Kommentar: „Gründer von Start-ups wollen in der Regel ihr Unternehmen auch im Erfolgsfall nicht bis zur Rente weiterführen“

Nikolai Dördrechter (li.) und Dietmar Kottmann. Quelle: Policen Direkt

Nach einer kurzen COVID-bedingten Pause sind die Investoren seit spätestens Mitte 2020 auf dem deutschen Markt zurück. Insbesondere in den letzten drei Monaten gab es eine Reihe von großen Finanzierungsrunden bei InsurTechs. Oft kamen diese Investoren aus dem Ausland, vor allem aus den USA. Versicherer hingegen hielten sich bei derartigen Finanzierungsrunden in Deutschland weitgehend zurück. Ein Kommentar von Nikolai Dördrechter und Dietmar Kottmann.

Als Käufer hingegen traten mit der HDI Versicherung und der Nürnberger seit Anfang 2021 gleich zwei deutsche Versicherer medienwirksam in Erscheinung. Seit Veröffentlichung des ersten InsurTech-Radars in 2016 von Oliver Wyman und Policen Direkt haben solche Transaktionen in Deutschland Seltenheitswert. Im Folgenden wollen wir kompakt beleuchten, weshalb sich Versicherer überhaupt an InsurTechs – oder anderen Start-ups – beteiligen.

Zukauf von Fähigkeiten

Gründer von Start-ups wollen in der Regel ihr Unternehmen auch im Erfolgsfall nicht bis zur Rente weiterführen. Angestrebt wird ein „Exit“, ein Verkauf der Mehrheit oder des gesamten Unternehmens an einen zahlungskräftigen Partner. Große Versicherer sind in dieser Hinsicht für viele InsurTechs der vielleicht naheliegendste Exitkanal. Manchmal auch die letzte Rettung.

Legacy-IT und andere „Altlasten“ kommen der Versicherungsbranche bei der Digitalisierung immer wieder in die Quere. InsurTechs hingegen haben hier eine explizite Stärke. Sie haben (oft) ein kundenzentriertes Geschäftsmodell, kundenfreundliche Prozesse und eine leistungsfähige und skalierbare IT. Kurzum, Fähigkeiten, die für etablierte Versicherer in ihrem Kerngeschäft interessant sind und sich vergleichsweise einfach eingliedern lassen. So verstärkt die HDI Versicherung durch den Erwerb von Community Life ihre Lebensparte und schafft sich neben der modernen Direkttechnologie eine „Experimentalmarke“, mit der sie Dinge ausprobieren kann, ohne mit dem Kerngeschäft in Konflikt zu geraten.

Der Kauf der Getsurance-Assets durch die Nürnberger ist ähnlich gelagert. Die Software des InsurTechs hatte einen guten Ruf, es haperte nur an Kunden. Dass die Nürnberger die Assets aus der Insolvenz heraus erworben hat, macht den Softwarecode nicht schlechter. Der Kaufpreis hingegen wird so wahrscheinlich deutlich niedriger als noch zu „Lebzeiten“ gewesen sein. Weitere Frühphasen-Transaktionen waren der Kauf von Perseus auch durch den HDI und die Akquisition von Treefin durch die W&W. Etwas Aktivität gab es auch im spätphasigen Bereich, genannt seien der Eucon-VHV-Deal und die Mehrheitsbeteiligungen der Allianz an Control Expert und Finanzen.de.

Ganz ohne Risiko sind Mehrheitsübernahmen jedoch nicht, denn es prallen hier oft zwei Welten aufeinander, was der Agilität und Innovationsdynamik des einverleibten Start-ups nicht immer guttut. Auch gehen manchmal Erwartungshaltung und Realität auseinander – wohl ein Grund, warum der strategisch mutige Kauf des ersten Preisvergleichsportals am deutschen Markt namens „Aspect Online“ durch HDI, HUK und WGV und dessen Umfirmierung in Transparo, mit dem Weiterverkauf an Verivox in 2014 endete.

Scouting von Innovationen

Über diverse Corporate Venture Capital-Aktivitäten, teils über die eigene Bilanz, teils über separate Venture-Einheiten, gehen etablierte Versicherer Minderheitsbeteiligungen an Start-ups ein. Beispiele hierfür sind Allianz X, Basler, Helvetia und UNIQA Ventures – oder die Debeka-Beteiligung an Ottonova. Oft erfolgt die Investition in sehr frühen Phasen. InsurLab, InsuTech-Hubs oder Initiativen wie das TechQuartier erleichtern das Kennenlernen. Einige Versicherer, wie die Basler, haben eigene Scouting-Teams, die gezielt nach potenziell interessanten InsurTechs suchen, Workshops veranstalten und die Gründer im Konzern vernetzen.

Versicherer möchten so Innovationen aus erster Hand kennenlernen und kreative Ideen fördern – oder Ansätze ausprobieren, die im eigenen Haus nur schwerlich umsetzbar wären. Die Versicherer bieten den Gründern neben ihrer Finanzkraft auch eine profunde Marktkenntnis sowie ein großes Netzwerk zu Marktteilnehmern. Späterer Komplettkauf nicht ausgeschlossen.

Auch diese Form der Beteiligung ist aus Sicht der InsurTechs nicht ohne Tücke. Gründer berichten immer wieder Meeting-Marathons, bei denen das Start-up zwar viel Wissen geteilt hat, die Zusammenarbeit dann aber doch nicht recht in Gang kam. Auch vor Strategieschwenks des Versicherers sind die Start-ups nicht gefeit. Manch ein VC fürchtet die strategischen Interessen des Versicherers und steigt deswegen lieber erst gar nicht ein.

Neugründungen durch Versicherer

Seit einigen Jahren sind Neugründungen von Digitalversicherern im Aufwind. Auffällig ist, dass sich hier sehr viele Versicherer als alleinige Investoren mit hohen Millionenbeträgen engagieren. Die gegründeten Neocarrier werden bewusst auf Abstand gehalten, um sich bestmöglich entwickeln zu können. Know-how-Transfer und Nutzen der Vorteile der Versichererbilanz ja, aber kein Ausbremsen der Innovationskraft durch Konzernstrukturen. So lassen sich auch hoch motivierte Talente als Gründer- und Entwicklerteams begeistern – ein wesentlicher Erfolgsfaktor.

Adam Riese (W&W), allvest (Allianz), Alteos (Axa), andSafe (Provinzial), Friday (Basler), nexible (Ergo), um einige Beispiele zu nennen. Die etablierte Versicherungswirtschaft weist hier eine beachtliche Gründungs- und Investitionsfreudigkeit auf. Man erfindet sich quasi auf der grünen Wiese neu. Welche Rolle diese Neocarrier für die etablierten Versicherer auf lange Sicht spielen werden, bleibt abzuwarten, insbesondere, wenn die neue Konkurrenz aus dem eigenen Hause nicht mehr nur einzelne innovative Produkte anbietet, sondern sich zu einem Vollsortimenter entwickelt.

Neben den Neocarriern engagieren sich Versicherer aber auch in vorgelagerten Bereichen der Wertschöpfungskette, die perspektivisch Relevanz für das Kerngeschäft entfalten könnten. Innovative Ideen aus dem Gesundheitsbereich stehen hier aktuell hoch im Kurs, wie das Beispiel Sanus X der UNIQA zeigt. Ein anderes vielversprechendes Feld ist die zunehmende Vernetzung der versicherten Objekte (IOT), in das beispielsweise das Start-up UpToDate der Versicherungskammer vordringt.

Ausblick

Versicherer sind in Deutschland in allen drei der dargestellten Spielarten vertreten. Insbesondere Corporate Venture Capital-Aktivitäten unterliegen Zyklen, der Peak scheint aktuell schon überschritten zu sein, auch wenn uns das Thema erhalten bleiben wird. Nicht zuletzt aufgrund der hohen Gründungshürden bei Neocarriern, die die BaFin erst kürzlich deutlich verschärft hat, könnten Versicherer die Chance nutzen und hier noch aktiver werden als bisher.

Autoren: Nikolai Dördrechter ist Vorstand der XTP AG, Autor des InsurTech-Radars und Co-Founder der Policen Direkt-Gruppe. Dietmar Kottmann ist als Partner bei Oliver Wyman für das Versicherungsgeschäft in DACH zuständig, Autor des InsurTech-Radars und weiterer Studien wie Versicherung 2030.

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der aktuellen März-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

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