Ein Blick hinter die Kulissen: Mein volkswirtschaftliches Jahr 2020

Christiane von Berg, Chefvolkswirtin von Coface Nordeuropa und Belgien. Quelle: Coface

Das Wort des Jahres 2020 müsste für mich lauten „eigentlich“. Denn eigentlich war alles ganz anders geplant. Im Januar war ich gespannt auf das Jahr 2020: Ich erwartete mir Impulse von der neuen SPD-Doppelspitze, bei der CDU rumorte es dagegen, der Brexit war vollzogen und die Gespräche zum Handelsabkommen standen an, Deutschland würde die EU-Präsidentschaft übernehmen und im November sollte die US-Wahl stattfinden. Ein Rückblick von Christiane von Berg.

Zu letzterem war ich mir sicher, dass Donald Trump wiedergewählt werden würde. Was sollte ihm das denn schon verbauen, wenn selbst die unangemessensten Aussagen ihm bisher nichts anhaben konnten? Auf dem Weg zur Arbeit hörte ich Radio. Dort war die Rede von einem neuen SARS-Virus in China.

Na ja, immerhin ist es „nur“ China, mein Sommerurlaub in Indonesien betrifft das ja nicht, dachte ich. Im Februar drehte bereits die Stimmung. China machte immer mehr Provinzen und damit auch die dort ansässigen Fabriken dicht und schon kam die Diskussion auf, wie stark doch die Abhängigkeit Deutschlands von internationalen Lieferketten insbesondere aus Asien wäre. Das alles war für viele Kunden recht ärgerlich und ich wurde wirsch gefragt, wann denn diese Problematik endlich behoben sei. Meine Antwort lautete: Da müssen Sie einen Virologen fragen.

Das war wohl die einzige dauerhaft zutreffende Aussage zu Prognosen dieses Jahr meinerseits, denn schon im März ging alles Schlag-auf-Schlag. Lockdown in Deutschland, Lockdown in Frankreich, Belgien machte die Grenzen dicht, die Straßen Italiens waren ausgestorben und die Krankenhäuser überfüllt. So ging es in einem Fort, während wir im Research-Team vollauf damit beschäftigt waren jeden Tag neue Updates zu den aktuellen Entwicklungen in unserer Region zu schreiben. Niemand konnte einschätzen, wie viel Wirtschaftskraft das ganze kosten würde. Um gute Prognosen zu machen, verlässt man sich in der Regel auf Fälle aus der Vergangenheit.

Aber der einzige Orientierungspunkt war nun mal die Spanische Grippe 1918-1920, bloß damals gab es noch keine BIP-Zahlen im herkömmlichen Sinne. So saßen wir im Team zusammen und versuchten den Negativschock auf die diversen Wirtschaftssektoren abzuschätzen. Was dabei rauskam, war abenteuerlich: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt sollte im zweiten Quartal um glatt sieben bis neun Prozent zum Vorquartal fallen. So was gab es noch nicht in der deutschen Statistik. Das wäre vergleichbar mit Zahlen aus dem Zweiten Weltkrieg gewesen und man muss ja nun mal die Kirche im Dorf lassen: so schlimm war der Lockdown nun auch nicht. Also gingen wir vorsichtiger ans Werk, doch die Zahlen fielen überraschend schlechter aus.

Kaum war man darauf eingestellt, drehte sich jedoch wieder alles. Der Sommer kam, die erste Welle flaute ab und konjunkturell war man in Erholungsstimmung. Wir blieben vorsichtig und wurden doch wieder von den BIP-Zahlen überholt. Denn durch die Pandemie blieb die Mehrheit der urlaubswütigen Deutschen zu Hause und gab dort ihr Geld für Freizeitaktivitäten aus.

Doch kaum hatte man dies in seine Prognosen untergebracht, schon brach eine zweite Pandemiewelle in Europa aus. Wieder gab und gibt es Lockdowns und wieder stellt sich die Frage, was bedeutet das für die Prognosen? Denn dieses Mal sind die Leute besser vorbereitet und an die Situation angepasst. Demnach müsste also der konjunkturelle Rückgang schwächer ausfallen.

Die Frage bleibt, wie stark werden noch die Maßnahmen ausfallen und wie geht den Unternehmen dabei. Denn obwohl es theoretisch Hilfen gibt, kommen die doch oft nicht bei den betroffenen Unternehmen an. So kann man vielleicht einen Lockdown überleben, aber wahrscheinlich nicht zwei davon.

Dabei bleibt die Aussicht für 2021 trübe. Zwar stehen Impfstoffe bereit, diese müssen aber erst flächendeckend verabreicht sein, bis die Gefahr eines wetterbedingten Auf-und-Ab der Pandemie und damit der Konjunkturentwicklung vorbei ist. Und bis dahin heißt es weiterhin für mich, nach bestem Wissen und Gewissen Prognosen bauen und hoffen, dass Sie nicht frühzeitig in der Tonne landen.

Autorin: Christiane von Berg, Chefvolkswirtin von Coface Deutschland

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