Studie: Versicherer sind nicht ausreichend auf demografischen Wandel vorbereitet

Quelle: Bild von Steve Buissinne auf Pixabay

Die Versicherer unterschätzen noch immer den demografischen Wandel in Deutschland. Laut einer aktuellen Studie von Oliver Wyman wird die gesamte Babyboomer-Generation bis 2030 im Ruhestand sein und mehr als drei Millionen zusätzliche Versicherungskunden in die Altersgruppe 60+ geschwemmt haben.

Die klassischen Kernzielgruppen im Alter zwischen 20 und 60 Jahren werden im gleichen Zeitraum um vier Millionen Menschen schrumpfen. Allerdings habe sich die Versicherungswirtschaft bisher nicht ausreichend vorbereitet. „Nie zuvor ist innerhalb eines Jahrzehnts eine derart große Verschiebung um Millionen Nachfrager nach Versicherungs- und Altersvorsorgeprodukten erfolgt. Die Auswirkungen auf das Geschäft zu kompensieren, wird eine immense Herausforderung für alle Versicherer, zumal sich auch die Bedarfe der nachrückenden Generationen ändern“, warnt Dietmar Kottmann, Partner bei der Strategieberatung Oliver Wyman und Co-Autor der Studie.

So werden die Unternehmen neue Konzepte für flexible Altersabsicherungen auch im fortgeschrittenen Alter und neue Instrumente zur Behauptung im Wettbewerb eines gesättigten Versicherungsmarktes entwickeln müssen, heißt es in der Studie weiter. Demnach werde der Wettbewerb härter und mit intelligenteren Waffen ausgetragen: Mehr Dynamik bei Produkt- und Preisanpassungen, intelligente Mehrjahreskalkulation zur Nutzung preislicher Spielräume auch zum Wohle des Kunden, aber ebenfalls ein rigoroses Bestandsmanagement gehören dazu.

„Im zukünftigen Konkurrenzkampf geht es um Spitzenplätze in Anbieterrankings durch bessere, passgenaue Produkte und überzeugende Verkaufsargumente am Puls der Zeit. Die Neukunden von morgen suchen Transparenz, Convenience und wirklich erlebbaren Kundenmehrwert, auch neue Leistungsangebote in der Schadenabwicklung“, konstatiert Rouget Pletziger, Principal bei Oliver Wyman und Co-Autor der Studie.

Ob diese Ansicht auch in der Branche selbst auf uneingeschränkte Zustimmung trifft, ist hingegen offen. „Aus meiner Sicht ist das Thema Demografie von uns nicht unterschätzt – wir sehen Demografie in der Gothaer ebenfalls als eines der zentralen strategischen Themen. Wir sehen die beiden Aspekte der Demografie von Oliver Wyman – demografische Entwicklung des Kundenbestands und in der eigenen Organisation – als sehr wichtig für die Strategie der nächsten fünf Jahre an. Ergänzend ist aus unserer Sicht die demografische Entwicklung der Vermittlerstrukturen die dritte Herausforderung rund um Demografie – und genauso wichtig zu nennen“, betont Henning Hackbarth, Leiter Konzernentwicklung der Gothaer gegenüber VWheute.

„Wir haben alle drei Themen auf unserer strategischen Agenda. Insbesondere die kulturelle Transformation hin zu mehr Eigenverantwortung, einer attraktiveren Arbeitsumgebung und glaubhafter Nachhaltigkeit halten wir für sehr wichtig. Bereits in den letzten Jahren haben wir intensiv an unserer Zusammenarbeitskultur gearbeitet und auch unsere Arbeitgeberattraktivität weiter verbessert. Uns ist dabei wichtig: Die veränderten Wünsche und Anforderungen an uns als Arbeitgeber sehen wir ganz unabhängig vom Alter der Kollegen – eher als gesellschaftlichen Megatrend. Demografie ist hier aus unserer Sicht ’nur‘ ein Katalysator“, ergänzt Hackbarth.

Dominiert Amazon 2030 das Versicherungsgeschäft?

Gleichzeitig werde die Plattformökonomie nach dem Handel künftig auch die Versicherungswirtschaft dominieren. Produkt- und Preisvergleiche für Kunden und Makler sind heute schon Alltag, umfassende Produktangebote über Drittanbieter-Plattformen der nächste Schritt. So prognostiziert Oliver Wyman, dass Plattformen bis 2030 von bisher weniger als 30 auf über 60 Prozent des Neugeschäftes im ungebundenen Vertrieb kontrollieren werden.

„Versicherungsunternehmen konkurrieren in der Plattformökonomie mit fremden Branchen: Immer leichter lassen sich Versicherungslösungen in andere Angebote integrieren oder von Anbietern außerhalb des Versicherungssektors separat über digitale Kanäle vertreiben“, sagt Pletziger. „Plattformen ändern die Spielregeln im Drittvertrieb. Nur wer sich konsequent darauf einstellt, kann davon profitieren. Halbherzige Strategien der Vergangenheit werden zukünftig nicht mehr funktionieren“, ergänzt Kottmann.

Vielmehr würden Versicherer mit starken Eigenvertrieben zu kämpfen haben, um auch zukünftig als Risikopartner des Kunden erste Wahl zu bleiben. „Zwei Drittel der Kunden würden für maßgeschneiderte Finanzangebote ihre Daten offenlegen, aber nur in seltenen Fällen einem Versicherer. Und fast 60 Prozent würden über ihre Hausbank Produkte anderer Finanzanbieter beziehen“, so Kottmann weiter.

„Null Bock“ bei der Generation Z?

Der Generation Z der 18- bis 20-Jährigen könnte diese Entwicklung gar recht kommen. Denn Versicherungen sind in dieser Altersgruppe bislang noch kein Thema. Vielmehr stehen bei den jungen Menschen die Karriere (53 Prozent), das Studium (51 Prozent) und auch Themen wie Reisen (44 Prozent) sowie Familiengründung (39 Prozent) im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Management- und Technologieberatung BearingPoint.

Quelle: BearingPoint GmbH

Demnach hat nur ein Drittel hat eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen, ein Viertel eine Auslandskrankenversicherung, 15 Prozent haben eine Rentenversicherung und nur jeder Zehnte verfügt über eine Hausratversicherung. Die Mehrheit dieser jungen Menschen macht sich zudem auch bisher wenig Gedanken beispielsweise über Risikolebensversicherungen, kapitalbildende Lebensversicherungen oder Cyberversicherungen.

Entsprechend sind sie im Durchschnitt nicht ausreichend über Versicherungen informiert. Dazu kommt, dass bei der Generation Z die Versicherungsbranche als Arbeitgeber insgesamt nicht besonders attraktiv ist. Laut der Umfrage können sich 40 Prozent der Befragten nicht vorstellen, künftig bei einem Versicherer zu arbeiten.

Zudem würde nur jeder fünfte der Generation Z für eine Beratung noch mit einem Versicherungsmakler in Kontakt treten.  Mehr als ein Drittel bevorzugt eine Beratung über die Internetseite des Versicherers (37 Prozent) und ein weiteres Drittel würde dafür ein Internet-Vergleichsportal wählen (33 Prozent). Will man die Generation Z also erreichen – so BearingPoint – müssten klassische Versicherungsprodukte bei dieser Zielgruppe digital beworben werden und anschließend könne der persönliche Kontakt mit dem Versicherer vor Ort erfolgen.

„Für die Generation Z ist es selbstverständlich, dass sie all ihre Anliegen jederzeit online erledigen und nachvollziehen kann. Versicherungen müssen daher ihre digitalen Dienste dringend an dieser Zielgruppe ausrichten. Denn nur die Versicherungen, die sich modernisieren, ihren Schwerpunkt auf digitale Kommunikationswege legen und die Social-Media-Kanäle bespielen, können die Generation Z als Kunden oder Arbeitnehmer gewinnen“, kommentiert Giso Hutschenreiter, Partner und Versicherungsexperte bei BearingPoint.

„Unsere Umfrage zeigt, wie erschreckend wenig die Generation Z über Versicherungen weiß. Da müssen bei Politik und Versicherungen die Alarmglocken läuten. Sie sind gut beraten, ihre Kommunikation mit dieser Zielgruppe vor allem über digitale Kanäle neu aufzustellen“, ergänzt der Experte.

Autor: VW-Redaktion

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