Gerrit Böhm im Interview: „Ich versuche den Begriff ‚Digitalisierung‘ am liebsten komplett zu vermeiden“

Gerrit Böhm. Quelle: Volkswohl Bund

Wie viel Digitalisierung verträgt der Vermittler-Stand? Und wie schaffen die Versicherer die entsprechende Balance? Exklusive Antworten darauf hat Gerrit Böhm, Vorstand des Volkswohl Bund, im Interview mit VWheute.

VWheute: Beginnen wir einfach: Wie unterscheiden Sie „Ökosystem“ von „Plattform“ und wie will sich Ihr Haus in dieser neuen Welt positionieren?

Gerrit Böhm: Der Begriff Ökosystem kommt ja eigentlich aus der Biologie und bezeichnet eine Lebensgemeinschaft von Organismen mehrerer Arten. Auf die Geschäftswelt übertragen ist ein Ökosystem für mich im Kern eine themenspezifische Zusammenarbeit verschiedener Marktakteure. Und diese Zusammenarbeit wird heute natürlich mithilfe von Technologie realisiert. Und diese Organisation der Zusammenarbeit mithilfe von Technologie bezeichnen wir dann als Plattform.

In einem Ökosystem gibt es natürlich verschiedene Rollen von Marktakteuren. Als VOLKSWOHL BUND sehen wir uns hier ganz klar in der Rolle des Produktgebers. Unsere Stärken liegen in der Produktentwicklung, in der technischen Anbindung an verschiedene Plattformen und im Service. Für unsere Partner, aber natürlich auch für unsere Kunden.

Es fällt schwer, sich hierzulande eine reine Versicherungsplattform mit stetigem Kundenzugriff a la Ping An vorzustellen, doch muss ein Haus sein gesamtes Angebot überhaupt auf einer Plattform vereinen?

Ich möchte ungern für andere bzw. den ganzen Markt sprechen. Für uns und unsere Rolle ist klar: Wir bieten unsere Produkte und Services vorurteilsfrei jedem Partner an, der seriös arbeitet. Wir sehen überhaupt keinen Zwang, uns in eine bestimmte Richtung festzulegen und damit einzuengen.

VWheute: Generell gefragt: Betreiben Versicherer Digitalisierung oder verändern Sie nur den Prozess von Papier in Binär?

Gerrit Böhm: Ich versuche den Begriff „Digitalisierung“ am liebsten komplett zu vermeiden, da er so unterschiedlich interpretiert wird. Letztlich ist es wie Sie sagen: Digitalisierung meint erstmal nur, dass man etwas Analoges mit Einsen und Nullen abbildet. Damit ist noch nicht automatisch eine Verbesserung erreicht. Aber die Digitalisierung ist die Grundlage dafür. Sie kann Einfachheit und Geschwindigkeit bringen. Es ist einfacher und schneller, eine MP3-Datei herunterzuladen, als in den Laden zu gehen und sich einen Tonträger zu kaufen. Digitales ist – da so viele Endgeräte über das Internet mehr oder weniger direkt miteinander verbunden sind – schlicht unglaublich einfach, schnell und kostengünstig zu transportieren.

Bleiben wir mal bei der Musik: Ich kaufe, wenn ich eine MP3-Datei erwerbe, immer noch einmalig dieses Stück Musik und darf es behalten. Das Geschäftsmodell hat sich dadurch nicht großartig geändert. Wenn wir daran denken, wie Musik heute konsumiert wird, dann stellen wir fest: Durch das Streamen von Musik hat sich das Geschäftsmodell deutlich geändert. Statt einmalig etwas für einen Song zu bezahlen, miete ich mir den Zugriff auf unglaublich viele Inhalte. Wenn ich die Miete nicht mehr zahle, ist die Zugriffsmöglichkeit weg. Zusammengefasst kann man denke ich sagen: Digitalisierung legt die Grundlage und schafft die Möglichkeit, Geschäftsmodelle zu verändern. Man kann aber auch Dinge „nur“ einfacher und schneller machen. Aber das ist ja auch schon etwas …

VWheute: Sie arbeiten viel mit Maklern zusammen, ist es schwierig die Balance zwischen nötigen und einem zu viel an Digitalität zu treffen? Muss man manchmal als Unternehmen zurückrudern oder wird mehr Digitalität gefordert?

Gerrit Böhm: Nein, das ist nicht schwierig. Unsere Makler wünschen sich unkomplizierte und schnelle Prozesse. Und viele Dinge können wir mithilfe von Technologie sukzessive verbessern. Ich habe noch keinen Makler kennengelernt, der sich darüber beschwert hat. Das liegt aber vielleicht auch daran, dass wir digitale Services zusätzlich anbieten und nicht im Gegenzug unseren menschlichen Service zurückfahren. So sind wir z.B. ganz bewusst weiterhin in der Fläche mit unseren Maklerbetreuern und Serviceeinheiten präsent, um analogen, menschlichen Service zu bieten, wenn er gebraucht wird.

VWheute: Wo sehen Sie den Makler in einer Plattformwelt, wird sein Wissen in einer Online-Bot-Welt noch nachgefragt?

Gerrit Böhm: Ich halte den Makler aufgrund seines Know-hows, vor allem aber aufgrund seiner persönlichen Begleitung der Kunden nach wie vor für extrem wertvoll. Das, was einen guten Makler auszeichnet, können nicht von heute auf morgen Maschinen erledigen. Der Abschluss einer Versicherung ist das eine. Aber wir müssen auch darüber hinausschauen. Wenn es zum Schadenfall kommt, kann ein Makler einen großen Mehrwert bieten.

Und er begleitet den Kunden durch die verschiedenen Lebensphasen mit ihren sich verändernden Absicherungsbedarfen. Wir sollten nicht übersehen: Der Wertbeitrag eines guten Maklers liegt nicht darin, die günstigste Haftpflicht herauszusuchen. Der Wertbeitrag geht massiv darüber hinaus. Und Technologie kann dem Makler helfen, diesen Wertbeitrag schneller und einfacher zu generieren oder ihn sogar zu steigern.

VWheute: Sie haben mit „Zulagenheld“ eine Webanwendung für die Riester-Rente geschaffen. Ist Digitalisierung ein Weg zum Bürokratieabbau in der Versicherungswelt? Was ist Sinn, was Unsinn?

Gerrit Böhm: Das ist genau die Chance: Wir können mithilfe von Technologie viele Pflicht-Themen für alle Beteiligten einfacher und schneller machen. Und wir können mit Technologie Dinge realisieren, die einen zusätzlichen Wert schaffen. Der „Zulagenheld“ ist eine Mischung aus beidem. Er unterstützt unsere Versicherten auf einfache und bequeme Weise dabei, sich stets die optimalen Zulagen für ihren Riester-Rentenvertrag bei uns zu sichern. Ein weiteres Beispiel ist unsere neue Fondswebsite. Dort finden die Kunden alle Fondsdaten auf einen Blick und können verschiedene Fonds miteinander vergleichen. Dazu gibt es ein neues Portfolio-Tool, mit dem Kunden und Makler ihre Lieblings-Fonds in einem individuellen Portfolio bündeln und analysieren können.

„Vom Kunden denken“, „Amazonasieren“ und „User Experience verbessern“ – von diesen Phrasen fühlt sich Herr Böhm: angetrieben, genervt oder überfordert? Am ehesten trifft es überdrüssig. Seit eh und je ist es die wichtige Aufgabe aller Unternehmen, für ihre Kunden einen Nutzen zu stiften. Und zwar möglichst einen, für den die Kunden auch bereit sind zu zahlen (auf welche Art und Weise auch immer). Denn falls sie das nicht tun, ist der Nutzen mutmaßlich nicht groß genug.

Und bei diesem Nutzenstiften kann uns Technologie helfen. Ich spreche bewusst von „Technologie“. Denn heute ist es die „Cloud“ oder „Künstliche Intelligenz“, morgen das „Edge Computing“, übermorgen irgendetwas anderes. Es bleibt aber Technologie. Und die kann man – es geht aber nicht von selbst – sinnvoll einsetzen, um günstigeren oder höheren Nutzen für Kunden zu stiften. Nicht mehr und nicht weniger.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

Ein Kommentar

  • Dieser Satz sagt alles. Das, was einen guten Makler auszeichnet, können nicht von heute auf morgen Maschinen erledigen. Jedoch arbeitet man mit Hochdruck an dieser Mittlerweile zu Fleisch gewordenen Vision. Das sind solche, wir sind die Guten Phrasen. Ich besuchte vor einiger Zeit einen Visionskongress ich glaube es war 2017. auf dieser Veranstaltung wurde die Finanzwelt insgesamt und die Automobilbranche in den nächsten 20 Jahren betrachtet. Ein sehr düsteres Bild für den im Gestern lebenden Human. Ein interessantes Bild für die Nullen und Einser Jongleure der Zukunft. Auf dieser Veranstaltung waren auch Vertreter namhafter Banken und Versicherungen und hier kam hinter vorgehaltener Hand ständig zum Ausdruck den Human aus dem Produktionsablauf zu entfernen. Ich war ziemlich erschrocken. Den Vertrieb und die Bankfiliale sollte es nach Ansicht der Visionäre in den 20 Jahren nicht mehr geben. Es wird sich alles neu gestalten. Auch Versicherer werden zu hauf verschwinden. Es wird sich zeigen, ob ein Volkswohlbund der künstlich erzeugten Mindernachfrage auf Dauer gewachsen ist und sich entweder ein anderes Kleidchen überziehen oder aber auch generell das Unternehmen dann nur noch in den Geschichtsbüchern zu finden ist. Nicht umsonst suchen so viele Menschen in anderen Ländern ihre zweite Heimat. Und auch meine Familie schaut nach einem Land in dem es gesund alt werden kann.

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