Und noch einmal: Bundesfinanzhof erhöht Prüfmaßstäbe für Fünftel-Regelung
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Quelle: Bild von Gerd Altmann auf Pixabay.

Das Thema, ob Steuerzahlen bei Kapitalzahlungen aus versicherungsförmigen Durchführungswegen die Tarifermäßgigung nach § 34 Abs. 2 EStG, also die sogenannte Fünftel-Regelung nutzen dürfen, ist endgültig beim Bundesfinanzhof angekommen. In einer neuerlichen Entscheidung (Urteil vom 6. Mai 2020, X R 7/19) legt der Bundesfinanzhof die Hürden weiterhin sehr hoch.

Der Fall: Der frühere Arbeitgeber der Klägerin hatte 2002 eine fondsgebundene Rentenversicherung bei einer Pensionskasse abgeschlossen. Die Beiträge wurden durch eine Bruttoentgeltumwandlung finanziert und die Beiträge wurden gemäß § 3 Nr. 63 EStG steuerfrei gestellt. Als frühestmöglicher Auszahlungstermin der Altersrente war der 1. September 2016 vereinbart.

Dann erkrankte die Klägerin: Mit Wirkung ab Oktober 2013 wurde ein Grad der Behinderung der Klägerin von 90 mit den Merkzeichen B und G festgestellt. Seit Februar 2014 war sie dauerhaft erkrankt, ohne Aussicht auf Besserung ihres Gesundheitszustandes. Im Hinblick auf den Beginn einer (vorgezogenen) Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 1. September 2014 kündigte sie ihr Arbeitsverhältnis zum 31. August .2014.

Mit dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis wurde die Versicherungsnehmereigenschaft auf die Klägerin übertragen und sie kündigte die Versicherung zum 1. Januar 2015. Die Pensionskasse leistete eine Einmalzahlung in Höhe von rund 38.000 Euro.

Das Finanzamt besteuerte die Einmalzahlung als sonstige Einkünfte in vollem Umfang gemäß § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG. Die Klägerin hatte hingegen die Steuerermäßigung nach der sogenannten Fünftel-Regelung gemäß § 34  Abs. 1 EStG beantragt. Der Streit musste nun vom Bundesfinanzhof entschieden werden.

Das Urteil: Die Leitsätze lauten:

1. Die (Einmal-)Zahlung des Rückkaufswertes infolge Kündigung einer Pensionskassenversicherung stellt keine Entschädigung für entgehende Einnahmen (§ 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG) dar.

2. Soweit für diese Einkünfte eine Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG in Betracht kommt, sind persönliche Umstände des Steuerpflichtigen außer Betracht zu lassen.

Rückkaufswert keine Entschädigung für entgehende Einnahmen

Die aufgrund der Kündigung der Klägerin erfolgte Zahlung des Rückkaufswertes stellt keine Entschädigung für entgehende Einnahmen i.S. von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG dar, so dass die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG nicht erfüllt sind. Denn der geleistete Rückkaufswert dient nicht unmittelbar dem Ausgleich des Wegfalls zukünftiger Rentenzahlungen, sondern ist – nach traditioneller Vorstellung – der gegenwärtige „Kaufpreis“ für den Rückkauf der Rechte aus der Versicherung durch die Versicherungsgesellschaft. Zudem beruht er nicht auf einer neu geschaffenen Rechtsgrundlage, sondern ist lediglich die bei Kündigung vertraglich/versicherungsrechtlich vorgesehene Rechtsfolge.

Rückkaufswert ist Vergütung aus mehrjähriger Tätigkeit

Der Bundesfinanzhof prüfte, ob die Auszahlung des Rückkaufswertes als „Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten“ i.S.d. § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG anzusehen ist.

Im Ergebnis sieht es der X. Senat auch bei Auszahlungen des Rückkaufswertes aufgrund Kündigung oder sonstiger vorzeitiger Vertragsbeendigung als zutreffend an, dass es sich um eine Vergütung handelt. Denn der Einmalzahlung des Rückkaufswertes beruht auf der früheren Leistung von Beiträgen, zumal auch bei der Ermittlung des Rückkaufswertes die Höhe der zwischenzeitlich eingezahlten Prämien eine maßgebliche Größe bildet.

Die Mehrjährigkeit ist ebenfalls gegeben, da die Klägerin die Beiträge über mindestens zwei Veranlagungszeiträume und mehr als zwölf Monate geleistet hatte.

Offen: Handelt es sich um außerordentliche Einkünfte?

Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes erfordert jedoch – nach Auffassung der obersten Richter – sowohl nach dem Wortlaut des § 34 Abs. 1 EStG als auch nach dem Einleitungssatz des § 34 Abs. 2 EStG zusätzlich die „Außerordentlichkeit“ dieser Einkünfte; dies dient der Einschränkung des eher weit geratenen Wortlauts des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG.

Dabei geht es dem Bundesfinanzhof um das Kriterium der „Atypik“. Dabei setzen die Richter folgende Maßstäbe auch für Rückkaufswerte an:

  • Empirische nachgewiesene Atypik: In den Fällen, in denen es um die Begünstigung einer Einmalzahlung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG gehe, setze dies voraus, dass eine solche Einmalzahlung, z.B. in schon entschiedenen Fällen die Kapitalisierung laufender Ansprüche auf Altersbezüge für den betreffenden Lebens-, Wirtschafts- und Regelungsbereich atypisch sei.
  • Vertragsgemäße, d.h. typische Einmalzahlung: Ob darüber hinaus in dem konkreten Vertrag die Möglichkeit einer Kapitalabfindung bereits von Anfang an vorgesehen gewesen sei oder nicht, stelle sich danach als ein Indiz dar, das allenfalls gewisse Rückschlüsse darauf zulassen möge, ob eine Kapitalabfindung im betreffenden Lebens- oder Wirtschaftsbereich typisch oder atypisch sei, aber nicht von alleinentscheidender Bedeutung sei.

Finanzgericht muss nun empirisch die Atypik prüfen

Es ist zu prüfen, ob die Auszahlung des Rückkaufswertes infolge Kündigung bzw. einer sonstigen Vertragsbeendigung mit Wirkung im betroffenen Lebens-, Wirtschafts- und Regelungsbereich als atypisch anzusehen ist. Dabei ist die Frage der Atypik im Rahmen der vorliegend betroffenen zweiten Schicht des Drei-Schichten-Modells auf der Grundlage empirisch-statistischer Daten wertend zu beantworten.

Das Finanzgericht, an den der Streitfall zurückverwiesen wurde, muss dies nun auswerten. Dabei sind nach Auffassung des X. Senats im Rahmen des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG sämtliche Fälle der Kündigung oder vorzeitigen Vertragsbeendigung mit der Kapitalabfindung bei Rentenbeginn gleichzustellen. Das Finanzgericht muss nun bestimmen und werten, bei welchem Anteil von durch Einmalzahlungen (Kapitalabfindung und Auszahlung des Rückkaufswertes) beendeten Verträgen an der Gesamtheit aller Versicherungen im hier betroffenen Bereich der betrieblichen Altersversorgung (Direktversicherung, Pensionskasse, Pensionsfonds) von einer atypischen Situation gesprochen werden kann. Die notwendigen Zahlen soll sich das Finanzgericht erforderlichenfalls durch Anfragen bei Organisationen, die über entsprechendes statistisches Material verfügen dürften, wie z.B. Verbraucherschutzorganisationen sowie Verbände der Anbieter (Versorgungseinrichtungen), besorgen.

Die persönliche, subjektive Situation der Klägerin bleibt außen vor. Denn da der objektive empirische Ansatz zur Prüfung der Atypik stellt auf die Fallzahlen ab und nicht auf die persönlichen Lebensumstände, die zu einer Einmalzahlung Anlass gegeben haben.

Hinweis: Die tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts ermöglichten den Richtern des Bundesfinanzhofes keine abschließende Beurteilung, ob die Auszahlung des Rückkaufswertes in Höhe von 37.805 Euro an die Klägerin eine Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG) darstellt. Der Rechtsstreit wurde daher an das Finanzgericht zurückverwiesen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen zum empirischen Nachweis der Atypik vornimmt. Der Bundesfinanzhof bestätigt damit die Linie, die er schon in seinem Urteil vom 6. Mai 2020, X R 24/19 vorgezeichnet hat. Es bleibt abzuwarten, ob den Klägern bzw. den Finanzgerichten ein empirischer Nachweis der Atypik von Einmalzahlungen gelingt, zumal der Bundesfinanzhof durch die Gleichstellung von (eher selteneren) Rückkaufswertzahlungen mit Abfindungen bei Rentenbeginn die Hürde für den Nachweis des Ausnahmecharakters („Atypik“) von Einmalzahlungen deutlich erhöht hat.

Autor: VW-Redaktion

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