VersicherungswirtschaftCLUB – Das Talkformat
„Man kann nur anbieten, was man kalkulieren kann“, lautet die Antwort der Rückversicherer-Vorstände auf die Preiserhöhungen. Gutes Underwriting hat seine Grenzen. Denn der aktuell gelegte Fokus auf Naturkatastrophen macht nur ein Bruchteil des Geschäfts aus, Probleme bereiten eher die Sparten Kraftfahrt und Feuer. Und auch der Ukraine-Krieg „ist ganz brisant“. Am Horizont lauern die nächsten Kumule wie ein Blackout oder politische Unruhen. Denn bei Cyber gehe man bereits an die Grenze der Versicherbarkeit, waren sich die Teilnehmer auf dem VersicherungswirtschaftCLUB einig. Über die Politik ist man enttäuscht, über Neugründungen wie Miris erfreut.
Wie geht es den Rückversicherern aktuell? Es ergibt sich ein gemischtes Bild, wenn man entlang der wichtigsten Parameter geht. Die Combined Ratio liegt im Durchschnitt unter 100 Prozent, bei den Prämien gibt es Zuwächse, doch die Unternehmenswerte betragen nur 20 Prozent des Buchwerts und durch die höheren Zinsen mussten auf die Schuldverschreibungen höhere Wertverluste ausgewiesen werden, was das Eigenkapital erodieren ließ.
Die Effekte auf die Bilanz durch steigende Zinsen betrachtet Claudia Hasse als „vorübergehend“. Die Deutschlandchefin der Munich Re betont gleichzeitig, dass man bei der Wiederanlage durch deutlich verbesserte Zinsen profitiere. „Deshalb sind wir bei der Kapitalausstattung sehr gut unterwegs.“
Steigende Selbstbehalte können Prämienerhöhungen wettmachen
Man kann sich ihrer Meinung nach dadurch absetzen, indem man ein solides und technisch gutes Underwriting macht, da trenne sich die Spreu vom Weizen. „Doch angesichts der Unsicherheiten kommt man mit dem Underwriting nur zu einem gewissen Grad. Deshalb muss man irgendwann Entscheidungen treffen, wie man diese Unsicherheitsfaktoren gut und vernünftig in ein Pricing überführt“, erklärte Hasse.
Ob die großen Rückversicherer das Pricing für die gesamte Branche maßgeblich bestimmen, ist ein Thema, mit dem man sich gar nicht auseinandersetze, da „die Munich Re erstmal auf sich schaut“. Hasse: „Wir schauen, was wir auf der technischen Seite für die gestiegenen Risiken brauchen und dann schauen wir, wie das in die Marktlage passt.“
Die Einschätzung von Jan-Oliver Thofern aus Maklersicht: „Eine kleine Gruppe von Rückversicherern kann den Markt nicht bewegen, aber beeinflussen.“ Es hänge davon ab, ob man von der Top-5 oder Top-10 rede und wie diese von den Retrozessionskosten abhängig seien, betonte der Chairman und Chief Executive Officer Aon Deutschland. Ohnehin beobachtet er, dass die Kunden die Gesamtsituation mit einer gewissen Gelassenheit betrachten.
Ob Prämienerhöhungen unvermeidbar sind, hängt natürlich auch von der Höhe der Selbstbehalte ab, ergänzt Michael Pickel, Vorstandsvorsitzender E+S Rück und Vorstandsmitglied Hannover Rück. „Wir kämpfen als Rückversicherer an verschiedenen Fronten.“ Der Klimawandel, die Inflation sowie die soziale Inflation sind die Bereiche, die Hannover Rück gerade besonders beschäftigen.
Kapazitäten sind für Naturgefahren vorhanden, bei Cyber wird es knapp
Gibt es dann genug Kapazitäten, wenn die Selbstbehalte steigen? Auf diese Frage ging zuerst Frank Reichelt, Managing Director Swiss Re Deutschland, ein. Er fing bei den Kapazitäten bei Naturgefahren ein. Ob ausreichend Kapazitäten vorhanden sind, hängt davon ab, wieviel Kapital zur Verfügung steht. Aus jetziger Sicht wird es vor allem spannend für die Hurrikan-Kapazitäten in den USA. Da könnte es sein, dass es am ehesten knapp werden könnte. Die Kapazitäten in Europa werden für einen bestimmten Preis da sein.“
Anders sehe es bei Cyber aus. „Das ist keine typische Versicherungssparte. Es hat Züge von systemischen Risiken. Und es ist ein Risiko, was wir noch nicht ganz verstehen, weil wir einfach nicht alle Daten haben.“ Deshalb halte man sich hierbei mit Kapazitäten zurück, fasst Reichelt zusammen.
Hasse, die bei Munich Re auch für die Sparte Cyber zuständig ist, beobachtet bei Erstversicherern eine Kapazitätsknappheit in Bezug auf große Industrierisiken – da es dort viele Schäden gab und Erstversicherer deshalb zurückhaltender sind. „Beim KMU-Segment hingegen gibt es eine starke Nachfrage nach Cyberpolicen und gleichzeitig ist hierbei Kapazität da – sowohl auf Erst- als auch auf Rückversicherer-Seite. Und im Personal-Lines-Geschäft sowieso.“
Sie hebt hervor, dass es ganz wichtig sei, Kumule richtig einzuschätzen. Munich Re zeichnet 1,5 Mrd. Dollar Prämie bei Cyber und „da müssen wir erst recht schauen, dass wir die Kumule im Griff haben. Das hat bei uns höchste Priorität. Aber wir sehen auch, dass wir den Kurs, weiter in Cyber zu wachsen, weiterführen wollen.“ Ein Ausfall des Internets oder Schäden an anderen Teilen der Kritischen Infrastruktur sind laut Hasse bei Munich Re bewusst nicht versicherbar.
Was die Gründung des neuen Cyberversicherers Miris angeht, so hatten die Teilnehmer nur positive Anmerkungen. Sie begrüßen alles, was zu mehr Kapazitäten führt. Zweifel hegen sie jedoch, ob die Kapazität bei so wenigen Unternehmen überhaupt ausreicht. „Wie gut so ein Versicherer ist, sieht man erst im Schadenfall, aber nicht beim ersten, sondern beim dritten oder vierten Schaden. Denn dann müssten womöglich die beteiligten Unternehmen Kapital nachschießen für Schäden, die womöglich nicht von ihnen stammen“, analysiert Michael Pickel von der Hannover Rück.
Wenn man jedoch über Kapazitäten spricht, dann betont Pickel stets, dass man sich zu sehr auf Naturkatastrophen beziehe, während man die Sparten Feuer oder Kraftfahrt vernachlässige. Die grundsätzliche Frage lautet für deshalb: „Wie gehen unsere Kunden eigentlich mit den unterliegenden Deckungen um? In Feuerindustrie ist so viel Naturkatastrophen-Exponierung drin, dass wir eigentlich mal verstehen müssen, wie werden Summen angepasst oder wie werden Betriebsunterbrechungs-Limite vielleicht verkürzt, weil eben die Reparaturkosten länger sind.“
Man lernt aus jedem Schaden, was zu Anpassungen bei Modellen führt
Auf die Frage, wie stark der Ukraine-Krieg die Branche trifft, hatte Pickel eine klare Meinung: Bislang gibt es wenig direkte Schäden, aber die Kreditversicherer treffe es hart. Zudem könne man nicht ausschließen, dass sich der Konflikt ausweite bzw. in anderen Regionen wie Taiwan weitergeführt werde. Hierbei war man beim Thema angekommen, dass manche Kunden sich über die Modellierungen der Rückversicherer beschweren. Reichelt erläutert: „Wir lernen nach jedem Schaden hinzu und passen uns Modellierungen entsprechen an.“ Auch nach der Flut in Ahrtal wurden seines Wissens nach die Modellierungen bei vielen Rückversicherern angepasst. Verärgert sind die Kunden seiner Erfahrung nach nur, wenn die Modellierung für die Kunden eine Art Black Box sei.
Ärgerlich für Rückversicherer ist auch das Verhalten der Politik, die die Initiativen der Branche stets ausgeschlagen, eine Pflichtversicherung gegen Elementarrisiken einzuführen oder entsprechende Versicherungslösungen gegen Pandemien einzuführen. Große Freude verspürten die Teilnehmer als es um die bevorstehende Erneuerungsrunde in Baden-Baden ging. „Monte Carlo ist eher ein Vorspiel, in Baden-Baden wird es ernst“, sagte Reichelt. Auch Thofern räumt ein, dass Monte Carlo mehr Fragen als Antworten aufgeworfen hat, sodass man in Baden-Baden hoffentlich schlauer sein wird. „Es wäre gut für die Branche mal ein großschadenfreies Jahr zu haben.“ Auch Pickel stimmte zu und resümierte, dass er in seiner Vorstandstätigkeit bislang noch keine solchen Großschäden in drei aufeinanderfolgenden Jahren erlebt habe.