Linken-Spitzenkandidat Bartsch: „Wir brauchen ein neues Wir-Gefühl im Land“

Dietmar Bartsch. Quelle: DBT/Inga Haar

Der Fraktionschef der Linken im Deutschen Bundestag gehört seit Langem zu den führenden Köpfen seiner Partei. Gemeinsam mit der hessischen Landesvorsitzenden Janine Wissler soll er seine Partei erneut ins Parlament führen. Im Sommerinterview mit VWheute spricht Dietmar Bartsch über die Lehren aus der Corona-Pandemie für Deutschland.

VWheute: Sie sind kürzlich gemeinsam mit Janine Wissler zum Spitzenkandidaten der Linken für die Bundestagswahl im September gewählt worden. Glaubt man manch Medienberichten, könnten Sie beide programmatisch nicht unterschiedlicher sein. Teilen Sie diese Ansicht?

Dietmar Bartsch: Nein. Wir sind uns in den Zielen völlig einig. Wir wollen ein Land, in dem die Menschen gut von ihrer Arbeit leben können. Ein Land, das nicht akzeptiert, wenn immer mehr Rentner in Armut rutschen, Eltern das Geld für neue Schuhe ihrer Kinder fehlt. Oder Schulen in einem miserablen Zustand sind. Wir wollen eine große Steuerreform und endlich Leistungsgerechtigkeit. Das bedeutet mehr Geld in der Geldbörse derjenigen, die hart arbeiten und oft zu wenig verdienen.

VWheute: Jüngsten Umfragen zufolge kommt die Linke auf etwa sieben Prozent. Manch politischer Beobachter spekuliert gar, die Linke könnte an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Wie wollen Sie linke Politik für die Menschen attraktiver machen?

Dietmar Bartsch: Abgerechnet wird am Wahlabend. Natürlich wäre es besser, wenn wir derzeit stärker wären. Aber jetzt werden die Ärmel hochgekrempelt und wird gemeinsam gekämpft. Wir haben ein klares Programm. Höhere Löhne und Renten, Steuergerechtigkeit. Da profitieren vom Verkäufer bis zum Facharbeiter alle spürbar. Wir gehen den Klimaschutz anders an als die Konkurrenten. Nicht über einseitige Belastungen für die Verbraucher, Pendler und Mieter. Mir ist nicht bange, ganz im Gegenteil.

VWheute: Lange Zeit hat die Linke vor allem auf Opposition gesetzt. Wann strebt die Linke eine Regierungsverantwortung an und welche Bedingungen müssten dafür erfüllt sein?

Dietmar Bartsch: Wir tragen in drei Ländern Regierungsverantwortung und regieren dort gut. Auf der Bundesebene ist die Beteiligung an einer Regierung nicht an uns gescheitert. Ich stelle keine Bedingungen, sondern wir machen den Menschen im Land ein Angebot, das Land besser und gerecht zu machen. Dafür werbe ich. Nach dem Wahltag unterhalten sich Parteien, bringen Ideen ein. Aber nicht davor.

VWheute: Kanzlerin Angela Merkel wird mit den Wahlen im September nach 16 Jahren im Amt nicht mehr kandidieren. Wie bewerten Sie die Bilanz ihrer Kanzlerschaft und welche Baustellen wird sie Ihrer Ansicht nach hinterlassen?

Dietmar Bartsch: Angela Merkel hat manch Krise bewältigt, aber hinterlässt das Land tief gespalten. Wir haben nach 16 Jahren Kanzlerschaft Merkels mehr Vermögensmillionäre auf der einen Seite und mehr Kinder in Armut auf der anderen Seite im Land. Die Infrastruktur ist vielfach miserabel, die Digitalisierung ist völlig unzureichend angepackt worden. Deutschland ist international abgerutscht und innenpolitisch gespaltener als je zuvor. Die Corona-Pandemie hinterlässt eine Schneise der Verwüstung im Land. Dass Angela Merkel die Frage, wer die Kosten der Krise zahlen soll, unbeantwortet lässt, ist verantwortungslos.

VWheute: Corona hat die deutsche Politik in den vergangenen Monaten geprägt: Wie bewerten Sie die Bilanz der bisherigen Corona-Politik und was müsste aus Ihrer Sicht anders gemacht werden? Welche langfristigen Lehren muss die Politik zudem aus der aktuellen Krise ziehen?

Dietmar Bartsch: Deutschland muss krisenfest gemacht werden. Mit einem Marshallplan für die Infrastruktur. Krankenhäuser müssen raus aus der privaten Profitlogik. Pflegepersonal muss besser bezahlt werden. Schulen müssen zu Leuchttürmen des Landes werden. Top digitalisiert und so ausgestattet, dass kein Kind zurückbleibt. Die ganze öffentliche Verwaltung braucht einen Schub, um voll im 21. Jahrhundert anzukommen. Und vor allem brauchen diejenigen im Land mehr Sicherheit, die eine Krise immer zuerst trifft: Diejenigen, die gerade so über die Runden kommen.

VWheute: Blicken wir auf die Zeit nach den Wahlen: Welche Vorhaben muss die neue Bundesregierung in den nächsten vier Jahren angehen und was kann die Linke dazu beitragen?

Dietmar Bartsch: Wir brauchen ein neues Wir-Gefühl im Land. Zusammenhalt. Da haben wir in den letzten Jahren schweren Schiffbruch erlitten. Wenn die Pandemie etwas Positives hervorgebracht hat, dann doch, dass sichtbar geworden ist, dass wir die großen Probleme nur gemeinsam lösen können. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir mit einem Programm für einen neuen Zusammenhalt in den Wahlkampf gehen. Von der bezahlbaren Wohnung, bis zur guten Rente: Wir wollen ein Land, in dem alle zufrieden, auskömmlich und sicher leben können.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.

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