KPMG-Manager Leitz im Interview: „Klimawandel und Nachhaltigkeit sind als ‚Dauerthemen‘ in den Chefetagen angekommen“

Quelle: Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Wie bewerten die Versicherer ihre derzeitigen Zukunftsperspektiven? Im Exklusiv-Interview mit VWheute skizziert Sven-Olaf Leitz, Mitglied des Vorstands Financial Services bei KPMG die aktuellen Sorgen der Branche. Demnach seien „Klimawandel und Nachhaltigkeit als ‚Dauerthemen‘ in den Chefetagen angekommen“.

VWheute: Die Corona-Krise hat auch die Finanzbranche schwer getroffen. Dennoch blicken die Befragten mehrheitlich positiv in die Zukunft. Wie werden sich das Stimmungsbild und die Zukunftsaussichten Ihrer Ansicht nach auf für die Branche entwickeln?

Sven-Olaf Leitz: Die Versicherer in Deutschland sehen mit angemessener Sorge, jedoch verhalten optimistisch in die Zukunft. Derzeit sind die Versicherungsunternehmen noch nicht sehr stark von der Pandemie und deren Folgen betroffen. Die Ausnahme bilden hier natürlich die erwähnten Betriebsschließungsversicherungen oder ähnliche. Je länger die Pandemie jedoch anhält und damit der Realwirtschaft und den Kunden der Versicherer schadet, desto mehr werden auch sie betroffen sein. Es ist also zu erwarten, dass die negativen Auswirkungen zeitverzögert die Versicherungsbranche treffen werden.

Generell sind die Versicherungsunternehmen aber gut aufgestellt und werden die Krise überwiegend gut bewältigen können. Die Versicherungsunternehmen können und werden einen konstruktiven Beitrag zu der Bewältigung der Corona-Krise beitragen, Stichwort gemeinsamer Pandemiefonds.

VWheute: Laut aktuellem Future Readiness Index 2020 sehen die befragten Unternehmen die Cybersicherheit und den Klimawandel als größte Herausforderung. Sehen Sie die Finanzbranche entsprechend gewappnet dafür? Und welche Risiken erwachsen speziell für die Versicherer daraus?

Sven-Olaf Leitz: Bedingt durch die Corona-Krise und die voranschreitende Digitalisierung verzeichnet das Themen Cyber Security wenig überraschend in diesem Jahr die höchste Zuwachsrate im Vergleich zum Vorjahr und steigt zu den Top-Herausforderungen auf – nicht zuletzt wegen der Zunahme an Remote Working. Cyber Security ist für die Versicherer Chance und Risiko zugleich. Auf der einen Seiten müssen sie ihre eigenen Systeme und Workflows vor ungewolltem Zugriff von außen schützen und dafür zum Teil hohe Investitionen tätigen. Auf der anderen Seite bietet sich die Chance, innovative Lösungen für den Markt zu entwickeln. Hier stehen viele Versicherer noch am Anfang. Zukünftig werden ausgewählte Versicherer führend sein, die sich auf „Cyber“ spezialisieren und neben der reinen „Geld für Schaden“-Leistung auch Services im Präventions- und Recovery-Umfeld anbieten.

Klimawandel und Nachhaltigkeit sind als „Dauerthemen“ in den Chefetagen angekommen. Viele Finanzdienstleister gehen das Thema Nachhaltigkeit ganzheitlich an und hinterfragen ihre Produkte, Prozesse sowie Infrastruktur, aber auch ihre Lieferketten anhand von Nachhaltigkeitskriterien. Denn die Relevanz des Themas gewinnt für Aufsicht, Kunden und Öffentlichkeit zunehmend an Bedeutung. Versicherer haben hier vielfach noch Nachholbedarf, wobei das Umfrageergebnis bereits auf Aktivitäten in dem Bereich schließen lässt. Dass der Klimawandel als eine zentrale Herausforderung gesehen wird, ist vor dem Hintergrund der großen Betroffenheit der Versicherer nicht verwunderlich. Der Klimawandel ist ursächlich für die steigende Anzahl an Naturkatastrophen zu sehen. Diese Ereignisse werden vermehrt und vor allem plötzlich auftreten. Es wird häufiger vorkommen, dass Ursache und Wirkung nicht mehr im direkten Zusammenhang stehen. Daher wird dies nicht mehr mit dem herkömmlichen Versicherungsmodell der lokalen bzw. regionalen Versicherer abgedeckt werden können. Zukünftig können Absicherungen gegen Folgen des Klimawandels nur im Verbund angeboten werden – ein Verbund an Versicherern und/oder mit dem Staat.

VWheute: In Ihrem Report heißt es: „Die Krise ordnet die Prioritäten neu, die Finanzbranche muss die richtigen Schlüsse ziehen“. Welche Prioritäten meinen Sie damit konkret und welche Schlüsse – sollten insbesondere die Versicherer – daraus ziehen?

Sven-Olaf Leitz: Die Pandemie scheint den Stellenwert, den die Finanzinstitute den Herausforderungen zuordnen, stark beeinflusst zu haben. So verzeichnet Cyber Security einen starken Anstieg um 28 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Wir gehen jedoch davon aus, dass diese großen Verschiebungen temporär sind und mittelfristig doch die Top-Herausforderungen der letzten Jahre, wie z.B. „Individualisierung der Kundenbedürfnisse“ oder „Demografischer Wandel und Veränderungen der Arbeitswelt“ wieder in den Vordergrund rücken werden. Daher empfehlen wir zwar, die aktuellen Herausforderungen beherzt anzugehen, dabei aber nicht die mittel- bis langfristig wirkenden Themen aus den Augen zu verlieren. Gerade das Thema Arbeitswelt hat durch die Krise an Bedeutung gewonnen und wird in den nächsten Jahren die Wettbewerbsfähigkeit der Versicherer auf dem Absatz- aber auch Talent-Markt beeinflussen. Versicherer, die es schaffen, moderne Arbeitswelten zu etablieren, die für Mitarbeiter, Führungskräfte und Kunden gleichermaßen attraktiv sind und welche die Effektivität der Organisation erhöhen, werden Gewinner sein.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.

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