„Versicherer, die sich jetzt aus Nord Stream 2 zurückgezogen haben, tun das Richtige aus den falschen Gründen“

Die "Pioneering Spirit" gilt als das größte Schwerlast- und Pipeline-Verlegeschiff der Welt. Quelle: Nord Stream / Axel Schmidt

Immer mehr Versicherer ziehen sich aktuell aus dem umstrittenen Gasprojekt Nord Stream 2 zurück. Warum die Versicherer allerdings aus den falschen Gründen handeln, erläutern Ysanne Choksey und Regine Richter von der Umweltinitiative Urgewald im Exklusiv-Interview mit VWheute.

VWheute: Sie kritisieren, dass die Versicherer Allianz, Talanx und Munich Re  sich an Flüssigerdgas-Terminals beteiligen bzw. sie versichern. Warum ist das schlecht, Gas soll ja bei der Energieversorgung  laut Bundesregierung eine wichtige Rolle spielen?

Ysanne Choksey: Wir brauchen eine fossilfreie Zukunft, wenn wir die Pariser Klimaziele erreichen wollen. Entgegen aller Behauptungen ist Gas Teil des Problems und nicht der Lösung, denn durch Verbrennung und Methan-Leckagen erzeugt auch Gas in großem Umfang Treibhausgase. In unserer neuen Studie haben wir das für das Flüssiggas-Terminal Świnoujście berechnet, seit der Inbetriebnahme ist das Terminal für den Ausstoß von umgerechnet 55 Millionen Tonnen CO2 verantwortlich, was in etwa den Treibhausgas-Emissionen Finnlands im Jahr 2018 entspricht. Methan-Leckagen entlang der Gaslieferkette sind ein großes Problem, sie werden wenig gemessen, haben aber durch die große Klimawirkung von Methan einen Rieseneffekt.

In einem Paris-konformen Kohlenstoffbudget ist kein Platz für die zusätzlichen Emissionen aus existierenden Gas-Anlagen, wenn sie wie geplant weiterlaufen, geschweige denn, wenn die Anlagen erweitert werden. Deshalb müssen Versicherer vor allem die Unterstützung neuer und vergrößerter Anlagen beenden.

Die sind übrigens nicht nur aus Klimasicht ein Problem, sondern auch wirtschaftlich fragwürdig. Im Flüssiggasbereich sind existierende Anlagen nur zu etwa 25 Prozent ausgelastet und trotzdem sind zusätzliche Anlagen geplant. Das ist absurd.

VWheute: „Die weitere Absicherung von und Investitionen in die neue Gas- und Ölinfrastruktur der Versicherer sind mit dem 1,5-Grad-Ziel von Paris unvereinbar“, erklären Sie. Wie wollen Sie die Unternehmen verantwortlich halten, die sich ja selbst zu den Zielen bekennen?

Regine Richter: Gerade, weil sich Unternehmen zu den Zielen bekennen, sind sie in der Verantwortung, daraus Konsequenzen zu ziehen. Dass das 1,5-Grad-Ziel und die Erschließung und Nutzung neuer Öl- und Gasquellen nicht zusammengehen, ist sehr eindeutig, das zeigen etwa der vom UN-Umweltprogramm und dem Stockholm Environment Institute herausgegebene „Production Gap Report“ und die Studie „The Sky’s Limit“ von unserer Partnerorganisation Oil Change International. Wir werden darauf immer wieder öffentlich hinweisen, etwa mit Studien wie der vorliegenden zur Versicherung von Flüssiggasanlagen. Und wir führen Gespräche mit den Versicherern.

VWheute: Sie sind wohl kein Freund von Nord Stream 2. Die Versicherer haben sich aus dem Projekt, nach amerikanischem Druck, zurückgezogen. Wie bewerten Sie insgesamt die Haltung der vier Unternehmen in Umweltfragen?

Regine Richter: Die Versicherer, die sich jetzt aus Nord Stream 2 zurückgezogen haben, tun das Richtige aus den falschen Gründen. Der Ausstieg aus Angst vor Sanktionen statt aus der Erkenntnis, dass da eine Pipeline gebaut wird, die nicht mit den Klimazielen vereinbar ist. Wir sehen allerdings auch: Die großen Versicherer haben sich beim Energieträger Kohle in den vergangenen Jahren stark bewegt. Das ist sehr erfreulich, auch wenn wir hier bei Rückversicherern und bestimmten Treaty-Versicherungen oder bei Investitionen im Auftrag von Dritten noch Spielraum sehen.

Die Net Zero Asset Owner Alliance, bei der Allianz und Munich Re dabei sind, ist eine der ernsthafteren Initiativen. Sie fordert von ihren Mitgliedern klare Klima-Zwischenziele, was wichtig ist, um Aktivitäten nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben. Über die Kohle hinaus haben sich Talanx und Munich Re auch beim Ausschluss von Ölsanden bewegt. Und Munich Re hat bei Öl- und Gasversicherungen kleinere Reduktionen bekannt gegeben, was ebenfalls ein Anfang ist, auch wenn die Einhaltung der Maßnahmen von außen sehr schwer zu bewerten ist. Beim Ausschluss von Öl und Gas hinkt Allianz den anderen aktuell hinterher. Da erwarten wir jetzt Taten.

VWheute: Sehen Sie Versicherer als den entscheidenden Hebel, um sich umweltschädlichen Fossilenergieanlagen zu entledigen?

Ysanne Choksey: Versicherer managen Risiken in unserer Gesellschaft, welch größeres Risiko als die Klimakrise gibt es? Zudem verwalten die Versicherer enorme Geldmengen und haben auch damit eine große Verantwortung. Darüber hinaus würde ich sagen, dass Versicherer einen Hebel in der Hand halten, der aber weitere Maßnahmen braucht, um zu wirken. Politische Entscheidungen sind ebenso notwendig wie klare Vorgaben von privaten und öffentlichen Banken.

VWheute: Wie schlägt sich die Versicherungsbranche bei Umweltfragen im Vergleich mit Banken?

Regine Richter: Dafür, dass Versicherer schon so lange vor dem Klimawandel gewarnt haben, ist es überraschend, dass sie erst vor wenigen Jahren in ihrem eigenen Geschäft Konsequenzen gezogen haben, etwa mit dem Ausschluss von Kohle auf verschiedenen Ebenen. Hier haben sie sich schnell bewegt. Insofern haben sie gegenüber Banken aufgeholt.

Vor allem durch ihre Investitionen im Auftrag für Dritte tauchen sie aber in Recherchen zur Kohlefinanzierung trotzdem noch prominent auf, vor allem die Allianz. Da sehen wir deshalb noch weiteren Handlungsbedarf. Insgesamt haben Versicherer wie Banken noch einiges zu tun, wenn sie ihre Geschäfte auf die Pariser Klimaziele ausrichten wollen.

VWheute: Hand aufs Herz, haben Sie nicht auch ein wenig Verständnis für die Versicherer, die in zinsfreien Zeiten händeringend Anlagemöglichkeiten suchen, sie bewegen sich ja in die richtige Richtung?

Regine Richter: Ehrlich gesagt, gerade bei Flüssiggas-Terminals mit ihrer schlechten Auslastung, tun sich Versicherer als Investoren keinen Gefallen, wenn sie ihr Geld dort anlegen. Gerade bei neuen fossilen Anlagen drohen Investitionsruinen, sogenannte Stranded Assets. Laut den EU-Zielen wird der Gasbedarf massiv sinken und dann wird die Amortisierung von Anlagen sehr schwierig. Insofern sollten die Versicherer neben dem Klimaschutz auch das Risiko von Stranded Assets bei ihren Anlageentscheidungen mitdenken.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

zwanzig − 5 =