Schiffskollision kostet Versicherer bis zu 300 Millionen US-Dollar

Havarierter Tanker Stena Immaculate vor der Küste von Yorkshire in der Nordsee vor Anker. Bildquelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Dan Kitwood

Am Montag kam es in der Nordsee vor der Ostküste Englands zu einer folgenschweren Schiffskollision: Die unter portugiesischer Flagge fahrende Solong stieß mit dem Tanker Stena Immaculate zusammen, der Jet-A1-Treibstoff für das US-Militär transportierte. Beide Schiffe wurden bei dem Zusammenstoß schwer beschädigt, an Bord der Stena Immaculate kam es infolge des Lecks im Ladetank zu einem Brand mit mehreren Explosionen. Nach Angaben von Morningstar DBRS ist davon auszugehen, dass der Vorfall aufgrund seiner Art und der beteiligten Parteien mehrere Versicherungspolicen in Anspruch nehmen wird.

Nach Angaben des Betreibers lag die Stena Immaculate zum Zeitpunkt des Unfalls sicher vor Anker. Die Ursache des Vorfalls ist bislang unklar. Angesichts der militärischen Relevanz der transportierten Ladung hat die US-Regierung eine Untersuchung eingeleitet, um mögliche Sabotage auszuschließen. Die Ergebnisse könnten direkten Einfluss auf die versicherungstechnische Bewertung des Schadensfalls haben, schreibt Morningstar DBRS in einem Kommentar.

Experten gehen davon aus, dass der Vorfall komplexe versicherungsrechtliche Implikationen mit sich bringt. Nach Einschätzung der Ratingagentur dürften sowohl die Kasko- und Maschinenversicherung (H&M), als auch Schutz- und Entschädigungsversicherungen (P&I) sowie Seefrachtversicherungen beansprucht werden.

Vorläufige Bildaufnahmen lassen darauf schließen, dass beide Schiffe als Totalverlust gelten könnten. Die kombinierte Versicherungsbewertung von Solong und Stena Immaculate liegt Schätzungen zufolge zwischen 50 und 100 Millionen US-Dollar – inklusive Bergungskosten.

Den größten Anteil der versicherten Schäden dürften die P&I-Versicherer tragen. Der Austritt von Treibstoff ins Meer hat unmittelbare Umweltauswirkungen und löst umfangreiche Reinigungs- und Bergungsmaßnahmen aus. Diese könnten die durch H&M gedeckten Sachschäden deutlich übersteigen.

Die P&I-Versicherung wird in der Regel durch sogenannte Clubs auf Gegenseitigkeit organisiert, die über die International Group of P&I Clubs ein Rückversicherungssystem mit hohen Selbstbehalten nutzen. Die Haftung kann im Einzelfall bis in Milliardenhöhe reichen. Abgedeckt sind unter anderem Umweltschäden, Personenschäden, sowie Risiken im Zusammenhang mit Krieg und politischen Ereignissen – sofern vertraglich vereinbart.

Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass auch die Eigentümer der Ladung auf beiden Schiffen Ansprüche über ihre Frachtversicherungen geltend machen werden. Infolge der komplexen Haftungslage ist mit rechtlichen Auseinandersetzungen zu rechnen. In diesem Fall dürften Subrogationsmechanismen greifen, durch die Frachtversicherer entstandene Verluste bei den jeweiligen Haftpflichtversicherern regressieren.

In Summe wird der Schadenaufwand dieses Vorfalls auf 100 bis 300 Millionen US-Dollar geschätzt. Damit bleibt das Ereignis zwar innerhalb der Belastungsgrenzen der globalen Seeversicherung, wirft jedoch erneut Fragen zur Profitabilität des Segments auf – insbesondere vor dem Hintergrund bereits bestehender Herausforderungen wie der Havarie der Dali in Baltimore sowie den anhaltenden Risiken für die Schifffahrt rund um das Rote Meer.

Die Kreditwürdigkeit der Seeversicherer dürfte durch die jüngste Kollision zwar nicht wesentlich beeinträchtigt werden. Dennoch zeichnet sich ein weiterhin angespanntes Marktumfeld ab, das eine konsequente Risikodifferenzierung und Prämienanpassung erforderlich machen dürfte, prognostiziert Morningstar DBRS.

Autor: VW-Redaktion