„Psychologische Fallen“, „Manipulation“, „peinliche Sanktionen für Verlierer“: Ratgeberbuch will Missstände im Finanz- und Versicherungsvertrieb aufdecken

Das Buch „Beraten statt Verraten“ beleuchtet die Missstände in der Finanzberatung. Bildquelle: Michaela/ Pixabay

„Beraten statt Verraten“: Unter diesem markigen Titel beschreiben die Autoren und Branchenexperten Ulrich Bosetti und Hartmut Walz in ihrem Buch, wie Kunden „psychologische Fallen“ und „Manipulationen der Finanz- und Versicherungsbranche“ entgehen. Es soll ein Leitfaden für den Verbraucher sein. Für die Branche und ihre Vertriebe dürften sich manche Thesen anfühlen wie eine schallende Ohrfeige.

„Bei den knallharten Verkaufsvorgaben und Verkaufsszenarien durch Provisionen haben Bankmitarbeiter, Finanzprodukte- und Versicherungsvermittler kaum eine Chance, nicht zu verkaufen“, heißt es bereits im Vorwort. Berichtet wird von „Tricks“, „Kniffen“ und „gezielt eingesetzter Verkaufsrhetorik“.

Ihr Fett weg bekommt auch die DVAG. „Allein die Deutsche Vermögensberatung drückt mit über 18.000 Verkäufern in den Markt: Insgesamt versuchen rund 50.000 ‚Strukkis‘ – oft auch in Teilzeit und unbelastet von nennenswertem Fachwissen – ihr Glück beim Kunden.“

Fahrlässig werbe man in der Finanzbranche bei der Beratung. Nach Angaben der Autoren liege der Anteil von „echten Finanzberatern bei bestenfalls einem Prozent der in dieser Branche Beschäftigten“. Alle anderen seien als Finanzverkäufer oder Finanzvertriebler zu bezeichnen, „denn ihr Ziel ist ausschließlich der Verkauf von Finanz- und Vorsorgeprodukten.“

Die Autoren betonen, dass ihr Werk ein gut verständliches, aber auch wissenschaftlich belastbares Sach- und Ratgeberbuch sein soll, „keine Kampfschrift“. So wird eingangs zum Beispiel beleuchtet, was ein typischer Finanzverkauf ist, welche Interessenskonflikte auftreten und wieso sie unvermeidbar sind oder was man unter Honorarberatung versteht.

Mit Samthandschuhen wird der Finanzvertrieb dennoch nicht angefasst. Man wolle Probleme und Missstände offen ansprechen. „Wenn Sie einem Finanzprodukteverkäufer gegenübersitzen und anstatt einer Beratung in Ihrem Interesse ein klug geplantes und einseitig auf Provisionsmaximierung ausgerichtetes Verkaufsgespräch erhalten, dann ist das eben nicht mit einem Thekengespräch beim Metzger vergleichbar.“ Eine falsche Zustimmung zu einem Vertragsabschluss könne Kunden über die Jahre „schonmal ein paar zehntausend Euro durch überhöhte Kosten und entgangene Anlagerendite kosten.“

Nach Angaben der Autoren agieren Finanzprodukteverkäufer (FPV) unter bestimmten Vorgaben. Durch unterschiedliche hohe Provisionssätze oder „Punkte“ etwa werde das Eigeninteresse des Verkäufers angesprochen. „Dabei gibt es sogar Maluspunkte und Negativprovisionen, wenn der FPV es nicht schafft, Kunden ‚herumzudrehen‘, sondern Produktverkäufe entgegen dem Hausinteresse vornimmt.

Zudem berichten die Autoren von „Themenwochen“ und Verkaufsolympiaden, mit „schönen Preisen für die Gewinner – aber auch unangenehmen und zum Teil peinlichen Sanktionen für die Verlierer.“ Die „Folterkiste“ mancher Anbieter reiche von Nachsitzen über Motivationsgespräche bis zum Bloßstellen vor den Kollegen.

Ein Aussteiger aus dem Finanzvertrieb wird wie folgt zitiert: „Es kam überhaupt nicht darauf an, dass der Kunde einen langfristig vorteilhaften Vorsorgevertrag erhält. Sondern nur darauf, dass der Kunde so lange im Vertrag bleibt, bis die Zeit der Stornohaftpflicht abgelaufen war. Danach galt ‚Neues Spiel, neues Glück‘ und wenn man Kunden keine Fremdverträge schlechtreden konnte, hat man es notfalls auch nach dem Motto ‚Ich habe da noch was Besseres für Sie‘ mit einem Vertrag gemacht, den man selbst vermittelt hatte.“

Zum Abschluss des Buches bekommt der Verbraucher dann noch zehn durchaus konstruktive Regeln für die Vorbereitung einer Finanzberatung auf den Weg.

Es ist zum Teil sehr harter Tobak, mit dem „Beraten statt Verraten“ die Branche konfrontiert und nicht nur den Verbraucher zum Hinterfragen animiert. Wenn man das Buch so liest, scheint es, als sei der Vertrieb eine riesige Baustelle. So ist es natürlich nicht.

Und auch wenn die Pauschalkeule nicht überall zutreffend ist – die Branche und ihre Vertriebe müssen sich mit Kritik dieser Art auseinandersetzen.

Autor: Michael Stanczyk