„Individualität in einer digitalen Welt abbilden“

Benjamin Zühr: „Gerade bei etablierten Unternehmen gelingt die digitale Transformation nur durch die enge Zusammenarbeit zwischen Fachbereich, IT und Management.“ (Bildquelle: mgm)

Industrieversicherung tut sich traditionell recht schwer beim Thema Digitalisierung. Im Interview mit VWheute erklärt Benjamin Zühr, Manager Insurance bei mgm technology partners, warum der Druck zur Modernisierung wächst und wie man digitale Lösungen für komplexe Versicherungsgeschäfte auf Low-Code-Basis schafft.

VWheute: Herr Zühr, Industrieversicherungen gelten als ein Bereich, der schwer zu digitalisieren ist. Wo steht die Branche Ihrer Meinung nach?

Benjamin Zühr: Der Industrieversicherungsbereich tut sich traditionell in vielen Bereichen recht schwer beim Thema Digitalisierung. Wenn man im Vergleich mit Privatversicherungen nur relativ wenige Policen hat, die dafür aber umso komplexer und individueller sind, dann fällt es vielen Akteuren schwer, auch hier Ansätze zur Digitalisierung zu finden. Meiner Beobachtung nach ist der Druck zur Modernisierung und Innovationssteigerung und damit zur Digitalisierung in den vergangenen Jahren allerdings immens gewachsen. Die Anfragen aus diesem Segment nehmen enorm zu.

VWheute: Wie erklären Sie sich das?

Benjamin Zühr: Ich sehe dafür zwei Gründe. Erstens gibt es immer mehr Bestandssysteme, die heutigen Anforderungen einer vernetzten und somit digitalen Welt nicht mehr gerecht werden und bei denen selbst kleinere Änderungen zu hohen administrativen Aufwänden sowohl im Fachbereich als auch in der IT führen. Dies ist auch der Grund, warum in vielen Häusern Insellösungen als Behelfsmittel geschaffen wurden, was unter anderem zu hohen Sicherheits- und Qualitätsrisiken führt. Diese Systeme müssen ergänzt oder ersetzt werden, um in einem digitalen Markt mitspielen zu können.

Zweitens steigt der Druck von Kunden, Maklern und auch intern digitale und datengetriebene Prozesse anzubieten. Wenn ein Risikoträger oder Assekuradeur einem Makler eine individuelle Schnittstelle oder ein Produkt passgenau gestalten kann oder seine Sammelabrechnungen so automatisiert, dass sich die notwendige Arbeitszeit von 45 auf eine Minute reduziert, dann sind das Optimierungen, die das Potenzial der Digitalisierung direkt erlebbar machen.

VWheute: Das sind reale Beispiele aus Ihrer Praxis?

Benjamin Zühr: Ja, das sind unter anderem Beispiele aus einem aktuellen Projekt, das wir in diesem Jahr abschließen. Hier haben wir für einen Assekuradeur auf Basis unserer Enterprise Low-Code-Plattform eine Lösung geschaffen, um komplexes und sehr individuelles Gruppenunfallgeschäft prozessual abzubilden. Dies schließt sowohl die Underwriting- als auch die Schaden- und Abrechnungsprozesse mit ein. Die Ausgangslage war geradezu idealtypisch für das, was ich oben erwähnt habe. Es gab eine hohe Komplexität bei jeder einzelnen Police, einen entsprechend hohen Anteil an manuellen Tätigkeiten und eine technische Infrastruktur, die abgelöst werden musste.

VWheute: Wie ist der Stand des Projektes?

Benjamin Zühr: Wir hatten Anfang 2023 das Go-live für einen Teil des Geschäftes. Im Laufe des Jahres werden wir noch den Altbestand auf das neue System migrieren. Das ist noch einmal eine enorme Herausforderung. Um die anzugehen, mussten wir aber zuerst sehen, dass die Plattform läuft und in der Praxis getestet ist. Bis Ende 2023 möchte der Kunde seine Migration abgeschlossen haben.

VWheute: Können Sie ein Beispiel für einen beschleunigten Prozess geben?

Benjamin Zühr: Wir haben zum Beispiel ein Bordero-Modul entwickelt, das es ermöglicht, aus mehreren Systemen abrechnungsrelevante Daten zu konsolidieren, zu strukturieren und zu automatisieren. Vor allem die flexible Anbindung mehrerer Systeme und die individuelle Gestaltung und Automatisierung von Sammelabrechnungen ist unserer Meinung nach ein Muss, um in einer digitalen und vernetzten Welt mitspielen zu können.

VWheute: Wie ist es überhaupt zu der Zusammenarbeit gekommen?

Benjamin Zühr: Wir sind als mgm auf den Bereich Commercial- und Industrieversicherung spezialisiert, kennen unter anderem durch die Zusammenarbeit mit Maklern und Risikoträgern die Sicht unterschiedlicher Marktteilnehmer und haben mit Cosmo eine modulare Plattform, die die Fähigkeiten und die Flexibilität hat, die komplette Wertschöpfungskette auf Low-Code-Basis individuell abzubilden. Und tatsächlich pflegen wir mit diesem Kunden schon eine sehr lange Partnerschaft, die durch das jetzige Projekt noch einmal gestärkt wurde. Aber dieser Folgeauftrag landete deshalb nicht automatisch bei uns.

VWheute: Was waren dann die ausschlaggebenden Punkte für die Kooperation?

Benjamin Zühr: In vielen Fällen wird Digitalisierung mit der reinen Neuerfindung von Geschäftsmodellen oder dem starken Fokus auf Standardisierung gleichgesetzt. Das sehen wir nicht so. Wir befähigen unsere Kunden, ihre Individualität in einer digitalen Welt abzubilden und wenn gewünscht zu erweitern. Denn das ist es, was das Geschäftsmodell auch in der Vergangenheit erfolgreich gemacht hat.

Diese Herangehensweise sowie die Möglichkeit, komplette Wertschöpfungsketten unter Einbeziehung externer Partner digital abbilden zu können und somit ein eigenes digitales Netzwerk aufzubauen, waren unter anderem ausschlaggebende Punkte. Die Vorteile der Low-Code-Plattform spielten natürlich auch eine große Rolle.

VWheute: Bleiben wir bei Ihrem Beispiel: Welches sind aus Ihrer Sicht wichtige Faktoren, die für den Assekuradeur in Zukunft einen entscheidenden Unterschied machen?

Benjamin Zühr: Meiner Meinung nach sind es mehrere Faktoren. Gerade in einer zunehmend digitalen Welt spielt das Thema IT-Sicherheit eine zentrale Rolle. Unser Auftraggeber hat sichergestellt, dass Anwendungen laufend den höchsten Sicherheitsstandards entsprechen und technologisch nicht veralten.

Technisch steht dahinter die Enterprise Low Code-Plattform A12, welche als Laufzeitumgebung die Basis darstellt. Der Assekuradeur ist nun auch in der Lage, individuelle Prozesse und Dienstleistungen in eine digitale Welt zu übertragen und sein eigenes digitales Netzwerk aufzubauen, welches alle relevanten Partner integriert. Mithilfe von Low-Code-Tools werden Geschäftsvorfälle von den eigenen Fachbereichen digital abgebildet und bereitgestellt, ohne aufwendige Absprachen mit der IT oder Dienstleistern. Die dadurch gewonnene Unabhängigkeit, Flexibilität und Geschwindigkeit ist maßgeblich für eine erfolgreiche digitale Transformation und führt zu einem erheblichen Wettbewerbsvorteil.

VWheute: Welche Erfahrungen nehmen Sie aus der Zusammenarbeit mit?

Benjamin Zühr: Gerade bei etablierten Unternehmen gelingt die digitale Transformation nur durch die enge Zusammenarbeit zwischen Fachbereich, IT und Management. Häufig besteht hier das größte Risiko, dass Digitalisierungsprojekte scheitern, da Change-Prozesse nicht richtig begleitet werden und die Komplexität solcher Projekte unterschätzt wird. Durch die enge Beteiligung unterschiedlicher Bereiche wurde diesem Risiko von Beginn an mit Erfolg entgegengewirkt.

Autor: VW-Redaktion

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