KI: „Versicherer haben Potenzial in ihren umfangreichen Datenbeständen erkannt“

Arek Socha auf Pixabay

Ein Traum für jedes Unternehmen: Auf Basis von Datenanalysen kennt es die Wünsche von Kunden sehr genau, Preisvorstellungen und das Kaufdatum sind bekannt. Diese Vision soll durch den Einsatz von modernen Technologien und Künstlicher Intelligenz auch in der Versicherungsbranche Einzug halten. Dafür braucht es die passende Software und Analyseexperten: Beides ist nicht auf Knopfdruck zu finden, sondern bedarf eines intelligenten Auswahlprozesses.

Es ist für die Versicherungsbranche immerhin ein kleiner Trost, der Aussicht auf bessere Zeiten versprechen könnte. Das Jahr vor der Corona-Krise war für die Versicherer laut GDV ein sehr gutes. Die Deutschen haben 2019 nach Jahren weitgehender Stagnation wieder mehr für Versicherungspolicen ausgegeben – im Durchschnitt über 2.600 Euro pro Jahr und Versicherten. In manchen Sparten konnten sogar Rekordwerte erzielt werden. Dies ist das Fazit des Anfang September 2020 vom GdV veröffentlichten „Statistischen Taschenbuch der Versicherungswirtschaft 2020“. Auch wenn Corona diesem Aufschwung voraussichtlich eine Delle verpassen wird, sprechen die Zahlen dafür, dass der Umsatz bald wieder nach oben zeigen wird.

Investitionen in Datenanalyse steigen

Und dafür wollen die Finanzdienstleister unter anderem verstärkt in die Digitalisierung investieren. Dabei stehen bei ihnen Datenanalysen ganz hoch im Kurs, zeigen die Ergebnisse der „Trendstudie Digitalisierung 2019“ von Bitkom Research, veröffentlicht allerdings vor der Corona-Krise. Danach wollen sechs von zehn Instituten mehr in Software zur Datenanalyse investieren. Ein Trend, der sich durch alle Branchen zieht. Ein guter Indikator dafür sind unter anderem Stellenausschreibungen. Datenanalysten sind längst heiß begehrte und nicht einfach zu findende Experten. 2019 war immerhin jede fünfte Versicherung oder Bank auf der Suche nach Data Scientists. Ein Jahr zuvor waren solche Stellenanzeigen noch eher selten. Wer zum Beispiel auf der Online-Jobplattform Stepstone nach Stellenangeboten für „Data Analysts“ sucht, bekam Anfang September 2020 quer durch alle Branchen mehr als 4.500 Treffer angezeigt, darunter auch von Versicherungen wie Zurich, R+V oder Axa.

Die Bitkom Research Studie hat auch gezeigt, dass die Unternehmen inzwischen Kenntnisse rund um die Datenanalyse für alle Mitarbeiter hoch hängen. Mit 89 Prozent liegt als gewünschte Kompetenz die Datenanalyse ganz oben auf der Skala. Also auch für diejenigen, die nicht speziell für die Datenanalyse zuständig sind. Dabei gehört die Auswertung und Nutzung von Datensammlungen seit jeher zu den Kernkompetenzen erfolgreicher Versicherungsunternehmen. Doch nutzten sie die Datenanalyse bisher im Wesentlichen für Tarifberechnungen. Das soll sich nun ändern.

In Daten steckt Potenzial für alle Fachbereiche

Die Versicherer haben erkannt, dass in ihren umfangreichen Datenbeständen sehr viel Potenzial steckt für die Beratung von Bestandskunden aber auch für die Neukundengewinnung – und dies nicht nach wochenlangen Analysen, sondern quasi in Echtzeit. Vom Beschwerdemanagement bis zur zukunftsorientierten Vertriebssteuerung könnten die häufig vom Bauchgefühl der Makler und Versicherungsagenten gesteuerten Entscheidungen mit Big-Data-Analysen und Künstlicher Intelligenz zukünftig stärker auf harten Fakten beruhen. Konkrete Anwendungsbereiche für KI sollen vor allem die Analyse von Kundenverhalten und Kundenloyalität, die Lead-Generierung und das Lead-Management sowie die Automatisierung manueller Aktivitäten (RPA) sein. Dafür müssen jedoch die Versicherungsunternehmen nicht nur Datenanalysten finden, sondern die passende Software auswählen, auf deren Basis die großen Datenbestände möglichst automatisiert die Antworten auf Kernfragen rund um die Kunden und die allgemeine Marktentwicklung auswerfen.

Der Versicherungssektor wird oft als einer der Vorreiter für den Einsatz von KI und Techniken zur Analyse großer Datenmengen gesehen. Allerdings nutzen erst acht Prozent der Versicherungen und Banken Künstliche Intelligenz, um solche Aufgaben zu automatisieren, verrät die Bitkom-Studie. Obwohl sich Data Analytics-Lösungen auch bei den Versicherern für fast alle Unternehmensbereiche anbieten – auch über den Kundenservice und den Vertrieb hinaus. Deswegen planen 86 Prozent der Unternehmen bis 2025 ihre Investitionen in Künstliche Intelligenz (KI) zu erhöhen. Jeweils rund ein Viertel erwarten einen relevanten Einfluss bei der Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen, bei der Erschließung neuer Märkte oder Branchen und als Wegbereiter für Innovationen.

Softwareauswahl nach Bedürfnissen, nicht allein nach Technologie

Doch die Bereitschaft, in Data Analytics und KI zu investieren, ist nur eine Seite der Medaille. Eine Studie der Economist Group zeigt, dass die Unternehmen Risiken bei der Einführung sehen: hinsichtlich der Sicherheit (40 Prozent), den Kosten (39 Prozent), unzureichender Infrastruktur (29 Prozent) und schlechter Datenqualität (28 Prozent). Was Data Analytics- und KI-Beratungsprojekte auch zeigen, ist, dass Versicherungsunternehmen Themen wie die Datenanalyse oft nur von der Technologieseite her angehen. Oftmals ist es aber entscheidend, die Interessen aller Beteiligten zusammenzutragen und deren Umsetzbarkeit zu erproben, bevor man sich langjährig einer Software verschreibt. Beispielhaft hier ein Use Case für Vertriebsimpulse: Aus Marketingsicht müssen diese jedem Kundenberater schnell und aktuell zur Verfügung gestellt werden. Aus Vertriebssicht müssen die Impulse übersichtlich dargestellt und nach Kriterien sortierbar sein. Aus Sicht der Geschäftsleitung sollte außerdem der Bearbeitungsstatus erkenn- und messbar sein, um Erfolge abschätzen zu können. Generell soll eine Software zudem zeitgemäß (z.B. Datenschutz, Architektur, Skalierbarkeit und Lizenzmodell), intuitiv bedienbar und ökonomisch sinnvoll sein.

Doch wo kommt nun die Künstliche Intelligenz zum Einsatz? Der entscheidende Mehrwert ergibt sich aus der dynamischen Priorisierbarkeit von Vertriebsimpulsen. Dazu zählen einerseits die Bestimmung von Kaufwahrscheinlichkeiten und die Berücksichtigung von Kanalaffinitäten (Endkundenfokus), andererseits aber auch die berücksichtigten Interessen sowohl der Vertriebsmitarbeiter (z.B. Zielerreichung, Provisionsberechnung, Zeitkritikalität), der Endkunden selbst (z.B. Schutzbedarf, Lebenssituation, Lebensplanung) als auch der strategischen Ziele der Geschäftsleitung. Dieser Dreiklang wird am besten durch moderne Technologien und Methoden orchestriert, die die jeweiligen Anforderungen durch intelligente Regeln übereinander bringen können. 

Praxisbeispiel zur Technologieauswahl

Dazu ein Praxisbeispiel: In einem Projekt eines großen Versicherungsunternehmen wurden zunächst alle Anforderungen gesammelt und zwei Softwareanbieter ausgewählt, mit denen Proof of Concepts geplant waren. Beispielhaft wurden mit diesen Anbietern Vertriebsimpulse generiert und die Bedienerfreundlichkeit getestet. Dabei konnten typische Stolpersteine identifiziert und entsprechende Anforderungen in einem agilen Prozess ergänzt oder fallen gelassen werden. So konnte bereits in den Testläufen die Selektion der Vertriebsimpulse verbessert werden.

Nach der prototypischen Umsetzung verschiedener Vertriebsimpulse mit den vorselektierten Softwaretools wurde eine Unternehmensberatung beauftragt, weitere Tools zu prüfen und deren Einsetzbarkeit entsprechend der erwähnten Dimensionen (Funktionalität und Bedienbarkeit für alle Anwender, Implementierungsaufwand und Architektur, Kosten) abzuschätzen.

Die entstehende Longlist aus CRM-Tool-Anbietern wurde für alle konkreten Anforderungen ausgefüllt und zu einer Shortlist reduziert. Interessanterweise fiel dieser Selektion einer der beiden ehemals vorausgewählten „Platzhirsche“ zum Opfer. Demgegenüber kamen in diesem damit tatsächlich ergebnisoffenen Auswahlprozess zwei CRM-Software-Tools neu hinzu.

Im Auswahlprozess war auffällig, dass sich einige Anbieter der Lösungen nur unzureichend mit den Anforderungen des Versicherers beschäftigt hatten und letztendlich vor allem ihre Lösung positionieren wollten. Ein notwendiger Blick mit Sachverstand „hinter die Kulissen“ konnte dagegen gerade hinsichtlich der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Überraschungen in der Short-List sorgen.

Zu den wichtigsten Fragen im Auswahlprozess gehörte weiterhin die Integrationsfähigkeit der Lösungen in die Prozess- und Anwendungslandschaft des Versicherers. Hier zeigten sich jüngere Lösungen flexibler und moderner. Vor allem hatten sie nicht den Anspruch, die Lösungsarchitektur zu „beherrschen“, sondern sahen sich als wichtiger Teil einer Gesamtlösung.

Fazit: Auf ergebnisoffenes Vorgehen achten

Erfolgreiche Tool-Auswahl sowohl für neue KI-Lösungen als auch Big-Data-Technologie-Tools basiert auf zwei einfachen Erkenntnissen: Erstens verhindert ein übereilter Fokus auf eine bestimmte Technologie oder Software oft das Erreichen von Synergieeffekten. Ein solcher Fokus auf ein oder zwei Anbieter rührt meist daher, dass ein einzelner Fachbereich naturgemäß seine Anforderungen einfordert und bei Anforderungen anderer Bereiche zu schnell Kompromisse eingegangen werden. Zweitens braucht es eine tatsächliche Ergebnisoffenheit! Nur damit lässt sich eine trügerische Gewissheit, dass sich eine der beiden Vorablösungen durchsetzt, durch die sorgfältige Recherche aller Kriterien konkret und kooperativ auflösen und überwinden: Auch hier gilt: Es ist nicht immer Platzhirsch drin, wo Platzhirsch draufsteht.

Autoren: Igor Schnakenburg, Managing Consultant und Data Scientist, und Nikolaos Vlachantonis, Partner, beide Managementberatung Detecon

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