Industriekunden prüfen Alternativen zur Versicherung

BASF Ludwigshafen, Quelle: BASF

Der sich verhärtende Industrieversicherungsmarkt stößt bei der versicherungsnehmenden Wirtschaft zunehmend auf Missfallen. „Über 50 Prozent unserer Mitglieder sagen bereits jetzt, dass sie konkret Alternativen zum Marktangebot in Form von Captives, Eigentragungs- und Kapitalmarktlösungen prüfen“, berichtete Alexander Mahnke in seiner Eigenschaft als Vorstandsvorsitzender des GVNW Gesamtverbandes der versicherungsnehmenden Wirtschaft e.V. beim Symposium 2020.

Er verwies auf eine FERMA-Umfrage, wonach sich 43 Prozent (2018: 15 Prozent) der befragten Unternehmen für Captives interessierten. „Dieser Trend ist für die Versicherer sicherlich keine gute Nachricht, hat er doch das Zeug dazu, ihr Geschäftsmodell nachhaltig zu hinterfragen und entscheidend Prämie aus dem Markt zu nehmen“, so Mahnke. Bei aller Diskussion über auskömmliche Prämien müssten die Versicherer „immer auch Augenmaß“ anwenden. Viele Gesellschaften hätten zudem „weiterhin deutliches“ Potenzial, um die Auskömmlichkeit auch über eine Reduzierung ihrer internen und externen Kosten herstellen zu können.

Der GVNW hat nach Ausführung von Mahnke zusammen mit dem Schwesterverband AIRMIC Anfang 2020 eine Umfrage bei den Mitgliedsunternehmen über das zurückliegende Renewal durchgeführt. Dabei berichteten über 90 Prozent der Mitglieder über Prämienanstiege und fast 80 Prozent über Kapazitätsreduzierungen. Knapp 50 Prozent hätten zusätzliche Ausschlüsse akzeptiert müssen. Über 30 Prozent sei keine Deckungen mehr zur Verfügung gestellt worden. Zudem hätten sich über 60 Prozent über eine gegenüber der Vergangenheit schlechtere und/oder verspätete Kommunikation ihrer Versicherer beklagt.

BSV-Vorgehen in der Kritik

Auch das Vorgehen in der Betriebsschließungsversicherung wurde kritisiert. Es könne nicht im Interesse der Versicherungsindustrie sein, wenn einige Versicherer weiterhin hart an ihren Argumentationen und daraus folgenden Deckungsabsagen festhielten. Dies führe zu ersten Rechtsstreitigkeiten, so Mahnke. Seit kurzem würden Unternehmen zudem nicht nur in der Sachversicherung mit sogenannten „Pandemie-Ausschlüssen“ konfrontiert. Diese nähmen pauschal alle „übertragbaren Krankheiten“ oder sogar nur die Gefahr einer solchen Krankheit von der Deckung aus.

Mahnke sieht das „partnerschaftliche Miteinander aller Parteien, das Vertrauen in die betroffenen Versicherungslösungen und damit schließlich einmal mehr die Reputation der gesamten Branche“ gefährdet. Die versicherungsnehmende Wirtschaft wünscht sich für künftige Pandemie-Risiken eine privatwirtschaftlich organisierte Versicherungslösungen in Kombination mit staatlicher Hilfe – etwa wie die Absicherung von Terrorrisiken über die Extremus AG. Der GVNW hat sich eigenem Bekunden nach dazu bereits an das Bundesfinanzministerium gewendet und Gespräche mit verschiedenen anderen Verbänden geführt.

Puls: „Wir sind das Schmieröl der deutschen Wirtschaft“

Edgar Puls, der seit 2019 im Vorstand der Talanx AG den Geschäftsbereich Industrieversicherung verantwortet und Vorstandschef der HDI Global SE ist, warb in seiner „Keynote“ um Verständnis für die marktweite Sanierung: „Wer betreibt ein Geschäft, was dauerhaft unprofitabel ist? Wie würden Industrieunternehmen reagieren, wenn sie jahrelang Verlusten schreiben?“

Während des allgemeinen wirtschaftlichen Boom habe die HDI Global SE in den letzten fünf Jahren einen Verlust in dreistelliger Millionen-Höhe eingefahren. Die Industrie müsse den Versicherern eine „Chance lassen, profitabel zu sein“. Denn: „Wir sind das Schmieröl der deutschen Wirtschaft.“ Versicherer seien für die Wirtschaft unerlässlich. Daher könne die Sicherung von Profitabilität und Finanzkraft nicht einseitig betrachtet werden. Die versicherungsnehmende Wirtschaft wünsche sich eine leistungsstarke, berechenbare Versicherungswirtschaft und rufe nach „starken Player“.

Die HDI Global wolle einen Return on Equity von acht bis zehn Prozent erzielen. Dies sei in der Niedrigzinsphase mit einer Combined Ratio von 95 Prozent möglich. Dem eigenen Gewinn-Anspruch hielt Puls die Durchschnittswerte für Dax-Konzern mit 13 Prozent und dem deutschen Mittelstand von 14 Prozent entgegen.

Im Hinblick auf das Schadengeschehen sprach Puls von einer wachsenden „VUCA“-Welt. Dieses Akronym setzt aus „volatility“ („Volatilität“), „uncertainty“ („Unsicherheit“), „complexity“ („Komplexität“) und „ambiguity“ („Mehrdeutigkeit“) zusammen. Zwar nähen die Großschäden nicht der Anzahl nach zu, wohl aber der Höhe nach, und die Ausschläge im Schadengeschehen seien „sehr hoch“.

Als Ursachen nannte er die steigende Wertekonzentration, die Effekte aus der weltweiten Vernetzung und der wachsenden Spezialisierung, die Zunahme extremer Wetterphänomen und einen sich ändernden rechtlichen Rahmen. Letzterer ergibt sich aus mit neuen Haftungsrisiken, geändertem Klageverhalten und steigenden Kosten für die Rechtsdurchsetzung.

Puls sagte, dass die HDI Global ein langfristiger verlässlicher Partner der Industrie sei und bleibe und versprach, dass man nicht pauschal Branchen ausschließen, sondern gemeinsam Lösungen auch für neue Probleme suchen werde. „Wir schaffen Sicherheit und Freiraum für mutiges Unternehmertum in Deutschland“, so Puls.

Autorin: Monika Lier

Ein Kommentar

  • Schon in den letzten 4-5 Jahren zeichnete sich ab, dass das Thema Risikomanagement und Risikoanalyse immer wichtiger für Makler im Bereich der großgewerblichen und Industrie-Kunden wird. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie wichtig und wie interessant dieses Thema ist. Wir haben seiner Zeit gemeinsam mit dem betreuenden Feuer-Versicherer eine Risikomatrix für einen unserer Kunden erstellt und auf Basis dieser Daten eine Analyse der bestehenden Verträge bzw. des Versicherungsbedarfs erstellt. Nicht nur für den Makler, der seine Kunden hierdurch noch einmal besser kennen lernt, sondern auch für den Kunden selbst, der durch die Fragestellung zu diversen Themen sein Risikomanagement und auch sein Qualitätsmanagement kritisch überprüft, ist dieses ein deutlicher Gewinn. Wichtig hierfür ist natürlich, dass der Makler über das geeignete Fachpersonal verfügt, welches in der Lage ist, diese Analyse mit Know-how durchzuführen. Außerdem muss die Personaldecke Spielraum für derartige Arbeit zulassen. Wollen wir im Sinne der Assekuranz hoffen, dass viele Maklerhäuser die Zeichen der Zeit erkennen.

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