EU-Parlament stuft Einsatz von KI bei Versicherern als „hochriskant“ sein

Erich Westendarp auf Pixabay

Wie ist der Stand beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Versicherungsbereich? Das Europäische Parlament hat in einer legislativen Initiative Versicherungen in Bezug auf die Anwendung KI als „hochriskanten Bereich“ eingestuft, berichtete Karen Bartel, beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) für die Themen Recht, Compliance und Verbraucherschutz verantwortlich, während einer Fachtagung am vergangenen Freitag, organisiert vom Verein zur Förderung der Versicherungswissenschaft in Berlin.

Das EU-Parlament forderte die EU-Kommission auf, einen neuen Rechtsrahmen vorzulegen, der die ethischen Grundsätze für Entwicklung, Einsatz und Nutzung von KI, Robotik und verwandten Technologien regelt. Gefordert wird die Unterscheidung zwischen hochriskanten und  nichtriskanten Anwendungen. Als hohe Risiken werden Anwendungen eingestuft, die die Schädigungen von Einzelpersonen oder der Gesellschaft unter Verstoß gegen die im EU-Recht verankerten Grundrechte und Sicherheitsvorschriften mit sich bringen. Dabei, so Bartel weiter, müssten sowohl der Sektor beachtet werden, in dem KI eingesetzt werden soll, der Zweck der Anwendung sowie die Schwere der zu erwartenden Verletzungen oder Schädigungen.

„Warum die Versicherungsbranche wie auch die Banken den hochriskanten Anwendungen zugeordnet werden soll, ist uns unklar“, betonte Bartel. „Der GDV ist damit nicht einverstanden und wir werden dagegen opponieren.“ Es gebe einen aktuellen Zehn-Punkte-Plan mit den Forderungen der deutschen Versicherungswirtschaft in dieser Frage. Auch die EU-Kommission hatte in einem Weißbuch, das im Frühjahr dieses Jahres erschien, die Notwendigkeit der Regulierung von KI-Aktivitäten gefordert. Sie werte gegenwärtig alle Informationen aus, so Bartel weiter. Für das erste Quartal 2021 wird ein erster Vorschlag der EU-Kommission erwartet.

Nicht alles, was wie KI aussieht ist auch KI

Was überhaupt dem Bereich KI zuzuordnen ist, machte Prof. Torsten Oletzky vom Institut für Versicherungswesen (ifw) Köln, deutlich. KI würde sich von normalen Algorithmen und purer Rechenleistung vor allem dadurch unterscheiden, dass sie in der Lage sei konkret vorgegebene Aufgabenstellungen zu lösen und sich dabei selbst zu optimieren – ohne externen Eingriff eines Programmierers. Die dabei zum Einsatz kommenden neuronalen Netzwerke seien zwar schon seit den 1980er Jahren bekannt, können aber erst seit etwa zehn Jahren in praktische Informatik übersetzt werden.

Als Einsatzbereiche in der Versicherungsbranche nannte Oletzky die Auswertung von Schadenfotos, die Prognose des Schadenbedarfs und der Schadenquote, die Kundensegmentierung, die Entwicklung von Underwriting-Kriterien zur Ergebnisoptimierung sowie die Betrugserkennung. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sei wichtig zu beachten, dass wirklich gute KI-Anwendungen nur gebaut werden können, wenn das System mit ausreichend Test- und Trainingsfällen gefüttert wird, aus denen es lernen kann. Nur daraus entstehe die notwendig Logik.

„Für exotische Anwendungsfälle, die nur selten auftreten, ist KI daher nicht geeignet“, schlussfolgerte er. Auch eine Strategie, die sich vorsichtig mithilfe von begrenzten Pilotprojekten an die Technologie annähert, sei im Falle von KI wenig erfolgversprechend. Daher kommen für sehr viele Versicherer eigene KI-Lösungen nicht infrage, sondern eher die Kooperation mit professionellen Lösungsanbietern. Auch Zusammenschlüsse mehrerer Versicherer zu einer Art KI-Pool hält Oletzky für wenig erfolgversprechend.

Wenn man sich zum Beispiel den Kfz-Versicherungsmarkt anschaut, würden eigentlich nur die Allianz und die HUK zu proprietären Lösungen in der Lage sein. Alle anderen seien zu klein für leistungsfähige Algorithmen. Als Dienstleister kämen Rückversicherer und andere Dienstleister in Betracht. In jedem Fall brauchten auch sie genügend Trainingsfälle und müssten daher mit mehreren Versicherungsunternehmen kooperieren.

Mitarbeiter bekommen neue Aufgaben

Marketing und Vertrieb, Risiko und Underwriting sowie Schadenmanagement nannte Wolfgang Hauner, Leiter der Group Data Analytics der Allianz SE, für die wesentlichen Anwendungsfelder von KI im Versicherungsbereich. Dazu zählen schnelle, KI-geführte Abschlüsse, die komplette Automatisierung des Underwriting-Prozesses bei einfachen Produkten und schnellere Preisfindung, was zu individuelleren Angeboten führen kann, sowie die automatische Verarbeitung einfacher Schadenfälle.

In jedem Fall gilt: Die Rolle der Mitarbeiter im Ver- und Betrieb ändert sich dahingehend, dass sie sich auf komplexe Fälle konzentrieren und mehr Service anbieten können. KI kann im Versicherungsunternehmen, ist Hauner überzeugt, in der ganzen Wertschöpfungskette eingesetzt werden, ohne ihn komplett zu automatisieren. „KI kann fast alle Prozesse unterstützen, um Standardfälle zu automatisieren“, meinte er. In der Praxis der Allianz werde sie zum Beispiel bereits für die Antragstrecke bei KMU genutzt: Mithilfe von KI könnten bereits verfügbare interne und externe Daten über das Unternehmen zusammengestellt und bestimmte Risikofaktoren schon im Vorfeld berechnet werden. „Das vereinfacht die Beratung vor Ort wesentlich“, erklärte er.

Im Schadenbereich wird bereits mit Bilderkennung gearbeitet, die Schäden etwa am Auto erkennt und dank Informationen zu den Kosten vergleichbarer Schäden einen fundierten Kostenvoranschlag erarbeiten kann. Das verkürze Prozesse und minimiere Kosten. „Kunden können natürlich trotzdem die Dienste einer Werkstatt in Anspruch nehmen“, ergänzte er. Auch Voicebot-Services werden angeboten, bei denen die Maschine Infos abfragt und erst zu einem Mitarbeiter weiterleitet, wenn der Dialog zu komplex wird. Und auch in der Betrugserkennung hilft KI, bestimmte Muster zu erkennen und vor allem systematischen Betrug aufzudecken.

Einschränkend gibt er zu bedenken, dass die Qualität von KI-Diensten nicht nur von der Qualität der Daten, der Zugriffsmöglichkeit darauf abhängt und der guten Technologie abhängt. KI müsse zudem fair eingesetzt und Schieflagen vermieden werden. Eigentlich, ist er überzeugt, führt KI zu fairen Produkten und Dienstleistungen, da die Technologie konsistent entscheidet und keinen Unterschied beispielsweise zwischen Männern und Frauen macht. Erst die Struktur der Daten könne zu Diskriminierung führen.

Autorin: Elke Pohl

Ein Kommentar

  • Und mal wieder ein Beispiel, wie die EU Technologie verbürokratisiert – in anderen Kontinenten wachsen die Anwendungen und die Unternehmen, die sie anbieten, in Europa leider nur die Regulierung zur Verhinderung! Müssen wir uns ernsthaft wundern, kein Google oder Amazon in Europa zu haben?

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