Haftpflichtrisiken: „Ein richtiger Risikodialog fehlt“

Gino Crescoli auf Pixabay

Sind Versicherer ein verlässlicher Partner bei der Sicherheit der Industrie? Welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz künftig? Und was für Risiken lauern bei Kfz-Rückrufkostenversicherungen? Aktuelle Themen, über die Teilnehmer auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Hamburger Euroforums Haftpflicht 2020 debattiert haben.

„Hilft der Versicherer bei der Industrie-Sicherheit – oder nicht?“ Das ist eine der Hauptthemen, mit denen sich die Diskussionsrunde bei der Haftpflicht 2020 beschäftigt. Auf der Bühne Schwergewichte der Versicherungsbranche: Hans-Jörg Mauthe (AGCS), Julie Schellack, (Martens & Prahl), Stephan Schröder (Merck KGaA), Sebastian Vogel (Airbus Aéroassurances) und Frank Harting (HDI Global SE) bilden einen kompetenten und munteren Gesprächskreis zum Thema. Die Digitalisierung verändert die Branche maßgeblich – so sehen sich alle Versicherer schon jetzt mit großen Umbrüchen konfrontiert.

Dennoch sollten Versicherer ihre Kernkompetenzen nicht aus den Augen verlieren, meint Julie Schellack. „Die Digitalisierung führt zu standardisierten und komplexeren Geschäftsmodellen. Gleichzeitig schrumpft das Personal und damit das Know-how. Ein richtiger Risikodialog zwischen Kunden und Versicherungen findet selten statt. Besonders dem Mittelstand fehlen Ansprechpartner zur Risikoanalyse. Das ist zu kurzfristig gedacht.“

Nepper, Schlepper, Bauernfänger

„Boeing hat bei Zulassung geschummelt, Monsanto ließ Journalisten bespitzeln: Ist ihre Branchenkultur verrottet?“ Diese polemische Frage von Herbert Fromme zielt darauf ab, ob man betrügerischen Firmen überhaupt einen Versicherungsschutz gewähren sollte. Wir benötigen risikoadäquate Versicherungsprämien, damit der Markt funktioniere, so die Teilnehmer der Diskussion. Ausreißer wie Boeing oder Monsanto wird es immer geben, aber der restliche Markt sieht anders aus.

Trotzdem befinden sich die Versicherer in eine Krise. „Wir haben die letzten vier Jahre keinen Cent verdient“, erklärt Frank Harting. „Deshalb benötigen wir angemessene Prämien für bestimmte Risiken. Das bedeutet auch Preiserhöhungen.“ Andererseits soll ein vernünftiges Risikomanagement der Kunden auch honoriert werden. „Keiner mag gerne freiwillig mehr bezahlen“, erklärt Stephan Schröder von Merck. „Aber natürlich sind auch wir bereit mehr zu zahlen, wenn die Leistung stimmt.“

Digitalisierung ist dabei ein wichtiger Treiber. Neben maßgeschneiderten Versicherungsbausteinen müsse es auch immer um die Fachkompetenz gehen – und die liegt bei Menschen und nicht Maschinen, so der Tenor. Die Bedürfnisse müssen sich an den Kunden anpassen, das Einzelrisiko soll nachvollziehbarer gestaltet werden. Dann können auch vernünftige Preise angeboten werden, die alle glücklich machen.

Diskriminierung durch Künstliche Intelligenz

Die Versicherungswirtschaft steht bei dem Einsatz von Big Data und Künstlicher Intelligenz aufsichtsrechtlich vor der großen Herausforderung, transparent und nachprüfbar zu agieren. Das dort auch etwas schieflaufen kann, hat Dr. Stefan Segger, Geschäftsführer der Segger Rechtsanwaltsgesellschaft, in seinem Vortrag gezeigt.

Es klingt absurd, in Finnland keinen Kredit zu bekommen, weil man Finnisch spricht. Doch einem 83-Jähriger Mann aus einer ländlichen Gegend Finnlands wurde der Kredit durch einen Algorithmus verweigert. Er wurde nur aufgrund seiner Sprache, seines Wohnorts, Alters und Geschlechts beurteilt und somit diskriminiert. Ein Gericht verhängte wegen Diskriminierung daraufhin eine Strafe von 100.000 Euro. „Wir benötigen eine Aufsicht über Algorithmen und keine Abwälzung der Verantwortung auf Maschinen“, so Stefan Segger. Eine Regulierung auf europäischer Ebene sowie materieller Standards für den Einsatz von Algorithmen sind vermutlich in Kürze zu erwarten. Nur dann können Versicherungen zuverlässige Algorithmen implementieren, die keine statistische Diskriminierung zulässt, erklärt der Experte.

Das Risiko wird anders und größer

Der Einbau schadhafter Komponenten, wie etwa der von fehlerhaften Airbags, hat in der Vergangenheit hohe Kosten bei Kfz-Rückrufkostenversicherungen verursacht. Zwar konnten die Ansprüche in der Regel deutlich reduziert werden. Dennoch liegt die Rückrufquote in den USA in den letzten zehn Jahren über 100 Prozent. „Die fetten Jahre sind vorbei“, sagt Carsten Krieglstein von der Schaeffler Versicherungs-Vermittlung. „Die Kosten werden höher und schwerer kalkulierbarer. Die zunehmende Konsolidierung in der Industrieversicherung führt insbesondere bei Großrisiken zu einer Reduzierung der Anbieter und damit einhergehend zu einer Einschränkung von Kapazitäten.“ Vom Versicherer erwartet er, ein guter Risiko-Partner zu sein, der die Struktur und die Bedürfnisse der Versicherten kennt und im Schadenfall ein guter Begleiter ist. „Das gelingt nur dann, wenn Versicherer und Versicherte Tango im gleichen Takt tanzen.“

Autor: Thomas Soltau

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