Ist die Blockchain bei Versicherungen überflüssig?
Es gibt kaum einen Versicherer, der in den letzten Jahren nicht über Blockchain nachgedacht hat. Die Frage ist, ob sich die Technologie überhaupt für die Versicherungswirtschaft eignet.
Als ich um das Jahr 2013 herum das erste Mal Bitcoin kaufte, war meine Motivation in erster Linie Neugier – ich wollte wissen, was diese Nerds mit der digitalen Währung auf Ihren Smartphones anstellten. Vielleicht schwang damals auch ein wenig Spekulation mit. Schließlich hatte sich die Kryptowährung zu dieser Zeit bereits vervielfacht. Seit Jahren lebt die Blockchain-Technologie maßgeblich vom Erfolg ihres Zugpferdes Bitcoin: Für Vorstände und Entscheider aus der Finanz- und Versicherungsbranche gehörten ambitionierte Blockchain-Projekte während der vergangenen sieben Jahre einfach dazu. Doch was ist seitdem passiert? Nichts! Ein Nutzen für Kunden? Fehlanzeige!
So funktioniert Blockchain wirklich
Gerade in der Versicherungsbranche gibt es kaum sinnvolle Einsatzgebiete für die Technologie. Woher ich das weiß? Schon 2013 habe ich ein Fintech-Startup gegründet und mich mit den Möglichkeiten der Technologie auseinandergesetzt. Viele der Vorstände, die in den vergangenen Jahren ins Blaue hinein Blockchain-Projekte unterstützt haben, dürften nicht verstanden haben, worum es dabei wirklich geht. Zugegeben: Auch Berater haben in dieser Zeit die Werbetrommel für Blockchain gerührt und sich die Kursrally von Bitcoin zu Nutze gemacht. Dabei spricht Vieles dafür, dass eine unabhängige Digitalwährung eines der wenigen praktikablen Einsatzgebiete für Blockchain ist. Um das zu verstehen, muss man sich kurz mit der Funktionsweise auseinandersetzen.
Blockchain ist die Kombination aus drei für sich gesehen wenig komplexen Funktionen: Zuallererst ist Blockchain nicht mehr als eine Tabelle, bei der jede Zeile für eine Transaktion steht. Jede Zeile verfügt zudem über eine Art Prüfsumme, die sich aus vorhergehenden Transaktionen berechnet und die sich bei Manipulation vorheriger Blöcke ändern würde. So wird sichergestellt, dass jede Manipulation sofort auffällt. Das Besondere ist allerdings die zweite Funktion zur Verifizierung von Blöcken, auch “Mining” genannt: Dabei werden komplexe Berechnungen angestellt, um zu verhindern, dass beliebige Blöcke zur Blockchain hinzugefügt werden und sicherzustellen, dass Transaktionen echt sind. Die dritte wichtige Funktion von Blockchain ist wieder denkbar trivial: Damit Menschen dezentral mit einer Blockchain, wie etwa Bitcoin, arbeiten können, müssen Daten zwischen Computern zur Kontrolle ausgetauscht werden. Im Kern ist das nichts anderes als beim Versenden von E-Mails oder beim Besuch einer Webseite.
Klassische Versicherungen: Seit fast zweihundert Jahren bewährt
Obwohl die Technologien hinter Blockchain für sich gesehen wenig komplex sind, spielt Blockchain gerade bei digitalen Währungen ihre Stärken aus. Ohne Intermediäre wie Banken, ohne Aufsichtsbehörden oder Notenbanken, regelt sich die Digitalwährung selbst. Für alle, die Banken nicht mehr vertrauen oder in Notenbanken die Wurzel allen Übels sehen, sind Digitalwährungen auf Basis der Blockchain-Technologie die Lösung. Blockchain glänzt also überall dort, wo Marktteilnehmer einander nicht mehr vertrauen. Was bedeutet diese Erkenntnis für die Versicherungswirtschaft?
Würde ein Versicherungsvertrag in einer Blockchain hinterlegt, könnten Kunden selbst im Falle von Zweifeln belegen, dass der Versicherungsvertrag geschlossen wurde. Doch das macht nur Sinn, wenn ich nicht belegen kann, dass eine Police überhaupt existiert. Die Praxis ist aber seit Jahrhunderten eine andere: Jedes Rechtsgeschäft besiegeln wir mit einem Vertrag. Für jede Versicherung erhalten wir einen Versicherungsschein. Können wir diesen vorlegen, erhalten wir auch die jeweilige Leistung. Dieses Prinzip funktioniert, seit 1820 die Gothaer Feuerversicherungsbank gegründet wurde. Selbst wenn ein Versicherungsschein einmal verloren geht, bedarf es nicht mehr als eines Anrufs und uns erreicht ein Duplikat per Post. Wem dagegen der Schlüssel zum eigenen Wallet für digitale Währungen verloren geht, der schaut in die Röhre – das Geld ist weg.
Blockchain: Die Fehlerquelle sitzt vor dem Endgerät
Das Verhältnis von Kunden und Versicherungen mag mitunter ein Besonderes sein – dass ein Versicherer allerdings die Existenz eines Vertrages leugnet, ist doch sehr unwahrscheinlich und in der Praxis millionenfach widerlegt. Und selbst wenn das Vertrauen zwischen Versicherern und Kunden erschüttert ist, gibt es doch gleich mehrere Institutionen, die Vertrauenswürdigkeit kontrollieren und sicherstellen. Beispiele sind die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht oder auch die Verbraucherzentralen.
Auch ist Blockchain in der Praxis gar nicht so sicher, wie immer behauptet wird. Zwar liegen potenzielle Fehlerquellen in der Regel beim Nutzer selbst und nicht bei in betrügerischer Absicht handelnden Dritten, doch macht das für Betroffene keinen Unterschied. Wer Daten, wie Passwörter und ähnliches verliert, hat bei Blockchain schnell das Nachsehen. Bei Versicherern oder anderen Finanzdienstleistern sind derart wichtige Daten dank professioneller Lösungen besser aufgehoben. Auch die Blockchain-Software an sich kann Risiken bergen. Zwar sind derartige Projekte in der Regel Open Source, das heißt, dass der Programmcode eingesehen werden kann, doch müssen Kunden, um begründetes Vertrauen aufzubauen, diesen Programmcode erst einmal verstehen und sich die Zeit nehmen, ihn nachzuvollziehen.
Blockchain bringt viele anonyme Marktteilnehmer zusammen
Blockchain ist eine effiziente Technologie, wenn es darum geht, viele anonyme Marktteilnehmer miteinander interagieren zu lassen. Das beste Beispiel ist Bitcoin. In der Versicherungswirtschaft ist die Situation aber eine andere. Hier bieten etablierte und regulierte Versicherungsunternehmen eine seit vielen Jahren bewährte Dienstleistung an. Kunden kennen ihre Versicherer und vertrauen ihnen zumindest so weit, dass geschlossene Policen nicht angezweifelt werden. Da Blockchain eine Technologie für Märkte ist, auf denen sich die Teilnehmer wechselseitig nicht vertrauen, wird sie sich in der Versicherungswirtschaft nicht durchsetzen – Blockchain ist für Versicherer und ihre Kunden schlichtweg überflüssig. Bleibt die Funktion als Reservewährung und Spekulationsobjekt. In diesem Zusammenhang stoße ich als Berater aber an meine Grenzen: Meine Bitcoin von 2013 habe ich bereits nach wenigen Monaten wieder verkauft.
Autor: Jonas Piela berät mit Piela & Co Digital Consultants mittelständische Versicherer bei Themen des digitalen Wandels. Als Gastgeber des Digital Insurance Podcast redet er jeden Monat mit Vorständen von Versicherern in Deutschland über die digitale Transformation.
Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen (M. Twain). Insofern Respekt dem Autor für die 0/1-Prognose. Allerdings folgt diese dem klassischen Innovationsverlauf von Überschwang und anschließender Ernüchterung. Richtig ist aus meiner Sicht, dass es wohl keine Anwendung gibt, die nicht auch ohne Blockchain proprietär realisiert werden könnte. Der Punkt „Vertrauen“ ist aber der entscheidende – und das ist, entgegen den Ausführungen, häufig nicht gegeben. Wer zu Beginn der Schaden-Journey die Unsicherheit der Kunden erlebt, ob a) der Schaden versichert ist und b) der Versicherer gewillt ist zu zahlen, der wird den Sinn parametrischer Versicherungen, bei denen Schadenersatz dem Grunde und der Höhe nach durch einen klar definierten und extern hinterlegten Algorithmus bestimmt wird, schon schätzen. Man stelle sich den Boost für die Marktdurchdringung in der SBU vor. Viele Interessierte schließen nicht ab, weil sie kein Vertrauen in die Zahlungsbereitschaft der Versicherer haben. Das könnte eine parametrisierte SBU ändern, in dem Invalidität nach definierten Regeln extern nachprüfbar festgestellt und danach sogleich die definierte Summe ausgezahlt wird. Die Blockchain bildet dafür das fälschungssichere und von Anbieter und Kunden akzeptierte Register der eingegangenen Verpflichtungen.
Jörg Hodann
Managing Partner
HIC GmbH