Daten – Gedanken im März

Quelle: Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Der Anlass ist alltäglich. Eine Bank lädt ihre Kunden und sonstige Interessierte zu einem Vortrag über die neuesten Entwicklungen der Finanzmärkte ein. Im Anschluss soll es eine kurze Fragerunde und einen kleinen Umtrunk geben. Das ist alles. Das Übliche also.

Doch die Rückseite dieser Einladung hat es in sich. In winzigem Druck, der viele an die Grenzen ihrer Sehkraft führen dürfte, wird den Eingeladenen mitgeteilt, dass sie mit Teilnahme an der Veranstaltung erklären, „das Folgende“ verstanden zu haben und damit einverstanden sind.

Um eine solche Erklärung wahrheitsgemäß abgeben zu können, ist allerdings ein erfolgreiches Jurastudium Voraussetzung. Nur so viel wird klar: Die Bank, „die gemäß den geltenden gesetzlichen Bestimmungen“ „größten Wert auf die Privatsphäre“ ihrer Kunden legt, kann mit deren Daten – Name, Anschrift, E-Mail-Adresse usw. – so ziemlich alles machen, was sie will. Was Dritte dann mit diesen Daten machen, ist ihr nicht mehr anzulasten. Ganz grundsätzlich stellt sie fest, dass die Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel „mit erheblichen Risiken verbunden sein könnte“, soll wohl heißen: Hände weg davon.

Nicht immer wird die Problematik dieser Mittel so offen angesprochen. Aber sie ist real und allgegenwärtig, ob an der Theaterkasse, dem Reisebüro oder jedem beliebigen Kontakt mit einem Computer oder Smartphone. Die Vorteile elektronischer Kommunikation zu genießen bedeutet zugleich, riesige Löcher in den Schutzwall zu reißen, der während Generationen um die Privatsphäre errichtet worden ist.

Nach dem Motto „ich habe nichts zu verbergen“ mag dies vielen gleichgültig sein. Dennoch stellt dies einen tief greifenden Wandel von einer Kultur, die das Private durch Regelungen wie das Fernsprech-, Post-, Bank- oder Steuergeheimnis zu wahren suchte, hin zu einer Kultur weitgehender individueller Transparenz dar. Der gläserne, der nackte Mensch als gesellschaftliches Ideal.

Zwar wird den Bürgern noch immer vorgegaukelt, um sich eine Schutzzone zu haben. Zumindest ihre Menschenwürde soll unantastbar sein. Doch damit ist es nicht allzu weit her. Ohne dass sie hierzu noch irgendetwas beitragen müssten, können sie an jedem beliebigen Ort, zu jeder beliebigen Zeit bis in ihre tiefsten Schichten durchleuchtet werden.

Das kann in bester Absicht geschehen. So manche Straftat ist so vereitelt oder aufgeklärt worden. Umgekehrt werden Menschen auf die gleiche Weise aber auch empfindliche, mitunter sogar tödliche Verletzungen zugefügt. Die Öffentlichkeit reagiert. Krampfhaft versuchen Gesetzgeber und Rechtsprechung die klaffendsten Breschen, die in den letzten Jahren in den Persönlichkeitsschutz geschlagen worden sind, zu schließen.

Ständig werden neue Sicherungssysteme installiert. Die Bürger wissen kaum noch wohin mit all den Geheimzahlen, Codewörtern und PINs. Doch gerade das zeigt, dass die Systeme nicht sicher sind und zwischen deren Gebrauch und Missbrauch nur eine brüchige Trennwand steht. Und allenthalben heißt es: Wir arbeiten daran. Die Frage ist, auf welcher Seite der Wand?

Die Zeit ist überreif für eine sehr grundsätzliche Entscheidung. Sollen die Gemeinwesen abgleiten in Exhibitionismus und Voyeurismus – sie sind auf schnellem Weg dorthin – oder sind wir bereit, die Würde des Menschen, einschließlich seiner Privatsphäre umfassend zu schützen.

Letzteres bedeutet nicht zuletzt den Verzicht auf Erhebung und Nutzung großer Datenmengen und ihre freizügige Verbreitung. Vielleicht ist es hierfür zu spät. Dann aber müssen wir uns auf sehr ungemütliche und inhumane Zeiten einstellen. Der technische Fortschritt hätte ein übergroßes Opfer gefunden: die Würde des Menschen.

Autor: Meinhard Miegel