KI, Cloud und CO.: Wie Versicherer das nächste Level erreichen

Joshua Woroniecki auf Pixabay

Die Zukunft ist digital – das ist mittlerweile auch in der Versicherungswirtschaft unumstritten. Bei der Definition, wie weit Digitalisierung gehen sollte, gibt es sicher noch unterschiedliche Meinungen, aber grundsätzlich lassen sich einige Wesensmerkmale des Next Generation Insurers festhalten. Ein Gastbeitrag von Ingolf Putzbach.

End-to-end Prozesse

Vielleicht der entscheidende Unterschied zum „Traditionsversicherer“ ist die End-to-end Automatisierung von Geschäftsprozessen. Dies bedeutet die Durchführung eines Vertragsabschlusses in Echtzeit, ohne den manuellen Eingriff in den Prozess. Dabei ist es der Versicherungsfabrik egal, ob ein Endkunde oder ein Vermittler den Kaufprozess auslöst. Das Underwriting entfällt oder ist bei komplexen Produkten KI-unterstützt. In Millisekunden erhalten Kunden und Vertriebspartner alle vertrags- und verbraucherschutzrelevanten Informationen in Portalen zur Verfügung gestellt. Die Nutzerkonten werden im Rahmen des Kaufprozesses angelegt, sofern sie nicht bereits bestehen.

Die End-to-end Automatisierung erstreckt sich natürlich auch auf alle Service- und Schadenprozesse. Vertragsänderungen können durch Kunden, Vertriebspartner oder Sachbearbeiter auf Knopfdruck fallabschließend durchgeführt werden. Selbst im Schadenfall wird die Sofortregulierung in immer mehr Fällen durch Einsatz von KI bei der Schadenbewertung möglich.

API-das neue Gold

End-to-end Automatisierung setzt voraus, dass unterschiedliche Systeme miteinander über performante Schnittstellen kommunizieren können. Ein weiteres Wesensmerkmal des Next Generation Insurers ist daher die API-Economy. Versicherungsintern müssen unterschiedlichste Systeme nicht nur Daten in Echtzeit austauschen können, auch viele externe Systeme müssen nahtlos angebunden werden. Dabei ist der Trend zu beobachten, dass immer mehr spezialisierte Dienstleistungen über APIs konsumiert, anstatt eigene technologische Fähigkeiten aufgebaut werden. Gerade die schnelle Entwicklung im Bereich Machine Learning und KI zwingt Versicherer dazu, Wertschöpfungsketten aufzubrechen. Was brachial klingt, ist für den Nutzer nicht spürbar und führt im Gegenteil zu einem besseren Kundenerlebnis.

Cloud-Hosting

Nicht zu unterschätzen für die Kundenzufriedenheit ist die Antwortgeschwindigkeit. Wie lange dauert es, bis die Website einen Angebotspreis liefert oder den vollständigen Eingang der Schadendokumente bestätigt? In der Realität häufig viel zu lange, sodass Kunden zum nächsten digitalen Angebot weiterziehen. Es gibt viele Einflussgrößen auf die digitale Performance und Cloud-Hosting als weiteres Wesensmerkmal ist nur eine davon. Doch Skalierbarkeit und Verfügbarkeit lassen sich mit einer Cloud-Infrastruktur deutlich besser sicherstellen. Auch wenn wenige Versicherer heute die Relevanz für ihr Geschäft sehen, ist davon auszugehen, dass IoT-Anwendungen in Zukunft zu einer wahren Datenflut führen werden. Vorboten sind u.a. die Telematiktarife in der Kfz-Versicherung.

Kundenzentrierung

Customer Centricity ist folgerichtig das nächste Wesensmerkmal, denn der Startpunkt der End-to-end Digitalisierung ist stets der Kunde. Das BPM- oder Workflow Modelling tritt zurück gegenüber des User Experience Designs, das entscheidenden Anteil daran hat, dass Kunden die digitale Angebote eines Versicherers nutzen und eine Präferenz zur Marke entwickeln. In diesem Punkt ist der Gap zum Next Generation Insurer besonders gut nachvollziehbar. Insurtechs wie nexible oder freeyou lassen die Marktführer mit intuitiver Bedienbarkeit alt aussehen.

Digitale Transformation ausgehend vom Kunden

Unterstellen wir für einen Moment, dass das Ziel des Next Generation Insurers klar genug beschrieben ist. Wie sieht nun der Weg zum Ziel aus? Als Greenfield Insurer hat man es grundsätzlich leicht, auf moderne Prinzipien und Technologien zu setzen. Viel schwieriger stellt sich die Situation für etablierte Häuser dar, denn in der Vergangenheit wurden Prozesse nicht ausgehend vom Kunden gedacht. Und genau an diesem Punkt muss die digitale Transformation ansetzen.

Es geht nicht um die neue Software für das Finanzwesen, nicht um das neue Bestandsführungssystem und auch nicht um die neue CRM-Lösung. Der beste Gradmesser für die Digitalisierung ist die Fähigkeit, die wesentlichen Kundenanliegen automatisiert oder im Self Service erledigen zu können.

Sonderstellung Vertrieb

Es liegt in der DNA von Versicherern, dem Vertrieb eine besondere Stellung einzuräumen. Waren früher die „Boots on the Ground“, also die Zahl der Versicherungsvertreter, maßgeblich für den Vertriebserfolg, so ist in der Digitalisierung die Zahl der Abschlussrechner mit vollständiger Dunkelpolicierung ein wichtiges Kriterium. Der Grund dafür liegt auf der Hand: um solche Strecken zu bauen, muss ein vollständiger Durchstich durch die Systemlandschaft gelingen, die in den meisten Fällen von alten Anwendungen und proprietären Schnittstellen gekennzeichnet ist. Wenn es dann gelingt, einen immer größeren Anteil des Neugeschäfts unabhängig vom Vertriebskanal über diese Strecken zu leiten, befindet man sich auf dem richtigen Digitalisierungspfad und kann sich nun Sparte für Sparte vornehmen.

Nach den Abschlussprozessen, die bereits ein rudimentäres Kundenkonto voraussetzen, folgen die Serviceprozesse. Wenn nicht nur Sachbearbeiter, sondern auch Kunden oder Vertriebspartner Stammdaten aktualisieren und Vertragsänderungen durchführen können, kann man sich als nächstes den Schadenprozessen zuwenden.

Fokus auf Frontend

Die beschriebene Methodik führt am schnellsten zu guten Ergebnissen. Natürlich lässt sich einwenden, dass ohne die Modernisierung der Kernsysteme keine vollständige Digitalisierung gelingen kann und bis zu einem gewissen Grad ist das richtig. Doch der entscheidende Fortschritt muss im Frontend passieren. Hier stehen heute Methoden und Produkte zur Verfügung, die eine digitale Erfahrung auch unter Einbindung von Altsystemen ermöglichen und damit den Pacemaker für eine grundlegende technische Erneuerung ausmachen können.

Wenn der Durchstich gelingt und moderne Frontends ein gutes Kundenerlebnis ermöglichen, ist der Austausch alter Anwendungen wesentlich unproblematischer, da der typische Fehler, alte Geschäftsprozesse in neuen Systemen abzubilden, nicht mehr passieren kann. Der beschriebene Mindshift für den erfolgreichen Weg zum Next Generation Insurer bewegt nicht nur die Versicherer. Auch viele etablierte Anbieter von Versicherungssoftware sehen erst jetzt die Notwendigkeit, digitale Portallösungen und offene Schnittstellen anzubieten. Nicht überraschend wird der Markt gerade neu verteilt und bis dato unbekannte Firmen werden zur innovativen Kraft. Nutznießer der Entwicklung zum Next Generation Insurer sind die Kunden, die endlich auch auf Versicherungsschutz und Vorsorge über digitale Plattformen unter Integration des personengebundenen Vertriebs zurückgreifen können.

Autor: Ingolf Putzbach, Regional Manager DACH Sapiens

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