Coface-Ökonomin von Berg: „Aussetzung der Insolvenzantragspflicht in den Hochwassergebieten ist ein adäquates Mittel“

Christiane von Berg, Chefvolkswirtin von Coface Nordeuropa und Belgien. Quelle: Coface

Die Bundesregierung will die Insolvenzantragspflicht wegen der Hochwasserkatastrophe für betroffene Firmen erneut aussetzen. Was dies für die Unternehmen konkret bedeutet, erläutert Christiane von Berg, Chefvolkswirtin von Coface Deutschland, im Exklusiv-Interview mit VWheute.

VWheute: Die Bundesregierung will die Insolvenzantragspflicht für betroffene Firmen in den Hochwassergebieten von NRW und Rheinland-Pfalz bis Ende Oktober rückwirkend aussetzen? Sind solche Mittel – auch mit Blick auf die Erfahrungen in der Corona-Krise – ein adäquates Mittel, um den Unternehmen dauerhaft helfen zu können? Besteht dabei nicht auch das Risiko, dass sich bereits angeschlagene Unternehmen damit „gesundstoßen“ wollen?

Christiane von Berg: Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht in den Hochwassergebieten ist ein adäquates Mittel, um den Betroffenen erstmal etwas Luft zu verschaffen und eine Sorge kurzfristig zu verringern. Es handelt sich ja um eine außergewöhnliche Situation. Zum einen ist es ja nicht nur so, dass die Unternehmen zeitweise nicht agieren können, da ihre Produktion und/oder ihre Geschäftsräume nicht nutzbar sind bzw. sie kein fließendes Wasser oder Strom haben. Auch die Kunden können bei den riesigen Schuttbergen gar nicht zu ihnen kommen. Das ist aber nur ein Aspekt des Ganzen. Die Inhaber und Arbeitnehmer müssen jetzt zunächst bei sich privat schauen, wie sie mit den Folgen der Flut umgehen. Hier geht es darum, das eigene Heim wieder bewohnbar zu machen. Im schlimmsten Fall gibt es keine Bleibe mehr, der Besitz ist weggeschwommen oder es gab gar einen Todesfall.

Es ist in gewisser Weise eine Grundvoraussetzung, dass die Antragspflicht auf Insolvenz ausgesetzt wird, damit die Menschen überhaupt Zeit haben, wieder auf die Beine zu kommen. Über die Länge der Aussetzung kann man später diskutieren. Diese hängt auch davon ab, wie schnell die Staatshilfen bei den Betroffenen ankommen und investiert werden können. Die Gefahr von Missbrauch bei der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht sehe ich als sehr gering an. Ein Unternehmen, das strukturell kurz vor der Insolvenz stand, zum Beispiel weil die Produkte nicht mehr marktfähig sind, wird das Ruder innerhalb von drei Monaten nicht rumreißen können. Ich mache mir eher Gedanken, dass diese Unternehmen in der Folge Staatshilfe bekommen und sich dadurch sanieren wollen.

VWheute: Stichwort Staatshilfen: Der Bund will einen milliardenschweren Fonds einrichten, um betroffene Unternehmen finanziell unter die Arme greifen zu sollen. Kann dies so funktionieren, zumal es gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen schon mit der Auszahlung der Corona-Hilfen nicht funktioniert hat?

Christiane von Berg: Das ist schwer zu sagen. Die aktuelle „Soforthilfe“ soll nach Angaben der Regierung dezentral über die Bundesländer laufen und sehr unbürokratisch in Absprache mit den Kommunen von den Gemeinden ausgezahlt werden. Das Ganze soll deswegen so schnell gehen, da keine Einkommens- und Vermögensüberprüfungen stattfinden. Ich denke, die Schnelligkeit hängt davon ab, wie schnell die Kommunen arbeiten, die bei den Corona-Zuschüssen ja nicht eingebunden sind. Ich könnte mir allerdings auch vorstellen, dass ein zu schnelles Verfahren auch für einen Missbrauch der Mittel genutzt werden kann. Es ist also ein zweischneidiges Schwert hier. Ob der Fonds ähnlich ausgezahlt wird, steht noch nicht fest.

VWheute: Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der Insolvenzen im Mai 2021 gegenüber dem vergleichbaren Vorjahresmonat um 25,8 Prozent erneut deutlich gesunken. Sind solche Zahlen überhaupt noch aussagekräftig und was bedeutet dies aktuell für den drohenden „Insolvenzstau“?

Christiane von Berg: Aussagekräftig sind diese Zahlen schon. Allerdings muss man wissen, wie sie zustande gekommen sind. Im Mai waren die meisten Teile von Deutschland weiterhin in einem Lockdown. Gerade in Ämtern wurde dies sehr streng gehandhabt, daher war dort nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die Zahl der Termine für die Anmeldung der Insolvenzverfahren begrenzt. Zudem wurden im Mai weiterhin Unternehmen durch staatliche Maßnahmen gestützt. Auch das hatte Einfluss auf die Unternehmensinsolvenzen im Mai.

Bei Coface orientieren wir uns mehr und mehr an den voraussichtlichen Forderungen aus den Insolvenzen, also weniger an der einfachen Zahl, sondern mehr an den Folgen einer Insolvenz. Hier zeigt sich, dass zwar weniger Insolvenzen auftreten, diese aber einen immer höher werdenden Schaden erzeugen. In den ersten fünf Monaten des Jahres 2021 lag die Summe der Forderungen, die das Statistische Bundesamt auswies, bei etwa 27 Mrd. Euro. Das ist ein Anstieg von 96 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Hierzu muss man wissen, dass bereits im gesamten letzten Jahr die Forderungssumme bei fast 44 Mrd. Euro lag. Und das wiederum war der höchste Wert seit 2009.

VWheute: Stichwort Zahlungsverzögerungen: Chinesische Firmen sind laut einer aktuellen Coface-Analyse deutlich vorsichtiger geworden und verkürzen die Zahlungsfristen teils deutlich. Wie sind Ihre bisherigen Erfahrungen in Deutschland? Gibt es bereits spürbare Veränderungen im Zahlungsverhalten?

Christiane von Berg: Für dieses Jahr kann ich hierzu noch keine Aussagen machen. Unsere Zahlungserfahrungsstudie für Deutschland läuft noch bis Mitte des Monats und wir werden die neuesten Erkenntnisse zu Zahlungszielen und Zahlungsverzögerungen für das Jahr 2021 dann im September veröffentlichen. Im Sommer 2020 haben wir allerdings ein ähnliches Bild gesehen wie in China. Damals war sowohl die Zahl der Unternehmen, die Zahlungsfristen länger als zwei Wochen einräumten, deutlich gesunken – genau wie auch die Zahlungsfristen selbst kürzer geworden waren.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.

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