Schmerzpunkt Vertrieb: Wie der Vermittler in einer digitalen Welt überlebt

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Digitalisierung ist der wunde Punkt der Versicherungsbranche. Besonders offensichtlich ist der schleppende Fortschritt dabei im Vertrieb, wo alte Strukturen auf veränderte Erwartungen der heutigen Kundengeneration treffen. Ein Ausweg kann die Bündelung von Kompetenzen auf Plattformen sein. Aber was bedeutet so eine Entwicklung für Unternehmen und Vermittler, und ist sie eher Fluch oder Segen?

Schon lange steht das bisher gut funktionierende System von Vermittlern unter Druck. Sie sehen sich heute Kunden gegenüber, für die persönliche Beratung in Kombination mit digitalen Services stark an Bedeutung gewinnt. Schnelligkeit, Übersichtlichkeit und Verfügbarkeit rund um die Uhr werden wichtiger, denn Kunden sind an solche digitalen Services – vom Einkauf bis zur Stellensuche – gewöhnt. Vergleichsportale haben diese Entwicklung erkannt und versuchen, die Lücke im System zu füllen. Damit sind sie zu einer Konkurrenz für Vermittler geworden. Bei komplexen Produkten wie in der Altersvorsorge ist dieser Trend allerdings riskant. 

Trotzdem ist es für den einzelnen Vermittler kaum möglich, mit dem Service großer Portale mitzuhalten. Eine Reaktion darauf sind Maklerpools, die sich in den letzten Jahren etabliert haben. Sie liefern angeschlossenen Vermittlern eine moderne technische Infrastruktur, von der Kundenplattform bis zur Software für Back-end-Prozesse.

Aber auch Versicherungsunternehmen reagieren und versuchen, mit eigenen Angeboten den digitalen Vertrieb der Vermittler zu unterstützen. Und im Hintergrund liebäugeln Tech-Größen wie Amazon mit dem Einstieg in den Versicherungsmarkt. Der Kampf um die Plattform der Zukunft hat also längst begonnen. Die Szenarien, die sich daraus ergeben, unterscheiden sich aber erheblich.

Herrschaft der Giganten

Was der Retailmarkt in den letzten 20 Jahren erlebt hat, könnte auch die Zukunft des Versicherungsvertriebs sein. Vor allem Amazon hat den Onlinehandel revolutioniert und heute eine Marktmacht, die in vielen Bereichen einem Monopol gleichkommt – mit entsprechenden Konsequenzen für Anbieter auf der Plattform. Dem Unternehmen werden Ambitionen nachgesagt, in den Versicherungsvertrieb einsteigen zu wollen. Angesichts seiner finanziellen und technologischen Möglichkeiten käme das einer tektonischen Plattenverschiebung im Markt gleich. 

Die führenden Vergleichsportale zeigen ebenfalls seit Jahren Bestrebungen, sich zu Vertriebsplattformen zu entwickeln. Dabei gehen sie aggressiv vor und scheuen auch vor Auseinandersetzungen mit Versicherern nicht zurück, wie der Rechtsstreit zwischen Huk-Coburg und Check24 zeigte. Für Vermittler würde eine Entwicklung in diese Richtung eine zunehmende Marginalisierung bedeuten, ihr Angebot könnte gar obsolet werden.

Pools, Pools, Pools

Maklerpools bieten viele Vorteile für Vermittler: technische Infrastruktur, einfachere Verwaltung und mehr Effizienz. Diese Vorteile haben aber einen Preis. So bedeutet der Anschluss an einen Pool auch meist, den eigenen Kundenstamm in den Pool überführen zu müssen. Die Makler verlieren damit teilweise die Hoheit über eine ihrer wichtigsten Geschäftsgrundlagen. Auch Unabhängigkeit geht verloren.

Und in einem Szenario, in dem sich kein dominanter Akteur am Markt durchsetzt, bedeutet dies auch, dass sich Vermittler mehreren Pools anschließen müssten. Das beinhaltet aber zugleich unterschiedliche technische Infrastrukturen und Prozessabläufe. Die Arbeitsersparnis wird dadurch geschmälert und es wird zu einer Herausforderung, Übersichtlichkeit für den Kunden zu garantieren. 

Gemeinsam stark

Das dritte Szenario sind durchgehend vernetzte, kooperative Plattformen. Voraussetzung dafür ist neben dem Willen zur Zusammenarbeit ein technologisches Ökosystem, in dem Angebote verschiedener Akteure über Schnittstellen unkompliziert miteinander verbunden werden können. So entstehen dezentrale Plattformen, bei denen die Beteiligten durch den Anschluss an einen Akteur, z. B. einen Pool oder ein Unternehmen, auf die Angebote und Services verschiedener Anbieter zugreifen können. Wichtig ist dabei die Definition gemeinsamer technischer Standards.

Im Bankensektor kennen wir so etwas mit PSD 2 bereits.  In diesem fairen Wettbewerb zählen Agilität und Innovationsfreude, es bleibt Raum für Spezialisierung – zum Vorteil der Kunden, Unternehmen und Vermittler. 

Letztere können hier ihre Kernkompetenz ausspielen: Kompetente persönliche Beratung, angepasst an die Kundenbedürfnisse.  Welches Szenario uns bevorsteht, lässt sich noch nicht abschließend sagen.

Klar ist: Wer sich nicht in einem System wiederfinden will, in dem wenige Starke die Regeln des Marktes diktieren und in der kompetente Makler nur noch eine Fußnote auf digitalen Megaplattformen sind, muss die Weichen zur digitalen Anschlussfähigkeit jetzt stellen. Für Unternehmen gilt es daher, ihre digitalen Services konsequent auszubauen; für die Makler, sich noch stärker mit den digitalen Angeboten am Markt auseinanderzusetzen und ihr eigenes Angebot entsprechend zu erweitern.

Autor: Reto Näscher, CEO der the prosperity company

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