Große Welle in der betrieblichen Krankenversicherung steht bevor
Welche Rolle kann die betriebliche Krankenversicherung für Versicherungsgesellschaften spielen? Darüber tauschten sich Experten während einer Fachtagung der “Vereinigung der Versicherungs-Betriebswirte e.V. (VVB) aus. Die Vorstände Engemann (SDK) und Bahr (Allianz) sowie die Arbeitnehmer sind vom Nutzen überzeugt, das Problem sind die Arbeitgeber.
Die Bedeutung von betrieblicher Krankenversicherung und betrieblichem Gesundheitsmanagement wächst angesichts steigender Arbeitsunfähigkeitstage in deutschen Unternehmen. Vor allem Ausfälle wegen psychischer Erkrankungen steigen rasant, wie Olaf Engemann, Vertriebs- und Marketingvorstand der Süddeutschen Krankenversicherung (SDK) betont. Der hohe Druck auf Mitarbeitende steigt – nicht zuletzt wegen dem seit Corona weit verbreiteten Arbeiten im Homeoffice. Das führt zu Krankheiten und sinkender Produktivität im Unternehmen. Dabei spielen vor allem Burnout und Depression, Schlafprobleme, Herzinfarkt und Schlaganfall, Rückenschmerzen, fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie sogenannter Präsentismus – Anwesenheit am Arbeitsplatz um jeden Preis – eine Rolle.
Mehr als eine Million bKV-Versicherte
Dem gegenüber steht aus Sicht der Arbeitgeber der anhaltende Fachkräftemangel sowie Fluktuation. 54 Prozent der Unternehmen, hat die Bertelsmann Stiftung herausgefunden, haben 2021 Fachkräfteengpässe, im Mittelstand sogar rund 70 Prozent. Auf der Suche nach Lösungen für diese und andere Probleme gewinnt nach Überzeugung von Engemann die betriebliche Krankenversicherung (bKV) an Beliebtheit bei Arbeitgebern. Die Zahlen beweisen das: Während 2018 erst 7.900 Unternehmen bKV für ihre Mitarbeiter angeboten haben, waren es 2019 schon 10.500 und 2020 bereits 13.500. Mittlerweile sind 1,04 Millionen Menschen über den Arbeitgeber krankenversichert. Der Markt, schätzt er ein, ist allerdings noch wesentlich größer, die große bKV-Welle stehe noch bevor. Die SDK bietet drei verschiedene Bestandteile betrieblicher Gesundheitsvorsorge an. Neben der bKV auch betriebliches Gesundheitsmanagement und betriebliche Gesundheitsdienstleistungen. Beim Gesundheitsmanagement sei vor allem die seit 2014 gesetzlich vorgeschriebene psychische Gefährdungsbeurteilung wichtig, die von Versicherern durchgeführt werden kann. Für die Unternehmen sei das wegen fehlendem Fachwissen sowie hohem Zeit- und Personalaufwand problematisch. Versicherer wie die SDK könnten hier mit einfachen Lösungsansätzen helfen. Beim Thema Gesundheitsdienstleistungen führte Olaf Engemann das Programm „Gesunder Schlaf“ der SDK an. Inzwischen schlafen 45 Prozent der Deutschen schlecht und 9,4 Prozent haben schwere Schlafstörungen. SDK bietet für betroffene Mitarbeiter ein umfassendes Betreuungs- und Unterstützungsprogramm in Zusammenarbeit mit dem Kooperationspartner Widecare GmbH.
Erlebbare Leistungen anbieten
Für Daniel Bahr, Vorstand der Allianz Private Krankenversicherungs-AG, ist die bKV mehr als eine Möglichkeit für Arbeitgeber, etwas für die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu tun. Im Kampf um Fachkräfte, zur Gesunderhaltung der Belegschaft und damit zur Senkung von Ausfallzeiten und zur Mitarbeiterbindung könne die bKV eine wichtige Lösung sein. Bei vielen sogenannten Volkskrankheiten könnte heute durch Vorsorge und rechtzeitige Therapie viel erreicht werden. Gerade im Bereich Vorsorge könne man mit der bKV punkten, da die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) hier nur sehr eingeschränkt tätig werde. So empfehlen etwa Hautärzte ein jährliches Hautkrebsscreening, während die GKV die Kosten nur alle zwei Jahre übernimmt. „Mit solchen in der Breite erlebbaren Leistungen wird Mitarbeitern der Nutzen einer arbeitgeberfinanzierten bKV besonders deutlich“, erklärte er. Die Vorteile der betrieblichen Gesundheitsvorsorge für Mitarbeiter liege aber nicht nur darin, dass der Arbeitgeber sie allein finanziert. Es gebe zudem keine Wartezeiten und keine Gesundheitsprüfungen, so dass auch Mitarbeiter in den Genuss kommen würden, die sonst keine Chance auf private Zusatzversicherungen haben. Zudem sei eine bKV auch steuerlich vorteilhafter als eine Gehaltserhöhung, solange die Beiträge nicht den Rahmen der Sachbezüge von derzeit 44 Euro monatlich überschreiten. Ab 2022 steigt dieser Betrag auf 50 Euro.
Weniger Kosten fürs Recruiting
Arbeitgeber profitieren schließlich davon, dass sie weniger Kosten für die Auswahl und Einarbeitung neuer Mitarbeiter haben, wenn sie mithilfe von Zusatzleistungen wie der bKV zufriedene und stabile Belegschaften haben. Auch wenn, wie Bahr betonte, die bKV noch nicht wie die betriebliche Altersversorgung (bAV) in der Breite der Unternehmen angekommen ist, ist sie vor allem bei Arbeitnehmern schon bekannt und beliebt. Nach der bAV und den Vermögenswirksamen Leistungen ist sie die beliebteste Personalzusatzleistung, wie eine Befragung des Marktforschungsinstituts GfK ergeben hat. Allerdings hätten die Arbeitgeber den Nutzen offenbar noch nicht in dem Maße wie ihre Mitarbeiter begriffen, da ihre Zustimmung weit hinter der der Mitarbeiter zurückbleibt. Von der Produktlandschaft her gebe es drei gängige Möglichkeiten: das Bausteinmodell mit Einheitsleistungen, das Budgetmodell, bei dem Mitarbeiter ein bestimmtes Budget zur Verfügung haben und sich dafür Leistungen einkaufen können sowie ein Kombimodell aus beiden, wenn etwa Schwerpunkte auf bestimmte Leistungen wie Vorsorge gesetzt werden sollen.
Autor: Epo