„Pandemie hat einige langfristige Trends beschleunigt, die bereits seit Jahren bestehen“

Yoram Lustig. Quelle: Head of Multi-Asset Solutions, EMEA bei T. Rowe Price. Quelle: T. Rowe Price

Die Folgen der Pandemie haben sich 2020 auch massiv auf die Aktienmärkte ausgewirkt. „Die Märkte sind ruhig in das Jahr gestartet, traten dann in den rasantesten Bärenmarkt aller Zeiten ein“, konstatiert Yoram Lustig, Head of Multi-Asset Solutions, EMEA bei T. Rowe Price. Im Gespräch mit VWheute skizziert er, wie eine ausgewogene Portfolio-Aufstellung in Corona-Zeiten aussehen könnte.

VWheute: Die Corona-Pandemie: Was waren die Folgen für die Aktien- und Rentenmärkte und wie lange halten sie an?

Yoram Lustig: Aktienmärkte können eine Achterbahnfahrt sein – kein Jahr passt besser zu dieser Beschreibung als 2020. Die Märkte sind ruhig in das Jahr gestartet, traten dann in den rasantesten Bärenmarkt aller Zeiten ein und stürzten um mehr als 30 Prozent ab, nur um dann die schnellste Erholung der Geschichte zu erleben und wieder nach oben zu klettern. Dort wurden Rekordhöhen erreicht.

Wir erwarten keinen großen Marktschock. Dennoch ist es sinnvoll, wenn sich Anleger auf Rückschläge gut vorbereiten. Die Bewertungen einiger Anlageklassen, nicht nur die der Aktienmärkte, sind in der Tat überhöht. Die Renditen vieler Staatsanleihen rangieren um Rekordtiefs und auch Unternehmens- und Schwellenländeranleihen scheinen einen geringen Spread aufzuweisen. Bewertungen allein sollten aber kein Grund für sofortigen Alarm sein. Historisch gesehen werden sie erst mittelfristig von Bedeutung. Denn Vermögenswerte mit hohen Bewertungen können immer noch höher steigen und teurer werden. Doch hohe Bewertungen dürften viele Anleger in ihren Anlageentscheidungen verunsichern.

VWheute: Eine der Folgen der Pandemie war die Fokussierung auf Medizin- und Forschungsunternehmen. Wird sich dieser Trend fortsetzen?

Yoram Lustig: Die Pandemie hat einige langfristige Trends beschleunigt, die bereits seit Jahren bestehen. Ein solcher Trend ist der steigende Bedarf an Medizin- und Gesundheitsdienstleistungen. Es wurden Milliarden in die Entwicklung der Impfstoffe und der dahinterstehenden Technologie investiert. Einige dieser Entwicklungen können auch in anderen Bereichen eingesetzt werden, sodass weitere Medizin- und Forschungsprojekte davon profitieren würden.

Dennoch denke ich, dass ein breiter Portfoliomanagement-Ansatz der beste Weg ist, um quer durch verschiedene Anlageklassen, Regionen und Sektoren die attraktivsten Anlagemöglichkeiten zu identifizieren. Clevere Portfoliomanager werden dabei auch Chancen in Medizin- und Forschungsunternehmen ausfindig machen. Nach der Pandemie werden sich vermutlich noch mehr solcher Gelegenheiten auftun.

VWheute: Wird es nach der Pandemie einen Wirtschaftsboom geben, weil die Menschen in die Geschäfte und Konzerte strömen? Welche Branchen werden Ihrer Meinung nach davon profitieren?

Yoram Lustig: Wenn die Wirtschaft in den kommenden Monaten wieder hochfährt, wird sich bei Verbrauchern wahrscheinlich der mittlerweile massiv angestaute Nachholbedarf auflösen. Der Konsum würde abrupt ansteigen, was nach Jahren der gedämpften Inflation zu Preisdruck führen könnte. Die überschüssigen Ersparnisse, die Verbraucher im vergangenen Jahr angesammelt haben sowie staatliche Konjunkturpakete könnten ebenfalls dazu führen, dass die Nachfrage das vorhandene Angebot übersteigt.

Angesichts der wirtschaftlichen Erholung und der erfolgreichen Impfstoffeinführung können risikobehaftete Anlagen weiterhin gut abschneiden. Auf der anderen Seite können die Märkte aufgrund enttäuschender Nachrichten, wie z. B. neue Virusmutationen oder steigende Inflation, fallen.

Um eine vorsichtige Portfoliostrategie zu fahren und gleichzeitig von der wirtschaftlichen Erholung zu profitieren, empfiehlt sich eine insgesamt neutrale Position in Aktien bei einer Übergewichtung zyklischer Vermögenswerte (wie z. B. Value- und Small-Cap-Aktien, Aktien und Anleihen aus Schwellenländern sowie Hochzinsanleihen). Einige dieser Vermögenswerte sind weiterhin relativ attraktiv bewertet. So sind beispielsweise Schwellenländerwährungen günstig, sodass Anlagen in solchen Währungen mit der Zeit profitieren könnten.

VWheute: Die niedrigen Zinsen werden vermutlich länger anhalten als das Römische Reich. Sind Aktien der einzige Ausweg?

Yoram Lustig: Tatsächlich sind die Renditen von hochwertigen Staatsanleihen in Europa momentan sehr niedrig oder sogar negativ. Das bedeutet nicht nur, dass es schwierig ist, Staatsanleihen als Einkommensquelle zu nutzen. Es heißt auch, dass europäische Staatsanleihen nicht mehr das verlässliche Gegengewicht sind, das sie früher gegen Aktienmarktrückgänge waren.

Eine Lösung kann sein, sich bei festverzinslichen Wertpapieren global aufzustellen und gleichzeitig das Währungs-Exposure im Ausland wieder gegenüber dem Euro abzusichern. Strategien, die sich am Bloomberg Barclays Global Aggregate Index orientieren, bieten beispielsweise Zugang zu hochwertigen Staats- und Unternehmensanleihen. Erfahrene aktive Manager können so eine Rendite von etwa 1,3 Prozent erzielen – was deutlich besser ist als minus 0,50 Prozent. Die Absicherung des Währungs-Engagements reduziert die Volatilität und verhindert zudem, dass Währungen und nicht Staatsanleihen Haupttreiber der Performance sind.

VWheute: Allgemeiner gefragt: Wo sehen Sie Investitionsmöglichkeiten im Jahr 2021?

Yoram Lustig: Grundsätzlich ist eine ausgewogene Portfolio-Aufstellung für Anleger in diesem Jahr entscheidend. Im Lichte unsicherer zukünftiger Entwicklungen sollten sie sich so aufstellen, dass sie sowohl vom Aufwärtstrends profitieren als auch Abwärtsbewegungen abfedern können.

Vor dem Hintergrund der Wirtschaftserholung empfiehlt sich eine Mischung aus konservativen und ertragsorientierten Anlagen. Insbesondere prozyklische Vermögenswerte sollten im Portfolio berücksichtigt werden.

Aufgrund politischer Unsicherheiten wie durch die neue US-Präsidentschaft oder der „Japanisierung“ Europas, womit Nullzins mit niedrigem Wirtschaftswachstum und Teuerungsraten am Rande einer Deflation gemeint ist, könnten sich Anleger einerseits auf robuste Inlandsmärkte fokussieren, um weniger von globalen Risiken beeinträchtigt zu sein, oder auch global diversifiziert nach Chancen in Aktien- und Anleihemärkten suchen. Alternativ sind auch China und aufstrebende asiatische Länder einen Blick wert, da sie sich bereits von der Corona-Pandemie erholen.  

Angesichts der Niedrigzinspolitik sind risikoreiche Anlageklassen attraktiv, da sie weiterhin Unterstützung von den Zentralbanken erhalten werden. Darüber hinaus sind auch Hochzinsanleihen oder Schwellenländeranleihen interessant.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

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