Wie Versicherer in ihre IT investieren

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Dominieren Entwicklung und Einsatz von künstlicher Intelligenz tatsächlich alle Budget-Überlegungen? Oder gibt es weitere IT-Vorhaben, die die Branche vergleichbar beschäftigen? Und wie stark setzt man dabei auf externe Kräfte? Ende 2023 hat ISG 270 Entscheider aus der europäischen Versicherungswirtschaft zu ihren IT-Plänen befragt. Einige der Ergebnisse lassen aufhorchen.

Um die Investitionsprioritäten der Versicherer besser einordnen zu können, lohnt zunächst der Blick auf die makroökonomischen Einflussfaktoren, die die Unternehmen derzeit am stärksten beschäftigen. Mit 80 Prozent bzw. 66 Prozent der Nennungen führen die Inflations- und Rezessionserwartungen das Feld der externen Faktoren auch in diesem Jahr an. Vor zwölf Monaten lagen die Ergebnisse unserer Umfrage auf ähnlichem Niveau. Damals zählten 74 Prozent der Befragten die drohende Rezession und 70 Prozent die anhaltende Inflation zu den wichtigsten externen Herausforderungen.

Unter dem Hinweis auf die robuste Umsatz- und Gewinnentwicklung der Branche könnte man nun entgegnen, dass die Mehrheit der Anbieter mit den genannten Risiken bereits zu leben weiß und sich daher auf andere Dinge konzentrieren könnte. Zumal viele Versicherungsunternehmen über eine vergleichsweise gute Ausgangsposition verfügen, um ihre Preise zu erhöhen und dies im aktuellen Inflationszyklus auch bereits getan haben. All das ist richtig. Doch liegt es gewissermaßen in der DNA speziell der europäischen Versicherer, anhaltende Vorsorge gerade auch für solche Risiken zu treffen, die man von außen betrachtet bereits gut im Griff zu haben scheint.

Vor diesem Hintergrund sehen die Befragten drei strategische Business-Herausforderungen, denen sie sich in Zukunft noch einmal deutlich stärker stellen wollen, als dies in den vergangenen Jahren ohnehin schon der Fall war. Die Trias der Topthemen wird angeführt von der Neukundengewinnung. 85 Prozent der Befragten sehen darin eine ebenso wichtige wie dringende Priorität. Für drei von vier Befragten (74 Prozent) knüpft sich die gewünschte Ausweitung des Kundenstamms an die Weiterentwicklung digitaler Angebote und die Individualisierung der Kundenleistungen. Hinzu kommt die Preisgestaltung: Fast jeder Zweite (46 Prozent) rechnet die Optimierung der Prämien ebenfalls zu den drängendsten Business-Prioritäten der kommenden Jahre.

Top-Investitionsfelder

All dies führt dazu, dass man sich nun noch stärker als bisher auf genau diejenigen Projekte konzentriert, die einen möglichst kurzfristigen Nutzen für das Kerngeschäft versprechen. Verbesserungen in der Strukturier- und Auswertbarkeit von Kundendaten spielen dabei eine Schlüsselrolle. Ebenso der verstärkte Einsatz von künstlicher Intelligenz und die weitere Prozessautomatisierung.

Bevor wir näher darauf eingehen, lohnt allerdings noch der Blick auf ein weiteres Technologiefeld, dem die Mehrzahl der Befragten derzeit den höchsten Reifegrad zuschreiben. Gemeint ist der Ausbau der digitalen Bezahlkanäle. Fast jeder Zweite (46%) berichtet hier bereits über die Umsetzung kleinerer Projekte. Ein weiteres Drittel (34%) bereitet sogar schon organisationsweite Rollouts vor.

Beides sind die mit Abstand höchsten Werte unter den Technologiefeldern, die zur Auswahl standen. Der hohe Zuspruch verdankt sich der Tatsache, dass die Entwicklungsarbeit der Unternehmen auf gut etablierten externen Bezahlsystemen aufsetzt und dabei in besonderem Maße dazu geeignet ist, auch digital-affine junge Kundengruppen für den Kauf von Policen zu gewinnen. Etwa in Form von Micro Services oder im Bereich Embedded Insurance, wo Versicherer verstärkt Kooperationen mit Plattformanbietern eingehen. So kommt es auch nicht von ungefähr, dass zwei Drittel (68%) der befragten Entscheider davon ausgehen, dass ihre Digital-Payment-Etats im kommenden Jahr weiter zulegen werden. Für 2025 liegt der Vergleichswert sogar bei 74 Prozent. Und es wird Geld in die Hand genommen: 28 Prozent der Unternehmen investieren derzeit bereits zwischen einer und fünf Mio. Euro pro Jahr; 24% sogar mehr als fünf Mio. Euro.

Künstliche Intelligenz

Laut Umfrage liegt der KI-Bereich aktuell noch ein wenig dahinter: Über Jahresbudgets von mehr als einer Mio. Euro berichtet erst jeder achte Befragte (13 Prozent). Ungeachtet dessen weist auch die KI hohe Wachstumsraten auf. Sechs von zehn Befragten gehen davon aus, dass ihre Unternehmen 2024 zusätzliche Gelder bereitstellen werden, um eine höhere Zahl von Entwicklungsvorhaben zur Anwendungsreife zu bringen. Neben bereits etablierten KI-Methoden wie natürlicher Spracherkennung (NLP) oder maschinellem Lernen kommen zunehmend auch Modelle zum Einsatz, die generative KI nutzen.

Gleichwohl befindet sich die KI-Entwicklung vielerorts noch in einem eher frühen Stadium: Jedes zweite Unternehmen (50 Prozent) konzentriert sich auf das Experimentieren mit Prototypen. Weitere 31 Prozent berichten über die Umsetzung von kleineren Projekten. Nur sechs Prozent geben an, bereits Strukturen zu schaffen, die den organisationsweiten Einsatz von KI-Lösungen ermöglichen sollen.

Gleich dreimal so hoch, nämlich bei 18 Prozent, liegt der Vergleichswert in einem Technologiefeld, das sich vor allem bei Geschäftskunden wachsender Beliebtheit erfreut. Die Rede ist von Lösungen, die mit Augmented Reality (AR), respektive Virtual Reality (VR-)Werkzeugen arbeiten und beispielsweise gewerbliche Kunden dazu befähigen, per vorbeugender Instandhaltung Schadensfälle zu minimieren. Aus Sicht der Versicherer führt dies dazu, dass die Häufigkeit des Schadenseintritts sinkt und damit die Rentabilität ihrer Produkte steigt. In der Folge entstehen neue Spielräume, um mit noch konkurrenzfähigeren Prämien in den Markt zu gehen.

Silos aufbrechen

Die kontinuierliche Verbesserung des Marktangebots setzt jedoch voraus, dass die Versicherer die Aussagekraft ihres Kundendatenmanagements verbessern. Um treffsichere Angebote zu machen, sind tiefere Einblicke in die aktuelle Entwicklung der Kundenbedürfnisse unabdingbar. Für 91 Prozent der Befragten ist dies eine der wichtigsten Investitionsprioritäten der kommenden Jahre.

Aus technischer Sicht geht es dabei vor allem darum, die immer noch vorhandenen Datensilos aufzubrechen. Aus Beratungsprojekten in der europäischen Versicherungswirtschaft wissen wir, dass derzeit allenfalls ein Fünftel der vorhandenen Kundendaten effektiv genutzt wird. Somit bleibt die Modernisierung der Altsysteme in den meisten Unternehmen eine Dauerbaustelle. Was sich auch mit der Umfrage deckt: 88 Prozent der Entscheider geben an, dass die Transformation ihrer Legacy-IT auch in den kommenden drei Jahren zu den zentralen Prioritäten zählen wird.

Weiteres Fokusthema ist die Cybersicherheit. Hier gehen 63 Prozent der Befragten davon aus, dass ihre Budgets 2024 weiter steigen werden. Für das Folgejahr sind sogar 72 Prozent dieser Meinung. Einerseits verdankt sich die beabsichtigte Ausgabensteigerung den weiter zunehmenden Angriffsrisiken. Andererseits ist der Etat-Ausbau eine Reaktion darauf, dass inzwischen auch die Aufsicht die Security-Zügel stärker anzieht. Als Weckruf gilt in diesem Zusammenhang der Kapitalaufschlag, den die Bafin im Frühjahr 2023 gegenüber der Axa verhängte. Vonseiten der Aufsicht wurde dies mit „Mängeln in der Geschäftsorganisation“ begründet. Eine Reihe von Branchenbeobachtern wurde konkreter und nannte eine unzureichende Sicherheits-Policy sowie Datenschutzprobleme als Hauptgründe für das Durchgreifen der Regulierer.

Insourcing vs. Auslagerung

Fassen wir kurz zusammen. Wenn es um konkrete Investitionsfelder geht, priorisiert die Mehrheit der Befragten die Bereiche KI, Legacy-Modernisierung sowie IT-Sicherheit. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Zahl der Versicherungsunternehmen, die auch die Konsolidierung ihres Dienstleisterportfolios zu den wichtigsten IT-Aufgaben zählen, stark zunimmt: Waren es in unserer Vorjahresbefragung noch 59 Prozent, so liegt der Anteil der Konsolidierungsbefürworter diesmal bereits bei beeindruckenden 93 Prozent.

Der Weg zu einem kleineren Lieferantenstamm verläuft vielerorts zweigleisig: Je nach Technologiefeld und Wertschöpfungsziel entscheidet man sich entweder für die Bildung größerer Vergabelose oder für die Stärkung der eigenen Shared-Service-Center und IT-Abteilungen. Dass die Mehrzahl der Unternehmen beide Wege geht, belegt auch unsere Umfrage. So befürworten 78 Prozent den Ausbau des Insourcings, während fast ebenso viele (77 Prozent) die Ausweitung der Fremdvergaben als Option nennen.

Ob dann aber gerade auch das Insourcing funktionieren wird, ist eine Wette auf die Zukunft. Entscheidend wird sein, wie man sich als Versicherer auf einem Arbeitsmarkt präsentiert, der immer mehr zum Anbietermarkt wird. Die Kernfrage dabei ist: Werden sich gerade auch junge IT-Spezialisten für einen Job in der Assekuranz interessieren? Die Qualität des Talentmanagements wird damit zum geschäftskritischen Faktor.

Die Botschaft ist im Markt angekommen, wie auch unsere Umfrage zeigt. 84 Prozent der Entscheider sehen in der Verbesserung ihres Talentmanagements eine dringende strategische Aufgabe. Wie sich diese Überzeugung in der Praxis niederschlagen wird, gehört zweifellos zu den spannendsten Entwicklungen der kommenden Jahre. Vielerorts muss man das Feld eher von hinten her aufrollen. Vor allem Tech-Konzerne und Fintech-Anbieter verfügen derzeit über eine deutlich höhere Attraktivität als Arbeitgeber. Wie sich etablierte Versicherer im Kampf um die besten Köpfe behaupten werden und welche Kooperationsmodelle dabei sinnvoll sind, wird zu einer Kernfrage, die manche rein technologische Anforderung in den Hintergrund drängen wird.

Die vollständige Studie „Pulse Check – State of the European Insurance Industry 2024“ lesen Sie hier.

Autorin: Anna Medkouri, Partnerin und EMEA Lead Insurance bei der Information Services Group (ISG)