Compliance bei deutschen Versicherern: „Vielen Verantwortungsträgern ist nicht ganz klar, was Integrität eigentlich bringt“

Quelle: Mohamed Hassan auf Pixabay

In den vergangenen Jahren ist die Bedeutung von Compliance zunehmend in den Fokus der Versicherungsunternehmen gerückt. Die vielschichtigen Themen und immer restriktiveren Anforderungen rund um Regelkonformität sind eine große Herausforderung. Umso wichtiger ist es, sich der gestiegenen Bedeutung von Integrität und wertegeleitetem Handeln zu widmen. Ein Gastbeitrag von Katja Nagel.

Nach wie vor sind viele Unternehmen aus der Versicherungsbranche ratlos. Nicht, weil sie in unzureichendem Maße über die gängigen Compliance-Maßnahmen verfügen. Diese sind auf breiter Ebene – auch und vor allem im Zuge der Versicherungsaufsichtlichen Anforderungen an die IT (VAIT) und dem jüngst auf den Weg gebrachten Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) – angekommen. Ratlosigkeit herrscht eher in Bezug auf das Thema „Integrität“. Noch immer ist vielen Verantwortungsträgern nicht ganz klar, was Integrität eigentlich bringt, wie es als vorbeugende Maßnahme verstanden und nachhaltig in die Geschäftsprozesse integriert werden kann.

Während über die Notwendigkeit eines effektiven Compliance-Management-Systems für die Sicherung des Unternehmenserfolgs also allgemein Einigkeit besteht, rückt die Bedeutung von Integrität als Erfolgsfaktor erst nach und nach in den Blick. Das mag zum Teil daran liegen, dass Integrität ein zugegebenermaßen abstrakter, erklärungsbedürftiger und Mitarbeitern daher schwer zu vermittelnder Begriff ist. Wahrscheinlich auch daran, dass soziale Konstrukte wie „Werte“, „Kultur“ oder eben auch Integrität im traditionellen zahlengetriebenen Managementverständnis noch immer bestenfalls als „weiche“ – und irgendwie auch obskure – Faktoren gelten. Jedoch gibt es gute Gründe, sagen zu können: Integrität zahlt sich aus.

Nicht nur legal, sondern auch legitim

Compliance und ihr Management in Unternehmen heißt ja nicht mehr als die geschriebenen Regeln und Gesetze zu befolgen. Integrität dagegen bedeutet, sich aus eigener Überzeugung im Einklang mit dem eigenen Wertesystem an gesellschaftliche Werte und Normen zu halten, geschriebene wie ungeschriebene, im Sinne eines ethischen Rahmens. Es geht also darum, dass Compliance dafür sorgen soll, dass Gesetze eingehalten werden. Während Integrität im Unternehmen dafür sorgt, dass auch in Graubereichen und bei Unsicherheit das Verhalten der Organisation nicht nur legal, sondern auch legitim ist. Insofern bündeln Versicherungsunternehmen mit Compliance und Integrität legales und ethisches Verhalten.

Damit ein solcher Prozess gelingt, müssen die Menschen im Unternehmen verstehen, worum es beim Thema Integrität überhaupt geht. Denn bereits ein einziger (unrechtmäßiger) Vorfall kann weitreichende Folgen hinsichtlich der Reputation von Versicherern haben. Er kann hohe Straf- und Schadensersatzzahlungen bedeuten, individuelle Strafverfolgung oder hohe Umsatzverluste. Gleichzeitig könnten Anspruchsgruppen das Vertrauen verlieren und den Rückzug antreten. Eine starke Integritätskultur kann Fehlverhalten vorbeugen und sich als eine Art „Sicherheitsgurt” erweisen. Im Übrigen umso wichtiger vor dem Hintergrund des Verbandssanktionengesetzes, das sich gerade im Gesetzgebungsverfahren befindet. Künftig drohen Unternehmen, aus denen heraus Straftaten begangen werden, drastische Bußgeldzahlungen.

Integrität schafft Vertrauen – intern wie extern

Darüber hinaus wirkt sich gelebte Integrität nachhaltig auf den Unternehmens- und Markenwert von Versicherungsunternehmen aus. Die Einhaltung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekten (ESG) wird immer wichtiger, weshalb es sich für Versicherer lohnt, in Integritätsmaßnahmen zu investieren. Sie schaffen Vertrauen und Vertrauen bildet den Nährboden jedes Geschäfts. Auch die Unternehmensattraktivität wird positiv beeinflusst. Nicht nur hinsichtlich der Kunden und potenzieller neuer Mitarbeiter, sondern Integrität erhöht die Zuverlässigkeit und Effizienz in der Zusammenarbeit und steigert auf diese Weise auch die Mitarbeiterzufriedenheit.

Es ist also unbedingt ratsam, dass Versicherungsunternehmen ihre Mitarbeiter in ihrer Integrität bestärken. Zum einen, indem sie immer wieder deutlich machen, dass integres Verhalten erwünscht ist und belohnt wird. Dass man wenigstens seine Bedenken äußern solle, wenn man bei einer Entscheidung oder einem Vorhaben ein schlechtes Gefühl hat, auch unabhängig von geltenden Regelwerken. Zum anderen, indem sie die Mitarbeiter auch dazu befähigen, integer handeln zu können. Sie dazu anleiten und ihnen den Raum dafür geben – und insbesondere die Führungskräfte in die Verantwortung nehmen, Integrität vorzuleben und integres Verhalten ihrer Mitarbeiter zu fördern. Dabei geht es nicht um eine Moralisierung, sondern um eine Professionalisierung.

Autorin: Katja Nagel ist Leiterin des Global Organizational Integrity Institutes (GOII) in München.

Ein Kommentar

  • Zu tun, was jemand anderes einem als „richtig“ oder „legitim“ vorgibt, obwohl man andere persönliche Vorstellungen hat, ist das exakte Gegenteil von Integrität.

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