„EZB macht mit Schwalbe noch keinen Sommer“
Die Märkte hatten es bereits eingepreist – und die Europäische Zentralbank hat geliefert. Erstmals seit fast fünf Jahren und zehn Leitzinserhöhungen in Folge hat die EZB eine Kurswende vollzogen und die Zinsen Anfang Juni gesenkt. Was bedeutet die Zinswende aus Sicht der Assetklasse Immobilien? Schließlich sind Versicherer hierbei groß investiert. Eine Analyse von Sarah Červinka, Geschäftsführerin des internationalen Immobilienberaters Knight Frank München.
Festzuhalten ist, dass die EZB bei der Inflationsbekämpfung noch nicht am Ziel ist. EZB-Volkswirte gehen in ihren aktuellen Prognosen für 2024 von einer Teuerungsrate von 2,5 Prozent aus. Noch im März hatten sie nur 2,3 Prozent in Aussicht gestellt. Für 2025 rechnen sie mit einer Inflation von 2,2 Prozent (März-Prognose: 2,0). Für 2026 werden nach wie vor 1,9 Prozent erwartet. Damit würde sich die EZB auf Kurs zu ihrem Inflationsziel von zwei Prozent befinden. Die Assetklassen Aktien, Festverzinsliche und Devisen haben sofort auf die Entscheidungen der EZB und der Fed reagiert. Denn die börsentäglich gehandelten Titel spiegeln Marktentwicklungen sehr zeitnah in den Kursen wider. Die Immobilienmärkte ticken anders. Hier schlagen sich Marktentwicklungen immer mit einem gewissen zeitlichen Verzug nieder. Hintergrund sind die Laufzeiten der Immobilienfinanzierungen, die Anpassungen bei den Bewertungen mit Verzögerung abbilden. Sofern kein Handlungsdruck besteht, tendieren Marktteilnehmer dazu, Transaktionen aufzuschieben. In dieser Phase befinden wir uns. Themen wie Asset Management gewinnen dagegen an Bedeutung.
Zinsstrukturkurve ist nach wie vor invers
Vor diesem Hintergrund hat die Zinssenkung auf kurze Sicht keine größeren Auswirkungen. Denn nur weiter sinkende Zinsen könnten dem Immobilienmarkt jenen Impuls liefern, der zu einer Annäherung bei den Bewertungen führt und für eine ausreichende Risikoprämie gegenüber risikolosen Anlagen sorgt. Noch sind wir aber nicht an diesem Punkt angekommen. Es ist fraglich, ob wir im laufenden Jahr im Euroraum weitere Zinssenkungen sehen werden. Auch ist die Zinsstrukturkurve nach wie vor invers, was die Skepsis der Finanzmärkte im Hinblick auf die künftige Konjunkturentwicklung anzeigt. Denn inverse Zinsstrukturkurven gelten als Vorboten einer Rezession. Unterm Strich überrascht es deshalb nicht, dass am Investmentmarkt die Geld-Brief-Spanne nach wie vor groß ist. Raum für Anpassungen bei den Bewertungen ist weiterhin gegeben.
Hinzu kommt, dass die US-Notenbank Fed den Leitzins bei ihrer Sitzung am 12. Juni auf dem Niveau von 5,25 bis 5,5 Prozent unverändert gelassen hat. Die Inflation sei zwar in den vergangenen beiden Jahren merklich zurückgegangen, so US-Notenbankpräsident Jerome Powell, sie verharre aber über dem langfristigen Ziel von zwei Prozent. Hintergrund ist die überaus robuste Entwicklung am US-Arbeitsmarkt. Denn anders als in der EU setzt sich dort der Boom bei der Beschäftigung fort. Im Mai wurden weit mehr Stellen geschaffen als erwartet. Es kamen 272.000 neue Jobs außerhalb der Landwirtschaft hinzu. Von Reuters befragte Volkswirte hatten lediglich mit 185.000 gerechnet.
Hoher Refinanzierungsbedarf
Zinsseitig zeichnet sich damit keine Entlastung ab. Marktteilnehmer dürfen sich aber auch wenig Hilfe von den Banken erwarten. Aus Sorge um die Qualität ihrer Immobilienkreditportfolios werden sie auch in den nächsten Quartalen bei der Darlehensvergabe restriktiv vorgehen. Hinzu kommt die Finanzierungslücke, die nach wie vor nicht ausgestanden ist: Denn die Finanzierungen aus der Niedrigzinsphase laufen aus. Das wird auch in den nächsten beiden Jahren in großem Umfang der Fall sein.
Während die Refinanzierungsthematik eher bremsend wirkt, gibt es selektiv durchaus Anzeichen dafür, dass wir uns in die Phase der Bodenbildung hineinbewegen. Der von vdp Research Ende Mai für das erste Quartal 2024 vorgestellte Büroimmobilienindex pbbIX erreichte in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres mit -2,01 einen neuen Tiefstand seit dem 1. Quartal 2009. Allerdings, so schreiben die Verfasser, verlangsamte sich die Dynamik des Index-Rückgangs etwas, was möglicherweise den Beginn einer Bodenbildung bei den Big-7-Büroinvestmentmärkten in Deutschland andeutet.
Unumstritten ist, dass die Assetklasse Immobilien auch im aktuellen Marktumfeld Cash-Flow generiert, in Verbindung mit der Aussicht auf steigende Mieten – angesichts der durchaus vorhandenen Nachfrage nach hochwertigen Objekten auf Mieterseite – sowohl im Segment der Büro- als auch Gewerbe- und Wohnimmobilien. Family Offices und internationale Investoren werden daher auf den deutschen Immobilienmärkten immer aktiver. Sie haben die Chancen erkannt, die sich momentan ergeben. Gefragt sind Immobilien guter Qualität und Lage sowie Objekte mit „Manage to Green“-Strategien und anderen langfristigen Wertsteigerungspotenzialen. Rasche Wertsteigerungen wie in der Niedrigzinsphase werden wir jedoch auf absehbare Zeit nicht sehen. Es sei denn, die EZB überrascht alle Marktteilnehmer mit weiteren Zinssenkungsrunden bereits in den nächsten Monaten.
Autor: Sarah Červinka, Geschäftsführerin bei Knight Frank München