„Versicherer in Deutschland laufen ohne Nutzung der Cloud der Technik hinterher“
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Münsterischer Versicherungstag. Quelle: Petra Pohlmann

„2025 werden mehr als 60 Prozent aller Versicherungen online geschlossen,“ prognostizierte Jörn Winterberg, Industry Leader Insurance von Google Deutschland, auf dem 37. Münsterischen Versicherungstag am 21. und 22. November 2019, wo in diesem Jahr vor mehr als 250 Teilnehmern vor allem digitale Themen behandelt wurden.

Die Erwartungen der Nutzer an Dienstleistungen hätten sich in den letzten Jahren stark verändert. Sie wollten vor allem Bequemlichkeit, Schnelligkeit und Sicherheit. Ladezeiten von über einer Sekunde führten zum Abbruch. Entscheidend sei im Digitalvertrieb die richtige Information zum richtigen Zeitpunkt. Denn nur so könne der Nutzer trotz seiner Überforderung durch die Informationsfülle im Netz erreicht werden.

Mark Klein, Chief Digital Officer der Ergo Group, nannte die Digitalisierung „eine unheimliche Chance“ für Versicherer. „Gibt es das Netflix der Versicherer?“ – diese Frage müsse sich die Versicherungswirtschaft heute stellen. Die ERGO-Tochter nexible GmbH, digitaler Versicherungsvertreter der ERGO für Kfz-Versicherungen, habe einen guten Start hingelegt. Über eine App für das Smartphone habe man, so Klein, nachgedacht, sei aber zu dem Schluss gekommen, dass eine responsive Website, die auf allen – vor allem mobilen – Endgeräten gleichermaßen nutzbar ist, den Bedürfnissen der Kunden besser entspreche. Eine Versicherungs-App werde praktisch zu selten benutzt.

Digitalvertrieb über KI-gestützte Voice-Anwendungen, so Klein, seien frühestens in drei Jahren zu erwarten. Kritisch gegenüber dem komplexen deutschen Recht äußerte sich Rechtsanwalt Maximilian Teichler, Mitverfasser der Studie der Managementberatung 67Rockwell vom Januar 2019, die zahlreiche Rechtsverstöße im Onlinevertrieb festgestellt hatte.

„Versicherer in Deutschland laufen ohne Nutzung der Cloud der Technik hinterher“, so schätzte Thomas Niemöller, Chief Digital Officer des Provinzial Nordwest Konzerns, die Lage ein. Ohne die Cloud seien viele digitale Angebote nicht zu verwirklichen. So setze der neue digitale Gewerbeversicherer andsafe der Provinzial auf Cloud-Dienste. Regulatorik und Agilität in der Entwicklung digitaler Angebote schlössen sich nicht aus, so Niemöller weiter. Die „Versicherungsaufsichtlichen Anforderungen an die IT“ (VAIT) der Bafin sah er als offen genug an, die Dynamik der Entwicklungen zu unterstützen, mahnte aber eine nicht zu sehr am „steady state“ ausgerichtete Auslegung und Anwendung der VAIT an.

Manuela Zweimüller, viele Jahre Head of Regulations bei der EIOPA und seit diesem Jahr dort Senior Advisor on International Affairs, wies darauf hin, dass in Kürze – wohl noch im Dezember – die Endfassung der EIOPA-Leitlinien zum Outsourcing an Cloud Service Provider zu erwarten sei. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Cloudnutzung erläuterte Dominik Stockem, Datenschutzbeauftragter von Microsoft Deutschland.

Für Finanzdienstleister gelten hier einige Besonderheiten, so gebe es bei Microsoft Zusatzvereinbarungen und ein „FSI Customer Compliance Program“, das sicherstelle, dass aufsichtsrechtliche Anforderungen eingehalten würden. Microsoft stützt sich in seinen Verträgen auch auf die EU Standardvertragsklauseln und das Privacy Shield. Ob das Privacy Shield, als Nachfolger des vor dem EuGH gescheiterten Safe Harbor, der von Max Schrems angestrengten Klage standhalten wird, entscheidet derzeit der EuGH. Noch am 23. Oktober 2019 hat die EU-Kommission hat dem Privacy Shield ein angemessenes Schutzniveau bescheinigt.

EIOPA, so Zweimüller, habe aktuell folgende strategische Prioritäten für die aufsichtsbehördliche Arbeit im Bereich Digitalisierung gesetzt:

  • Die wachsende Rolle der Digitalisierung und der technologiegestützten Innovation mit neuen Geschäftsmodellen und Vertriebsformen und spezifischen Chancen und Risiken für Kunden und Versicherer: Hier betonte Zweimüller die Notwendigkeit, Digital Ethics im Auge zu behalten – EIOPA hat hierzu eine Taskforce gegündet. Sie hob die potentiellen ethischen Risiken individualisierter Preissetzung hervor.
  • Einen stabilen und gesunden Markt für Cyber-Versicherung: Dieser sei notwendige Voraussetzung und Wegbereiter der Digitalwirtschaft und eines digitalen Binnenmarktes.
  • Die Notwendigkeit für die Aufsicht, mit den technologischen Entwicklungen Schritt zu halten: Hiermit ist auch das Stichwort der Supervisory Technology (SupTech) angesprochen.

Auch Legal Tech wurde diskutiert – Michael Grupp, Geschäftsführer des LegalTech-Unternehmens BRYTER GmbH,zerstörte die Hoffnung, juristische Prüfungsschritte seien leicht zu automatisieren. Zwar könne Künstliche Intelligenz Syntax bewältigen, die Semantik hingegen, die das juristische Arbeiten prägt, sei schwierig zu erfassen. Zudem sei das Vorwissen von Juristen nicht leicht zu implementieren. Er riet dazu, KI in der rechtlichen Analyse in konkreten, leicht skalierbaren Anwendungsfällen zu nutzen – „Probieren Sie es aus!“, so sein Appell.

Autorin: Petra Pohlmann

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