Hausrat-Experte Lemberg: „Begeisterung über Allgefahrendeckung etwas zurückfahren“

Fanke und Bornberg hat die Angebote in der Hausratversicherung getestet. Bild von Ferenc Keresi auf Pixabay

Die Hausratversicherung ist mehr als ein Schutz des beweglichen Gutes. Dank Smart-Home ist wohl kein anderes Produkt so am Puls der Zeit. Welche Auswirkungen die neue Technik hat, warum eine Allgefahrendeckung keine Lösung sein muss und warum Makler sich stetig über (HR-) Neuerungen informieren müssen, darüber hat VWheute mit dem Experten und Buchautor Jörg E. G. Lemberg gesprochen. Gemeinsam mit Andreas Luksch hat er  aktuelle ein neue Auflage seines Buches „Hausratversicherung“ vorgelegt.

VWheute: Sie haben ein vielgelobtes Buch über Hausratversicherung (HR) geschrieben, jetzt die zweite Auflage. Warum war das so schnell nötig, die Sparte ist doch eher innovationsarm – oder?

Jörg Lemberg: In der Tat wäre einiges aus der Erstauflage von 2015 noch heute gültig und damit längst nicht überholt, wenn sich nicht der Aufbau der Proximus-Versicherungsbedingungen so grundlegend geändert hätte. Zahlreiche Definitionen entsprechen dem Grunde nach noch denen von heute. Da sich unser Werk aber insbesondere an diejenigen richtet, die sich damit auf aktuelle Prüfungen vorbereiten wollen, muss es vor allem an den jeweils gültigen Bedingungswerken ausgerichtet sein. Im Jahr 2019 waren letztmals die Proximus 3 Bedingungen prüfungsrelevant, so dass damit auch für unsere Erstauflage die Einsatzmöglichkeit endete.

Im Übrigen ist die Sparte keineswegs innovationsarm. Über die sogenannten „Top-“, „Komfort-“ oder „Premium“-Deckungen bieten die Versicherer inzwischen einen großen Katalog von Erweiterungen an, die über den GDV-Standard – und damit auch über Proximus – weit hinausgehen. Wir werden zahlreiche dieser Erweiterungen in einem separaten Dokument zusammenfassen. Das dürfte vor allem für Makler von Interesse sein. Über die Verlagshomepage kann man sich die Liste dann kostenlos downloaden.

VWheute: Sie haben die Proximus 4-Bedingungen angesprochen. Was ist das und warum nutzen Sie diese?

Letztlich geht es nur um die Frage, was man für eine einheitliche Prüfung als Grundlage nehmen will. Zwar liefern BGB und VVG auch zahlreiche gesetzliche Grundlagen für die Hausratversicherung, die man in der Aus- und Weiterbildung vermitteln muss, aber die jeweiligen Produkte bekommen ihr individuelles Design eben doch erst durch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der jeweiligen Gesellschaft. Diese Versicherungsbedingungen – in der Hausratversicherung „VHB“ genannt – weichen jedoch ganz erheblich voneinander ab. Aber wie will man nun die vielfältige Produktlandschaft in einheitlichen Prüfungen abfragen? Beim Versicherer XY wäre der Schaden nicht versichert, beim Versicherer YZ aufgrund seines innovativen Hausratproduktes schon… Da bietet es sich an, auf einen Branchenstandard zurückzugreifen, der sich letztlich aus den fakultativen Bedingungswerken des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. GDV ableitet. Dieser sogenannte „GDV-Standard“ ist auch die Grundlage der Versicherungsbedingungen der Proximus Versicherung AG, die kein real existierendes Versicherungsunternehmen ist, sondern speziell für die Aus- und Weiterbildung als brancheneinheitlicher Standard geschaffen wurde. Das geniale an den Proximus-Bedingungen ist, dass man dort auch gleich noch Tarifdaten mit eingebaut hat, so dass man am Ende z. B. auch die Berechnung von Prämien damit üben kann.

Wer den GDV-Standard noch mal vertiefen will, kann das also durchaus mit unserem Buch tun.

VWheute: Sie beschäftigen sich in ihrem Buch auch mit alltäglichen Rechtsfällen. Welche Lehren ziehen sie aus diesen, was kann daraus für die Praxis gelernt werden?

Jörg Lemberg: Wir gehen nach der induktiven Methode vor, das heißt, dass wir über den Schadensfall einsteigen und dann Schritt für Schritt die Theorie erschließen. Das ist in aller Regel der interessantere Weg.

Um bei den Musterlösungen besser folgen zu können, geben wir den Lesern zum einen vor jedem größeren Schadensfall eine kleine Einführung zum Thema und haben zum anderen eben diese zahlreichen alltäglichen Beispiele und Rechtsfälle. Beides zusammen macht die Thematik einfach anschaulicher.

Die Quintessenz höchstrichterlicher Urteile haben wir in eigene Schadensschilderungen gepackt, da den Urteilen häufig zu komplexe Sachverhalte zugrunde liegen und manchmal auch zusätzliche juristische Probleme mit enthalten sind. Umfangreiche Ausführungen zur Zulässigkeit der Klage oder zur Klagebefugnis eines Einzelnen lassen wir weg. Unser Buch konzentriert sich auf das materielle Recht, also regelmäßig auf die Frage, ob der geschilderte Schadensfall unter den Versicherungsschutz fällt und mit welcher Entschädigungsleistung der Versicherungsnehmer dann am Ende rechnen darf.

VWheute: Wieviel Praxisbezug braucht ein Lehrbuch, wie viel hat ihres?

Jörg Lemberg: Oh, wir glauben, dass unser Buch sehr viel Praxisbezug hat, denn einige der Schäden – so unglaublich sie bisweilen auch klingen mögen – sind tatsächlich so passiert. Aus einem Schadenssachbearbeiter sprudeln die Schadensfälle förmlich nur so heraus. Außerdem sind auch ein bis zwei Fälle dabei, die wirklich in unserem näheren Umfeld passiert sind. In dem Fall „falsch geerdet“ wird das vermutlich unvergessene Erlebnis einer Bekannten von uns dargestellt, die tatsächlich beim Betätigen des Wasserhahns einen unverminderten Stromschlag erhielt und Gott sei Dank damals unbeschadet überlebte. Sie lag aber zunächst eine längere Zeit bewusstlos am Boden und wurde erst durch das übergelaufene Wasser wieder wach. Da war an Schadenminderungspflichten nicht mehr zu denken.

Aber Ihre Frage war ja auch, wieviel Praxisbezug ein Lehrbuch braucht? Wir sind der Meinung, dass es zumindest bei unseren Themen gar nicht genug Praxis sein kann. Erst dadurch wird das „unsichtbare“ Produkt Hausratversicherung transparent und greifbar und man kann sich alles viel besser merken. Der Lerneffekt ist unseres Erachtens viel höher. Das ein oder andere Schadensbeispiel bleibt ja vielleicht auch noch länger im Gedächtnis hängen und kann dann im Verkaufsgespräch zur Veranschaulichung eingesetzt werden.

VWheute: Welche Innovationen gab es in den letzten Jahren, welche werden oder sollten kommen?

Jörg Lemberg: Es sind so viele Innovationen, dass wir sie hier gar nicht alle aufzählen können. Eine große Verbesserung hat die Branche seinerzeit sicherlich mit dem Einschluss der groben Fahrlässigkeit erreicht. Nachdem mit der VVG-Reform 2008 das Alles-oder-Nichts-Prinzip abgeschafft wurde und bei grob fahrlässig herbeigeführten Schadensfällen bzw. grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzungen der Versicherungsnehmer nun zumindest noch mit einer Quote rechnen kann, sind zahlreiche Versicherer inzwischen noch einen Schritt weiter gegangen: Sie gewähren auch bei grob fahrlässigem Verhalten noch den vollen Leistungsanspruch. Gerade in der Hausratversicherung dürfte schnell mal grobe Fahrlässigkeit mit im Spiel sein. Das ist ja auch immer wieder Thema in unseren Fällen und Beispielen.

Die Fülle der möglichen Erweiterungen sind insbesondere für Makler höchst interessant, da sie am Ende Einfluss auf deren Beratungspflichten haben.

VWheute: Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der Hausratsversicherung, Stichwort Smart Home?

Jörg Lemberg: Wir haben einen Bekannten, bei dem ist man völlig überrascht, wenn er plötzlich per WhatsApp Urlaubsgrüße aus Thailand oder wie zuletzt aus Portugal schickt. Warum? Weil sein Haus in der Zeit so bewohnt aussieht wie immer und das, obwohl die Alarmanlage in der Zeit natürlich rund um die Uhr scharf geschaltet ist. Der Dämmerung angepasst geht dann hier und da immer mehr Licht im Haus an und man hört bisweilen sogar Musik aus irgendwelchen Zimmern schallen. Später gehen dann noch automatisch die Rollläden runter und wenn eine Katze durch den Garten läuft, geht – wie sonst auch – die volle Außenbeleuchtung an. Liegt unser Bekannter ein paar 1000 Kilometer weit weg irgendwo am Pool, schaut er auch schon mal über sein Handy ins Haus rein, um sicher zu sein, dass alles o.k. ist.

Nun, man wird zugeben müssen, dass dies das Einbruchrisiko erheblich senken kann, zumal es natürlich auch an den konventionellen Einbruchsicherungen bei ihm nicht fehlt. Die andere Frage ist aber, inwieweit nicht auch mal die Technik einen Aussetzer haben kann. Die Technik hat natürlich auch ihre gefährlichen Seiten, insbesondere dann, wenn das Smartphone oder sonst ein Bestandteil des Smart-Home-Systems eine Internetverbindung hat. Dann haben Sie immer ein Einfallstor, über das Hacker das System aushebeln können. Und dann geht es mit den Problemen ja gleich weiter: Wenn Sie ein solches „Jamming“ dann als möglichen Versicherungsfall mal durchprüfen, stellen Sie fest, dass keines der Einbruchsmerkmale in den VHB erfüllt ist.

Ein Einbruchdiebstahl könnte aber vorliegen, wenn dem Versicherungsnehmer die Codedaten „gestohlen“ wurden und die Diebe diese auf eine eigene BlankoCodeCard gezogen haben. Dann hätten wir einen Versicherungsfall. Darüber lässt sich allerdings derzeit auch noch streiten.

Die Digitalisierung wird also so oder so bei der Hausratversicherung eine immer größere Rolle spielen.

VWheute: Glauben Sie, dass eine All-Gefahren-Deckung im Bereich Sachversicherung kommen wird, viele in der Branche fordern das.

Jörg Lemberg: Professor Römer soll einmal gesagt haben, dass der Versicherungsnehmer jeden Versicherungsschutz haben kann, den er gerne möchte, solange er auch bereit ist, die passende Prämie dafür zu zahlen. Es dürfte am Ende also auch eine Frage des Preis-Leistungsverhältnisses sein. Die All-Gefahren-Deckung gibt es an sich schon. Einige Anbieter bieten zur Grunddeckung und zu den Elementargefahren einen Baustein „unbenannte Gefahren“ mit an. Damit ist dann auf den ersten Blick eigentlich alles mit eingeschlossen, was außerhalb dessen, was in der Police steht, noch so als Schaden eintreten kann. Allerdings wird bei den „unbenannten Gefahren“ die Entschädigungsleistung summenmäßig stark begrenzt und es werden hohe Selbstbehalte vereinbart. Da reden wir z. B. über 10.000 EUR Entschädigungsgrenze bei zusätzlich 10 Prozent Selbstbehalt, wobei z. B. mindestens 300 EUR selbst zu tragen sind. Trotz dieser deutlichen Beschränkungen entsteht dann noch ein Prämien-Mehraufwand von ca. zwei Dritteln der Grundprämie, der dann noch auf die normale Prämie obendrauf kommt. Also das sind nur ganz grobe Orientierungswerte. Das kann auch mal deutlich günstiger oder auch noch ungünstiger sein.

Im Übrigen sollte man die Begeisterung über einen so umfangreichen Versicherungsschutz etwas zurückfahren und diese Erweiterung zunächst einmal ganz nüchtern betrachten. Als Beispiel für eine „unbenannte Gefahr“ wird gerne der Fall aufgeführt, dass man beim Staubsaugen aus Versehen den eigenen Fernseher umgeworfen hat. Na ja, es stellt sich da aber die Frage, wie viele solcher Schadensfälle ein Versicherer seinem Versicherungsnehmer pro Jahr erstatten möchte. Möglicherweise trennt man sich dann lieber ganz schnell von so einem Vertragspartner. Und bin ich selbst bereit, für meine „unbenannten Gefahren“ eine hohe Prämie zu zahlen, nur weil andere Versicherungsnehmer diese überdurchschnittlich oft in Anspruch nehmen?

VWheute: Also kein Fan.

Jörg Lemberg: Bitte uns hier nicht falsch verstehen – wir finden die „unbenannten Gefahren“ durchaus interessant und innovativ und können uns auch vorstellen, dass sie hier und da angeboten werden müssen. Was die Haftung des Vermittlers angeht, muss man aber an folgendes denken: Über die Verweisung des § 59 Abs. 1 Satz 2 VVG greift für die Versicherungsvermittler auch § 1a VVG. Danach haben die Vermittler „im bestmöglichen Interesse des Versicherungsnehmers“ zu handeln, was ganz oft dahingehend falsch verstanden wird, man müsse nun auch immer alles vermitteln, was möglich ist und am Markt geboten wird. Dem ist aber keineswegs so! Es liegt auch im „bestmöglichen Interesse“ des Versicherungsnehmers, wenn die Vermittler das Preis-Leistungsverhältnis mit im Auge behalten und dann auch mal von so einem Abschluss abraten.

Das Buch der Herren Jörg Lemberg und Andreas Luksch können Sie im Verlag Versicherungswirtschaft bestellen.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

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