Robotic Process Automation und Versicherung: Lass das mal den Bot machen

Quelle: Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Der Einsatz von Robotic Process Automation – kurz RPA – erlaubt es, Prozesse in Versicherungen effizient und ohne aufwendige Schnittstellentwicklungen zu automatisieren. Für Gerald Klammer, Leiter Schaden bei Helvetia Österreich, ist das dringend notwendig. „Versicherer setzen hochqualifizierte Fachleute für Arbeiten ein, bei denen es vielfach gar nichts zu entscheiden gibt.“ Im Fokus der Automatisierungsoffensive steht das Ziel, das Kundenerlebnis deutlich zu verbessern.

Neue, leistungsstarke Tools wie UiPath machen RPA auch bei kleineren Fallzahlen zunehmend attraktiv. Helvetia Österreich setzt RPA erfolgreich ein, um Kunden deutlich verkürzte Bearbeitungszeiten bieten zu können. Aber nicht nur die Kunden sind begeistert. Ein Gastbeitrag.

Der Digitalisierungsdruck lastet schwer auf Versicherungen. Kunden verlangen schnellere Services. Unflexible Legacy-Systeme machen es den IT-Abteilungen jedoch schwer, angemessen zu reagieren. In diesem Umfeld eröffnet Robotic Process Automation (RPA) neue Möglichkeiten. Wo in der klassischen Automatisierung systemübergreifende Prozesse langwierige Schnittstellenentwicklungen erfordern, vollziehen hier Software-Bots „einfach“ nach, was die Sachbearbeiter manuell an Arbeitsschritten, Abgleichen, Eingaben und Datenübernahmen vornehmen. So kann ein Bot komplexe, systemübergreifende Arbeitsschritte effizient automatisieren.

Helvetia: Kunden im Fokus

„Es ist widersinnig: Wir und andere Versicherer setzen hochqualifizierte Fachleute für Arbeiten ein, bei denen es vielfach gar nichts zu entscheiden gibt. Viele einfache Vorgänge könnten perfekt automatisiert werden. Da braucht es effiziente Lösungen. Sonst ist es aus Sicht der Fachabteilungen frustrierend: Routine-Arbeiten für hochqualifizierte Mitarbeiter und Kunden, die teilweise unverständlich lange auf Antworten und Bescheide warten. Im Fokus unserer RPA-Projekte steht das Ziel, das Kundenerlebnis deutlich zu verbessern“, so Gerald Klammer, Leitung Schaden bei Helvetia Österreich.

Nun ist RPA aus technologischer Perspektive nicht neu. Viele Versicherungen nutzen diese Technik bereits erfolgreich. Auch dadurch haben die RPA-Tools in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. Wurden Bots bisher nur in hochvolumigen und relativ einfachen Prozessen eingesetzt, lohnt sich der Einsatz von RPA jetzt auch für die Automatisierung von Prozessen mit mittleren Fallzahlen, mit zahlreichen Prozessvarianten und in komplexeren IT-Landschaften. Das brachte Helvetia Österreich mit dem Softwarespezialisten Macros Reply ins Gespräch. Dieser verfügt über das Prozesswissen aus der Versicherungsbranche und setzt mit UiPath zugleich das gemäß Analysten wie Forrester Research und Gartner führende RPA-Tool ein.

„Die Idee von RPA mit UiPath ist es, über Pilotprojekte die Fachabteilungen der Kunden mit dem Tool und der Arbeitsweise von Bots vertraut zu machen und so für die Automatisierung zu gewinnen. Die Erstellung der Bots ist in UiPath modular aufgebaut. So können bewährte Funktionen später einfach in andere Prozesse und Bots kopiert werden. Das reduziert den Aufwand und erhöht zugleich die Qualität“, berichtet Ralf Scheuchl, Geschäftsführer bei Macros Reply in München.

Analyse identifiziert RPA-Potenziale

Gemeinsam mit Macros Reply startete ein Team um Helvetia-Projektleiter Stefan Hackl zunächst eine Analyse mit Hilfe von Process Mining. Hierbei werden softwaregestützt auf Basis historischer Daten Prozesse und deren Variationen untersucht. So lassen sich schnell KPIs zu Laufzeiten, Liegezeiten, Netto- und Bruttozeiten sowie die Anzahl der Varianten zu den verschiedensten Prozessen ermitteln. Ergebnisse aus dem Process Mining spiegeln die gelebte Realität wider und sind deutlich aussagekräftiger als die in den Versicherungen vorliegenden Prozessbeschreibungen.

In einem Workshop diskutierte man dann die Ergebnisse. „Diese Analyse war ein wichtiger und sehr gewinnbringender Schritt. Ich kann das nur empfehlen. Wir konnten die Prozesse vor der Automatisierung nochmals verschlanken und optimieren. Zum anderen können so Prozesse identifiziert werden, die für RPA von den Fallzahlen und der Komplexität besonders geeignet sind – und die einen großen Hebel auf das Kundenerlebnis haben“, so Stefan Hackl.

Das Process Mining offenbarte enorme Prozessspreizungen. So streuten bei einem Prozess im Bereich Rechtsberatung die Laufzeiten zwischen 22 Sekunden und fast 7 Tagen. Der mittlere Wert lag bei 1 Tag und 6 Stunden – für einen durchschnittlichen Zahlschaden von rund 96 Euro. Ein weiterer als RPA-tauglich identifizierter Prozess umfasste die rein manuelle Übernahme eines externen Vorschadengutachtens in die Versicherungspolice. Hier konnte RPA den Datentransfer zwischen verschiedenen internen und externen Systemen enorm vereinfachen, ohne dass hierfür Interfaces programmiert werden mussten.

Als konkretes RPA-Pilotprojekt wählte man im Team schließlich die Abwicklung von Glasschäden. Der entscheidende Prüfschritt für den Sachbearbeiter liegt hier im Abgleich mit den Prämienzahlungen. Hat ein Versicherungsnehmer seine Prämien gezahlt, erfolgt die Auszahlung – doch dazwischen türmen sich für die Sachbearbeiter viele manuelle Eingaben und Datenübernahmen. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit in der Fachabteilung betrug laut Process Mining – bei großer Schwankungsbreite – 1 Tag und 9 Stunden – bei einer Nettolaufzeit von nur 6 Minuten. Viel Potenzial für ein besseres Kundenerlebnis.

Pilotprojekt Glasschaden

Im ersten Schritt erarbeitete man gemeinsam ein Process Design Document, das den „happy path“, also die fachlich gewünschten Prozessvarianten, beschrieb. Angelehnt an agile Methoden entwickelte Peter Preuss, RPA-Spezialist bei Macros Reply, dieses Dokument im Verlauf der Bot-Erstellung weiter. Eine erste wichtige Erkenntnis: Der modulare Aufbau von Bots in UiPath bewährte sich. Einzelne Arbeitsschritte konnten mit den Sachbearbeitern gemeinsam besprochen, programmiert, als Teilfunktion getestet und dann im Bot immer wieder genutzt werden.

„Für mich ist diese mit UiPath mögliche Modularisierung des Bots ein zentrales Qualitätsmerkmal. Nur so wird die Arbeitsweise des Bots wirklich transparent und die einzelnen Funktionen und Aufgaben können sinnvoll getestet und in anderen Bots erneut verwendet werden. Diese hohe Qualität erzeugt dann die Akzeptanz in den Fachabteilungen“, gibt Peter Preuss Einblick in seine Erfahrungen mit RPA-Projekten.

Zwei Modi: attended und unattended

Um die Mitarbeiter in der Schadenabwicklung für Bots zu gewinnen, bietet UiPath eine weitere Möglichkeit. Ein Bot kann in zwei Modi betrieben werden – beaufsichtigt (attended) und unbeaufsichtigt (unattended). Unattended startet der Bot alle Vorgänge selbsttätig und meldet danach die erfolgreiche Bearbeitung.

Im Attended-Modus wird ein Bot dagegen gezielt vom Sachbearbeiter gestartet und dieser beobachtet die einzelnen Schritte, Aufrufe, Datenübernahmen etc. Diese Arbeitsweise bietet sich gerade in der Test- und Einführungsphase an, weil die Sachbearbeiter mit dieser von ihnen kontrollierten Arbeitsweise Vertrauen in die Technologie gewinnen. Zudem lassen sich so auch Teilschritte von Prozessen über RPA automatisieren, die jeweils bei Bedarf vom Sachbearbeiter gestartet werden können.

Unabhängig vom Modus gilt: Stößt ein Bot auf Schwierigkeiten oder Unregelmäßigkeiten, wird die Bearbeitung abgebrochen und an einen Sachbearbeiter eskaliert. Innerhalb von Macros Reply Lösungen erfolgt dies beispielsweise sehr prozesssicher über das Postkorbsystem. Das schafft einmal Sicherheit und Vertrauen. Zusätzlich erlaubt die Eskalation zunächst nur die häufigsten oder einfachsten Fälle über den Bot abdecken zu lassen und die Fallabdeckung dann sukzessive zu erhöhen. Eine agile Arbeitsweise, die auch in variantenreichen Prozessen einen schnellen Einsatz von Bots unterstützt.

Heute ist bei Helvetia die Bearbeitung der Glasschäden komplett über einen Bot automatisiert – Annahme, Datenübernahme, Prüfung, Kommunikation und Zahlungsanweisung. Was die Sachbearbeiter daran freut: Sie sind von einfachen und als besonders monoton empfundenen Tätigkeiten entlastet. Das Plus für die Schadensabteilung: Statt nur in Stichproben überprüft Helvetia nun die Berechtigung bzw. den Prämieneingang für jeden Regulierungsantrag – bei reduzierten Prozesskosten. „Das Wichtigste ist aber, dass unsere Kunden von deutlich verkürzten Bearbeitungszeiten profitieren“, freut sich Stefan Hackl.

Lessons learned

Das Helvetia-Team um Stefan Hackl bewertet die Erfahrungen aus dem RPA-Projekt und die Hilfe von Macros Reply sehr positiv. UiPath hat sich tatsächlich als einfach zu bedienendes Tool gezeigt. Helvetia Österreich hat bereits weitere RPA-Projekte initiiert. Um dies organisatorisch zu verankern, will Stefan Hackl die Bot-Erstellung in einem speziellen Team in der IT konzentrieren.

Über ein fest etabliertes Team, das die RPA-Tools ständig einsetzt, lässt sich die Effizienz und Qualität der Bots besser als über wechselnde Projektteams gewährleisten. Dieses Team wird die Kollegen im Schadenservice in die Bot-Erstellung einbeziehen. Es wird auch alle zwei Wochen ein Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen Abteilungen geben, um den Know-How-Transfer sicherzustellen und neue Projekte anzustoßen. Auch während der Entwicklung wird die IT und der Fachbereich eng und ständig an der Bot-Lösung arbeiten um Probleme und Fehler rasch beheben zu können.

Das bestätigt die Testphase des Glasschaden-Bots. Hier zeigten sich zunächst Abbrüche, ohne dass in den abgebrochenen Fällen Abweichungen vom Prozess oder der Fallabdeckung gefunden werden konnten. Die Lösung fand sich dann ganz woanders: Die Antwortzeiten (Latenzen) aus den Kernsystemen schwankten stark. Wo der menschliche Sachbearbeiter Geduld zeigte und einfach abwartete, zeigte sich der Bot deutlich ungeduldiger und brach die Bearbeitung ab. Einmal erkannt, ließ sich auch dem Bot über entsprechende Einstellung die erforderliche Geduld „beibringen“. Die Akzeptanz in der Fachabteilung stieg dann schnell.

Mit der Zahl der erfolgreichen Fälle „lässt man den Bot dann einfach machen“. Bei Helvetia zeigen sich beteiligte Personen und Abteilungen hochzufrieden mit RPA. Mit vergleichsweise geringem Aufwand und ganz ohne aufwendige Schnittstellenentwicklungen konnten Prozesse automatisiert und Durchlaufzeiten erheblich verkürzt und stabilisiert werden. Kunden wird damit ein deutlich verbessertes Serviceerlebnis geboten. Gleichzeitig fühlen sich die Sachbearbeiter an „den richtigen Stellen“ entlastet.

Autor: Peter Kronfeld

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