Corona und die Folgen: Versicherer zwischen Verantwortung, Haftungsangst und neuem Geschäft

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Viele Versicherer stehen angesichts der aktuellen Corona-Krise in der Kritik. Der Grund: Trotz einer Betriebsschließungsversicherung stellen die meisten Assekuranzen eine Haftung infrage. Nun wollen sie mit unbürokratischen Hilfen oder Tipps für den Umgang mit dem Virus Pluspunkte beim Kunden sammeln. Die Internetseiten sprechen eine klare Sprache, worauf jetzt der Fokus liegt. Die Branche versucht den Balanceakt zwischen Verantwortung und Haftungsangst zu meistern.
„Not macht erfinderisch“, heißt es in einem alten deutschen Sprichwort. Während viele Branchen derzeit unter der aktuellen Corona-Krise ächzen, weil sie wegen Betriebsschließungen praktisch keinen Umsatz mehr haben, nutzt manch Unternehmen die Gunst der Stunde und stellt seine Produktion kurzerhand auf medizinischen Bedarf um.
Ein Beispiel: Der schwäbische Bekleidungshersteller Trigema hat wegen der Corona-Pandemie seine Produktion teilweise auf Mund- und Nasenschutz-Masken umgestellt. Der Hintergrund: Dem Unternehmen sei wegen der Corona-Krise rund 50 Prozent des Absatzes weggebrochen. „Da war ich nicht ganz undankbar, dass ich vorher großspurig gesagt habe: Ich kann das nähen“, wird Firmenchef Wolfgang Grupp beim Redaktionsnetzwerk Deutschland zitiert. Der Preis liege bei einer Abnahme von 1.000 Stück bei sechs Euro pro Maske. Da man sie waschen und kochen könne, seien sie jedoch wiederverwertbar und auf Dauer günstiger als Wegwerfmasken.
Andere Konzerne haben sich ebenfalls den neuen Gegebenheiten angepasst: So hat der italienische Modekonzern Prada mit der Produktion von 80.000 Arztkitteln und 110.000 Masken begonnen. Und selbst der US-Automobilkonzern Chrysler macht aus der Not eine Tugend und will seine Fabriken zur Herstellung von Atemschutzmasken umbauen, kündigte der Vorstandsvorsitzende Mike Manley in einem Brief an die Mitarbeiter an.
Ziel sei es, mehr als eine Million Gesichtsmasken pro Monat zu produzieren. Nach Unternehmensangaben sollen die Schutzmasken in einem asiatischen Werk hergestellt werden. Wegen der Coronavirus-Krise hatte der italienisch-amerikanische Konzern die Fahrzeugproduktion unter anderem in Europa vorübergehend gestoppt.
Versicherer setzen auf Kundenhotlines und Infoseiten über Corona
Und die Versicherer? Der PKV-Verband kündigte am Freitag seine Unterstützung für die Gesetzespakete der Bundesregierung zur Unterstützung des Gesundheitswesens und der Pflege bei der Bewältigung der Corona-Epidemie an. „Die PKV garantiert nicht nur ihren Versicherten Schutz bei Krankheit und Pflege, sie steht auch zu ihrer gesellschaftspolitischen Mitverantwortung, die medizinische und pflegerische Versorgung in den Zeiten der Krise sicherzustellen. Die PKV beteiligt sich an den Mehrkosten der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen“, betont Verbandsdirektor Florian Reuther in einem Pressestatement.
„Die Politik hat mit der schnellen Umsetzung der Gesetzespakete in schwierigen Zeiten Handlungsfähigkeit bewiesen. In den kommenden Monaten müssen wir die vielfältigen praktischen Wirkungen dieser in großer Eile entstandenen Gesetze beobachten und im Licht der Erfahrungen aus der Praxis bei Bedarf gegebenenfalls nachbessern“, ergänzt der Verbandsvertreter.
Der italienische Versicherungskonzern Generali hat bereits Mitte März auf die sich anbahnende Krise reagiert und einen 100-Millionen-Euro-Fonds aufgelegt. 30 Mio. Euro sollen Italien vorbehalten werden, der Rest ist für andere vom Virus betroffene Länder gerichtet. „Wir wollen ein globaler Leader sein, der sowohl die gesundheitliche als auch die ökonomische Krise anpackt“, sagte Philippe Donnet. Es sollen u.a. Maßnahmen für Klein- und Mittelunternehmen sowie Familien finanziert werden.
Die Deutschlandtochter der Generali setzt dabei vor allem auf Informationen rund um den Virus – und verschenken rund 2.500 Generali-Kids-Boxen mit Stiften, Malbuch und Gummibärchen und Kunden Partner. Dabei setzt der Versicherer – ebenso wie die Allianz und die Ergo – in diesen Zeiten auf die telefonische und digitale Erreichbarkeit für die Kunden. Ergänzt wird das Angebot bei der Allianz zudem mit einem umfangreichen Infoservice rund Corona.
Coface und Atradius passen Verträge an
Andere Versicherer zeigen sich kulant und bieten ihren Kunden beispielweise einen zinslosen Beitragsaufschub bei Zahlungsengpässen. Ein Beispiel: Alle Kunden von HDI Leben, einschließlich der HDI Pensionskasse, können ab sofort ohne konkreten Nachweis beantragen, dass sie ihre Beitragszahlungen für bis zu sechs Monate bis längstens zum 31. Dezember 2020 aussetzen („Corona-Pause“).
Dies gelte sowohl für die betriebliche Altersversorgung (bAV) und die private Altersvorsorge als auch für die Biometrie, also zum Beispiel für Berufsunfähigkeitsversicherungen. Der größte Vorteil im Vergleich zur Beitragsfreistellung: Der Versicherungsschutz bleibe während der Corona-Pause lückenlos erhalten. Zudem will die HDI keine Zinsen auf die ausgesetzten Beiträge erheben.
Ähnlich reagiert auch die LV1871, die ihren Kunden für alle Tarife die Stundungsregelungen anbietet. Ohne Angabe eines Grundes sollen Stundungen formlos für bis zu zwölf Monate beantragt werden können. Dabei profitieren die Kunden – anders als bei einer Beitragsfreistellung – auch während des Stundungszeitraumes vom vollen Versicherungsschutz, heißt es weiter.
Auch die Bayerische will ihre Kunden und Vertragspartner mit Sonderleistungen und Ausnahmeregelungen entlasten – je nach Vertrag durch Beitragsfreistellung, Zahlungsaufschub, Verlegung des Versicherungsbeginns, Stundung der Beiträge oder Anpassung des Versicherungsschutzes und sogar durch eine kostenfreie Notfalldeckung in der Kompositversicherung für treue Kunden.
Die Gothaer Allgemeine bietet ihren Kfz-Unternehmerkunden eine beitragsfreie Ruheversicherung ohne amtliche Stilllegung. Diese Regelung gelte Unternehmensangaben zufolge für alle Nutzfahrzeuge wie Lieferwagen, Lkw, Sattelzugmaschinen, für alle (Klein-)Busse sowie für alle Taxen und Mietwagen. Kfz-Unternehmerkunden können die unbürokratische Soforthilfe bis zum 30. April 2020 bei der Gothaer Allgemeine in Anspruch nehmen, so der Versicherer weiter.
Die Zurich will ihre Kunden im Rahmen ihrer Reiserücktrittsversicherung vor den Corona-bedingten Folgen einer Stornierung des geplanten Urlaubs unterstützen. Brautpaare sollen im Falle einer Absage oder Verschiebung des schönsten Tages im Leben auf die Leistungen ihrer Hochzeitsversicherung zurückgreifen können.
Die Kreditversicherer Coface und Atradius haben ihre Verträge angepasst: So kündigte der französische Kreditversicherer an, einzelne vertragliche Regelungen für Kunden im Zusammenhang mit der Corona-Krise lockern zu wollen. „Wir wollen damit unsere Kunden entlasten. Wir wissen natürlich, dass die Unternehmen derzeit primär ihr operatives Geschäft zu managen haben, um ihr Unternehmen durch die Krise zu manövrieren“, erklärt Katarzyna Kompowska, Regional CEO der Coface für Nordeuropa.
Atradius will seinen Kunden und Abnehmern mehr Flexibilität im Hinblick auf die Vereinbarungen von Zahlungsmodalitäten einräumen, um auf eventuelle Zahlungsverzögerungen reagieren zu können: „Die Meldefrist für die Anzeige der Überschreitung des maximalen Verlängerungszeitraums haben wir von 30 Tagen auf nunmehr 60 Tage verlängert. Zudem können die Versicherungsnehmer verlängerte Zahlungsbedingungen mit ihren Abnehmern vereinbaren, solange sie innerhalb der zuvor genannten 60 Tagefrist bleiben“, heißt es auf Anfrage von VWheute.
Neue Absatzmöglichkeiten für neue Angebote?
Manch andere Versicherer bieten ihren Kunden bereits aktualisierte Policen an zum Schutz gegen den Corona-Virus. Während die Hanse Merkur ab sofort einen sogenannten „Corona-Bot“ anbietet, können die Krankenvollversicherten der R+V ab April in Kooperation mit der TeleClinic eine Online-Sprechstunde nutzen. Die HDI Versicherung weitet derweil ihre Leistungen für bei ihr berufshaftpflichtversicherte Ärztinnen und Ärzte entsprechend aus. Diese beinhalten nun auch unterstützende Tätigkeiten bei Corona.
Und die Vermittler? Der AfW-Bundesverband hat im Internet einen Überblick über die Fördermöglichkeiten des Bundes zusammengestellt. „Wir wollen allen Vermittlerinnen und Vermittlern eine Übersicht über mögliche Fördermöglichkeiten geben. Daher haben wir die Förderinstrumente nach Bundesland gegliedert und auch gleich die jeweilige Antragsstelle verlinkt“, so AfW-Vorstand Frank Rottenbacher.
Zudem will die Ratingagentur Franke & Bornberg den Vermittlern ab sofort die sogenannten fb-Vorsorgeretter-Profile zur Altersvorsorge (AV) und Arbeitskraftsicherung (AKS) anbieten. Damit sollen die Verbraucher vor unbedachten Kündigungen ihrer Vorsorgeverträge geschützt werden, heißt es weiter.
„Unser Vorsorgeretter unterstützt Vermittler und Versicherer digital, schlank und effektiv. Darüber hinaus sichert er den Bestand und schützt vor Provisionsstorno. In einem Online-Gespräch können Berater die verschiedenen Optionen zum Vertragserhalt schnell und unkompliziert direkt am Bildschirm aufzeigen“, kommentiert Michael Franke, Gründer und Geschäftsführer von Franke und Bornberg.
BDVM-Chef appelliert an die Versicherer
Hans-Georg Jenssen, Geschäftsführender Vorstand des Bundesverbandes Deutscher Versicherungsmakler (BDVM), nutzt die Coronakrise indes für einen eindringlichen an die Versicherer: „Sollte die Versicherungswirtschaft bei ihrer – im Wesentlichen – ablehnenden Haltung bleiben, sind zahlreiche Prozesse über mehrere Instanzen vorprogrammiert. Ob gerade diese Fälle dann auch die Frage der Erfolgsbeteiligung von Anwälten in einem milden Licht erscheinen lassen, ist dann eine weitere Frage. Genauso dürfte eine sog. Gruppenklage sicherlich nicht das Ereignis sein, welches sich die Versicherungswirtschaft wünschen sollte. Vordringlich sollte sich für die Versicherungswirtschaft nämlich eine andere Frage stellen“.
Dadurch würden sich viele Versicherte in ihrem „Vorurteil bestätigt sehen, wenn es darauf ankommt, leisten Versicherer eben doch nicht. Gegen diese Sichtweise wird die Versicherungswirtschaft auch mit den besten Argumenten ihrer Aktuare und Versicherungsjuristen kaum gegen ankommen. Von dem erfolgreichen Vertrieb derartiger Produkte nach der Corona-Krise wollen wir überhaupt nicht reden. Viel gravierender ist, dass bei den Kunden, den Bürgern allgemein der Eindruck bleibt, in letzter Konsequenz kann man sich – wie in der Finanzkrise – nur auf den Staat verlassen“.
Zudem wäre es jetzt für die Versicherungswirtschaft „insgesamt eine Chance, jetzt z.B. zu überlegen, für die Betroffenen der Betriebsschließungsversicherungen, die ja (angeblich) keinen Versicherungsschutz haben sollen, einen solchen Solidaritätsfond über z.B. 200 Mio. Euro aufzulegen. Dann könnte die Versicherungswirtschaft die Auszahlungsregeln vorgeben, z.B. dass kleine Betriebe 75 Prozent der denkbaren Ansprüche eines bestimmten Zeitraums erhalten und größere Betriebe nur 50 Prozent und die maximal Entschädigung überdies gedeckelt wäre. Zahlungen aus diesem Fonds könnten daran geknüpft sein, dass man auf eine klagweise Auseinandersetzung verzichtet. Wäre dies nicht ein sinnvoller Beitrag der Versicherungswirtschaft in der Corona-Krise?“
Autor: VW-Redaktion