Heise: „Fehler war, die enorme Wirkungsmacht der Geldpolitik auf die Zinsen zu unterschätzen“

Michael Heise, scheidender Chefvolkswirt der Allianz. (Quelle: dpa / Picture-Alliance)

Der scheidende Chefvolkswirt der Allianz, Michael Heise, gehört zu den derzeit noch zu den dienstältesten seiner Zunft. Zum Ende seiner Tätigkeit geht er noch einmal hart mit der EZB-Zinspolitik ins Gericht: „Bis vor einigen Jahren galt es als gesetzt, dass die Zentralbanken zwar den kurzfristigen Zins steuern können, nicht aber die langfristigen Zinsen am Kapitalmarkt. Das war ein Fehler.“

So habe man „eine enorme Diskrepanz zwischen Wachstum und Zinsen, und dafür sind eindeutig die Zentralbanken verantwortlich. Aber ihre Macht über Konjunktur und Preise ist offensichtlich sehr begrenzt. Beides bleibt gedämpft, obwohl die Geldpolitik extrem locker ist“, konstatiert der Ökonom im Interview mit der Welt.

Zudem helfe eine reine Nachfragepolitik „nicht aus dem Schlamassel. Dass die EZB immer weiter versucht, mithilfe von Zinssenkungen und Anleihekäufen das Wachstum auf Trab zu bringen, hat schon etwas Verzweifeltes. Zumal die Minuszinsen die Konjunktur nicht ankurbeln, sondern Sparer und Banken enorm belasten.

Dabei habe die europäische Notenbank „viel Verantwortung übernommen, aber das Ergebnis ist nicht zufriedenstellend. Das starre Inflationsziel ist gescheitert und führt uns immer weiter in die Sackgasse hinein. Gleichzeitig werden die Nebenwirkungen der ultralockeren Geldpolitik immer größer, und der Wohlstand durch die Minuszinsen immer ungleicher verteilt. Die Reichen profitieren, während die übrigen Bürger zusehen müssen, wie die Kaufkraft ihres Ersparten immer mehr schmilzt.“ Zudem bleibe jungen Menschen bei der Altersvorsorge „nur der Kauf von Realwerten wie Immobilien, Aktien, Beteiligungen“.

Mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage rechnet Heise derzeit mit einer „milden Rezession“ für Deutschland: „Wir erwarten für 2019 und 2020 ein Wachstum von nur noch 0,6 Prozent. Das ist keine schwere Krise, sollte uns aber aufhorchen lassen. Nur Italien steht noch schwächer da. Deutschland wird in Europa gerade nach ganz unten durchgereicht.“

Zudem müsse die Bundesrepublik „als Standort attraktiver werden, damit die Ersparnis nicht mehr so stark ins Ausland geht. Wir brauchen eine Investitionsagenda für Deutschland. Wichtige Reformen und Investitionen in die Zukunft, etwa in Digitalisierung und Infrastruktur, sind sträflich vernachlässigt worden.“

Allerdings habe die „Stimme der Ökonomie in der Politik tatsächlich an Einfluss verloren. […] Wir Volkswirte müssen uns das allerdings auch selbst ankreiden. Viele Vorschläge, die in der Theorie gut klingen, sind nicht auf ihre Praxistauglichkeit hin durchdacht worden. Zugleich neigt die Volkswirtschaftslehre momentan leider dazu, die Wirklichkeit über rein nachfrageorientierte neokeynesianische Modelle erklären zu wollen, die zwar mathematisch beeindrucken, deren Gültigkeit aber hinterfragt werden muss.“

Autor: VW-Redaktion