Coface-Volkswirtin warnt vor Insolvenzwelle

Christiane von Berg, Chefvolkswirtin von Coface Nordeuropa und Belgien. Quelle: Coface

Ende 2020 hatten viele Menschen wie auch Volkswirte die leise Hoffnung, im Jahr 2021 wieder „klar“ in die ökonomische Zukunft blicken zu können. Daraus wurde leider nichts: Auch im Herbst/Winter 2021 verändert sich die Corona-Szenerie fast täglich und vernebelt den wirtschaftlichen Ausblick (Stichwort Omikron-Variante). Daher im Folgenden der Versuch, etwas mehr Klarheit in den konjunkturellen Nachrichtendschungel zu bringen. Von Christiane von Berg, Coface-Volkswirtin für Nordeuropa.

Konjunktur im Herbst 2021: Wo stehen wir? Wo geht’s hin?

Konjunkturell betrachtet war 2021 für Deutschland ein durchwachsenes Jahr. Der Lockdown hat uns fast ein halbes Jahr begleitet. Erst ab Juli 2021 kehrte das normale Leben zurück. Zu diesem Zeitpunkt wurde jedoch die starke Belebung des verarbeitenden Gewerbes schon wieder durch eine starke Verknappung der Inputgüter und hohe Transportkosten ausgebremst. In der Folge haben wir zwar im Sommer und Herbst konjunkturell wieder etwas aufgeholt, im dritten Quartal lag das BIP in Deutschland aber noch immer 1,1 Prozent unterhalb des Niveaus vom Winter 2019/20. Auch für die kommenden Quartale steht nur ein moderates Wachstum an – vorausgesetzt, dass aus einem 2G(+)-Lockdown nicht erneut ein Komplett-Lockdown wird! Erst in der zweiten Jahreshälfte 2022 sollte die Wirtschaft in Deutschland wieder etwas stärker anziehen, wenn sich die Knappheit an Inputgütern langsam auflöst und das verarbeitende Gewerbe die Bremsen lösen könnte.

Dauert der globale Wettbewerb um Güter an?

Covid-19 hat global betrachtet die größte Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Der Unterschied zur Finanzmarktkrise 2009: Dieses Mal waren bzw. sind alle Länder der Welt von einer Rezession betroffen und befinden sich daher alle seit 2021 (mehr oder weniger) in einer Erholungsphase. Folglich war die globale Nachfrage noch nie so hoch und das Angebot an Rohstoffen kann nicht so einfach und so schnell ausgeweitet werden. Darüber hinaus verknappt sich auch noch das Angebot selbst durch anhaltend restriktive Corona-Maßnahmen. Denn nicht überall ist man so weit im Impfprozess wie in Europa. Die Impfquote in vielen Ländern Afrikas liegt im mittleren einstelligen Prozentbereich. Hinzu kamen 2021 extreme Wetterphänomene wie Überschwemmungen, Dürren, Waldbrände etc. „Abgerundet“ wird diese prekäre Gesamtsituation durch Transportprobleme und China.

China hat eine „Zero-Covid“-Politik angeordnet. Wohl auch, um die Olympischen Winterspiele Anfang 2022 in Peking nicht zu gefährden. Selbst wenn nur wenige Covid-19-Fälle auftauchen, verhängt die Regierung Lockdowns für ganze Millionenstädte, inklusive ihrer Häfen. So entstehen Containerschiff-Staus und ein Dominoeffekt, der sich von Hafen zu Hafen fortsetzt. Das liegt unter anderem daran, dass die Löschung von Ladung nicht so einfach ist, wenn die Besatzung geimpft ist, aber dennoch nicht von Bord darf, weil deren Impfstoff nicht in der jeweiligen Region anerkannt wird (z. B. chinesischer Impfstoff in der EU).

Zu guter Letzt schießt China nun wieder quer, in dem das Politbüro Energie rationiert. Zum einen aus Umweltaspekten (der Himmel über Peking soll zur Olympiade blau sein), zum anderen wegen Lockdown-bedingter Ausfälle bei der Kohleförderung. Dies belastet die Industrieproduktion in China und damit alle Abnehmerindustrien und -länder. Erst wenn sich die globale Nachfrage beruhigt hat und die Angebotsseite wieder stabil ist und ausgeweitet wurde, sollten die Inputgüterknappheit und damit der entstehende Preisdruck abnehmen.

Immer noch keine Insolvenzwelle in Sicht?

Im Jahr 2021 setzte sich das Paradoxon der niedrigen Insolvenzzahlen fort, von Januar bis August gab es 16 Prozent weniger Insolvenzfälle als im Vorjahreszeitraum. Aussagekräftiger ist jedoch, wie hoch die erwarteten Forderungen aus diesen Insolvenzen sind. Den bis dato höchsten Wert gab es 2009 mit 73,1 Mrd. Euro, den zweithöchsten Wert mit 44,1 Milliarden Euro im Jahr 2020. Von Januar bis August 2021 summierten sich die Forderungen aus Insolvenzen in Deutschland bereits auf 44,4 Mrd. Euro. Das Jahr 2021 wird somit das „teuerste“ Jahr seit 2009 werden. Es sind also nach wie vor weniger Pleiten in Deutschland, dafür aber richtig große.

Und 2022? Da könnte die Zahl der Insolvenzen wieder anziehen, wenn Stützungsmaßnahmen der Bundesregierung zum Jahreswechsel wegfallen. Dann wird man – wahrscheinlich ab dem zweiten Quartal – sehen, wer am Ende diese Krise gemeistert hat und wer nicht. Oder bildlich gesprochen: Wer kann auch ohne Rettungsweste schwimmen?

Und wie schätzt Coface die Lage aus Sicht der Kreditversicherung ein?

Das sagt Jochen Böhm, Risk Underwriting Director für Nordeuropa: „Grundsätzlich kann man sagen: Wem das Wasser jetzt bis zum Hals steht, der wird es in den kommenden Monaten – je nach Ausprägung der vierten Welle – schwer haben. Wir sehen jedoch auch Unternehmen, die die Pandemie bislang sehr gut gemeistert haben. Weil sie mit einem finanziellen Puffer in die Krise gegangen sind, Kosten reduzieren konnten und sich schnell an die neuen Gegebenheiten angepasst haben. Die Marktbereinigung muss und wird in den nächsten Monaten kommen. Der beschriebene Mix aus Rohstoffmangeln, gestörten Lieferketten, Inflation und hohen Energiepreisen ist absolut toxisch und wird natürlich ‚Opfer‘ fordern.

Wir beobachten, dass sich die Schockstarre allmählich löst und zum Jahresende mehr Unternehmen Probleme bekommen. Noch nicht in einem dramatischen Ausmaß, aber ein Trend ist hier erkennbar. Zum Teil können Unternehmen aufgrund der immensen staatlichen Coronahilfen zwar noch Liquidität vorweisen, aber im Grunde sind sie bereits völlig überschuldet. Manche müssten eigentlich Insolvenz anmelden, haben aber das Ausmaß ihrer Überschuldung noch gar nicht realisiert. Sorgenkinder sind nach wie vor der stationäre Handel und die Automobilbranche. Im Bereich Automotive werden aufgrund fehlender Halbleiter weltweit Millionen Autos weniger produziert. Das kann nicht spurlos an den Zulieferern vorbeigehen.

Mit Blick auf unsere Limitentscheidungen in der Kreditversicherung werden wir weiter von Fall zu Fall entscheiden. Wie eingangs bereits beschrieben können und wollen wir niemanden in „Sippenhaft“ nehmen. Wir sehen vereinzelt Rückgänge in der Produktion aufgrund des Materialmangels und weniger positiver Ausblicke. In der Folge werden die von uns gewährten Limite seltener ausgereizt.

Autor: Christiane von Berg, Coface-Volkswirtin für Nordeuropa.

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