Versicherer ein Fass ohne Boden“

Jörg Wälder, CEO der Cogitanda Group. Quelle: Unternehmen.

Deutschland ist der zweitwichtigste Cybermarkt und hat den höchsten Entwicklungsstand in Kontinentaleuropa, sagt Jörg Wälder, CEO der Cogitanda Group. „Wer als Versicherungsanbieter relevant bleiben will, muss Cyber zeichnen“, erklärt er; doch Halbherzigkeit und mangelnde Expertise würden schnell zu einem finanziellen Waterloo führen.

VWheute: Munich Re-Vorstand Golling erklärte kürzlich: “Wer relevant bleiben will, muss Cyber zeichnen”. Stimmen Sie zu?

Jörg Wälder: Wir stehen am Anfang eines umfassenden Digitalisierungs- und Vernetzungsprozesses. Keine Industrie, kein Unternehmen und kein Lebensbereich wird außen vorbleiben. Unser Leben wird in vielerlei Hinsicht angenehmer, Dienstleistern und produzierendem Gewerbe eröffnen sich enorme Möglichkeiten bis hin zu komplett neuen Geschäftsmodellen. Soweit die guten Nachrichten.

Diese Entwicklung hat einen Preis, einen beachtlichen sogar. Und damit meine ich nicht die Entwicklungskosten neuer IT-Systeme, sondern die zunehmende Angreifbarkeit der nun digitalen Geschäftsmodelle, und das in praktisch allen Wertschöpfungsschritten. Die Komplexität der Systeme nimmt erheblich zu, die Änderungsintervalle werden kürzer, damit muss man auf der IT-Sicherheitsseite erst einmal Schritt halten. Auch die Kriminalität wechselt von analog nach digital und versteht es durchaus, die IT-Talente auf ihre Seite zu ziehen. Fazit: Wirtschaftliches Handeln ohne Cyber-Risiko-Prävention und ohne Cyber-Versicherungsschutz käme in der Zukunft dem Fahren eines Autos ohne Bremsen gleich. Die Cyber-Versicherung wird damit zu einer der zentralen Versicherungssparten, da kann es keinen Zweifel geben.

Ich stimme dem Punkt von Herrn Golling demnach zu: Wer als Versicherungsanbieter relevant bleiben will, muss Cyber zeichnen.

VWheute: Wie wollen Sie international wachsen, welche Rolle spielt ggf. der Brexit was sind ihre konkreten Pläne?

Jörg Wälder: Wir haben unser Geschäftsmodell der vollständigen Integration von Cyber-Risiko-Prävention, Cyber-Versicherung und Schadenmanagement in eine einzige zentrale Plattform gegossen, in der ein einheitliches Modell hochdetaillierter, aber vollständig durchstrukturierter Daten den Dreh- und Angelpunkt darstellt.

Alles, was wir tun, ist um diese zentrale Logik herum entwickelt worden, damit wir aus jedem Handgriff, jedem Angebot, das wir abgeben, aus jedem Schaden, den wir bearbeiten, maximal viel lernen und dies sofort wieder in unser Marktangebot umsetzen können. Dieses System haben wir seit Anfang 2018 zunächst in Deutschland und seit 2020 auch in Österreich eingesetzt, es ist aber so ausgelegt, dass wir an dieses zentrale System mühelos auch weitere Länder anbinden können. Alle Daten laufen dann auch aus diesen Märkten in einheitlicher Struktur zurück in unser System und verbreitern unsere Datenbasis. Neben diesem Lernprozess gibt es einen weiteren großen Vorteil: Wir können neue Länder sehr schnell anbinden. Die Systemerweiterungen für Frankreich werden wir zum Beispiel im vierten Quartal dieses Jahres abschließen und in den französischen Markt Anfang kommenden Jahres einsteigen. 

Wenn es den Brexit nicht gegeben hätte, wäre unser vierter Markt nach Frankreich höchstwahrscheinlich UK gewesen. Wir wollten aber zunächst abwarten, welche Rahmenbedingungen sich aus dem Brexit ergeben. Wir haben uns deswegen entschlossen, im Jahr 2022 zunächst Belgien und die Niederlande anzubinden, 2023 könnte dann UK folgen, auf jeden Fall aber schauen wir 2023 in Richtung Spanien und Portugal.

UK ist für uns aber auch heute schon von Interesse, da hier traditionell hochkarätige und international ausgerichtete Kapazität beheimatet ist.

VWheute: Wie unterscheiden sich die europäischen Märkte bei Cyber?

Jörg Wälder: Nach unserer Beobachtung ist der fachlich, aber auch dem Volumen nach bedeutendste europäische Markt UK, also London. Nach den USA, die in der Entwicklung der Cyber-Versicherung dem Rest der Welt deutlich voraus sind, sollte international gesehen UK folgen, und dahinter sehen wir dann auch schon den deutschen Markt. Dies nicht nur wegen der vermutlich 250 bis 300 Mio. Euro Direkt-Cyberprämie, für die der deutsche Markt Ende des Jahres 2021 stehen dürfte, sondern vor allem mit Blick auf die Münchener Rück, die sich, wie sie jüngst veröffentlicht hat, ein Portfolio in Höhe von 1 Mrd. € für Ende 2021 vorgenommen hat und ein ausgesprochen professioneller Marktteilnehmer ist. 

Wenn wir die Cyber-Prämie als Indikator für den technisch-fachlichen Entwicklungsstand der jeweiligen europäischen Märkte nehmen, liegt der höchste Entwicklungsstand in Kontinentaleuropa wohl in Deutschland. Wir führen aber auch in Frankreich zum Beispiel mit der SCOR fachlich immer wieder außerordentlich bereichernde Gespräche. Überhaupt sind es häufig Gespräche mit Rückversicherern, aus denen wir wertvolle Impulse mitnehmen. Hier sammeln sich die Cyber-Erfahrungen und Daten aus dem Weltmarkt.

VWheute: Cyberschäden sind ein Fass ohne Boden, sagen manche Experten. Sie wollen ihre Cyber-Angebote weiterentwickeln. Wie wollen Sie das Risiko begrenzen?

Jörg Wälder: Wir würde es so formulieren, dass Cyber ein Fass ohne Boden für diejenigen sein kann, die keine Experten sind. In Cyber einfach mal dabei sein zu wollen, ohne sich das nötige fachliche Know-how aufzubauen, die nötigen IT-Systeme zu entwickeln sowie sich die entsprechenden Präventions- und Schadenmanagementfähigkeiten anzueignen, für den kann ein solches Engagement in der Tat teuer werden. Aber das gilt am Ende so auch für viele andere Versicherungssparten.

Wir haben in den letzten sechs Jahren ein Team von inzwischen 75 auf Cyber spezialisierten Mitarbeitern aufgebaut, Anfang 2022 werden es 100 sein. Damit lässt sich ein fachliches Niveau darstellen, auf dessen Basis man in Cyber solide Entscheidungen treffen kann – mit Blick auf die Bewertung und Auswahl von Risiken und die Frage, welche Deckungen man bereit ist anzubieten und wie diese bepreist sein müssen. Unser komplett datengetriebenes UW-System hilft uns dabei natürlich auch sehr. Von unschätzbarer Bedeutung in diesem Zusammenhang sind weiterhin unsere gruppeneigenen Cyber-Präventions- und Schadenmanagement-Einheiten.

Die Cyber-Risiken des jeweiligen Kunden verstehen und so weit wie möglich positiv zu beeinflussen, klar zu definieren, was versicherbar ist und was nicht und zu welchem Preis, last but not least eintretende Schäden mit höchster Präzision und schnell zu beheben, das sind die entscheidenden Faktoren, um die Ergebnisse eines Cyber-Portfolios stabil zu halten.

VWheute:  Wie wird sich der Cybermarkt entwickeln? 

Jörg Wälder: Ein Rückversicherer hat uns vor ein paar Tagen gesagt, dass sich die Cyber-Kapazitäten jetzt in Richtung der Profis orientieren. Das haben wir gerne gehört, aber dahinter steckt wohl auch ganz generell ein Entwicklungstrend, der Ihre Frage zu beantworten hilft.

Wir erwarten, dass es für diejenigen, die sich in Zukunft im Cyber-Versicherungsmarkt ernsthaft betätigen wollen, genau zwei Möglichkeiten gibt. Entweder baut man die nötigen Fähigkeiten, Mitarbeiterkapazitäten und IT-Systeme jetzt dann doch tatsächlich auf oder man sucht sich einen spezialisierten Partner für eine Zusammenarbeit, der solche Fähigkeiten und Systeme mitbringt. Was wir nicht sehen, ist eine Fortsetzung von halbherzigen Ansätzen, wie sie zum Teil zu beobachten waren in den letzten Jahren.

VWheute:  Was planen Sie produkttechnisch?

Jörg Wälder: Wir haben in der COGITANDA-Plattform vor ein paar Monaten Zusatzbausteine für technische Versicherungen freigeschaltet. Seitdem können unsere Makler mit ein paar Klicks bei uns zusätzlich zur Cyber-Deckung auch Elektronik-Sach- und BU-Deckungen oder Maschinen-Sach- und -BU-Deckungen platzieren. Dieses Angebot wird sehr gut angenommen und gibt uns Anlass in dieser Richtung weiterzudenken. Es gibt zudem Deckungsformen aus den Financial-Lines-Sparten, die als weitere Ergänzung zu Cyber Sinn machen. Daran arbeiten wir.

Sehr wichtig aus unserer Sicht ist aber vor allem die Weiterentwicklung unserer Cyber-Risikopräventions- und Schadenmanagement-Dienstleistungen. Auch in diesen Bereich werden wir im Jahr 2022 erheblich investieren. Denn nur im perfekten Dreiklang von Prävention, Versicherung und Schadenmanagement lassen sich Cyber-Risiken auf Dauer managen.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

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